Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851.

Bild:
<< vorherige Seite

§. VIII. Vorsatz und Fahrlässigkeit.
wesentlich dazu beitragen, den Standpunkt, welchen der Gesetzgeber zu
dieser wichtigen Lehre eingenommen hat, zu bezeichnen.

Die Bestimmungen des allgemeinen Landrechts über Vorsatz, Fahr-
lässigkeit und Zufall (Th. II. Tit. 20. §. 26-38) wurden gleich beim
Anfange der Revision als ungenügend erkannt, und an deren Stelle in
den Entwurf von 1830 einige andere Vorschriften aufgenommen, welche
auch in den beiden folgenden Entwürfen im Wesentlichen unverändert
stehen blieben. Sie lauten nach dem Entwurfe von 1836, wie folgt:

§. 45. "Ob ein Verbrechen vorsätzlich oder aus Fahrlässigkeit
verübt worden, muß aus den Umständen beurtheilt werden.

§. 46. Die, aus einer verbrecherischen Handlung entstandene
Rechtsverletzung wird dem Thäter, auch wenn er sie nicht ausschließlich
beabsichtigte, sondern diese oder eine andere Rechtsverletzung bewirken
wollte, als eine vorsätzliche zugerechnet.

§. 47. Ist aus einer Handlung eine größere Rechtsverletzung ent-
standen, als der Verbrecher bewirken wollte; so ist ihm, falls nicht bei
einzelnen Verbrechen das Gegentheil bestimmt ist, nur die beabsichtigte
Verletzung als eine vorsätzliche, die ohne seinen Willen entstandene
größere aber nach Maaßgabe der Umstände zugleich als eine fahrlässige
zuzurechnen und die Strafe nach den Bestimmungen über Zusammen-
treffen der Verbrechen (§. 114) zuzumessen.

§. 48. Eine Handlung, welche, vorsätzlich verübt, Strafe nach
sich zieht, wird, wenn dadurch keine Rechtsverletzung bezweckt wird,
sondern ihr blos Fahrlässigkeit zum Grunde lag, nur in den Fällen
gestraft, in welchen das Gesetz dies ausdrücklich vorschreibt."

Bei der Berathung dieses Entwurfs fand die Ansicht, daß man
überhaupt von der Aufstellung solcher allgemeinen Regeln über Vorsatz
und Fahrlässigkeit abstehen, und diese Lehre der Doktrin überlassen möge,
keinen Anklang; d) die vorgeschlagenen Bestimmungen wurden vielmehr
im Allgemeinen gebilligt, und nur der §. 48. als bedenklich gestrichen. e)
Man bezweckte also namentlich durch §. 45. die praesumptio doli zu
beseitigen, welche in §. 369. der Kriminalordnung eine Stütze fand,
und stellte in §. 46. unter Hinzufügung einer Definition des Vorsatzes,
Bestimmungen über den s. g. dolus indeterminatus, eventualis s. al-
ternativus,
in §. 47. aber über die s. g. culpa dolo determinata auf.

d) Staatsraths-Protokolle, Sitzung vom 18. Jan. 1840.
e) Berathungs-Protokolle der Staatsraths-Kommission. I.
(Berlin 1839). S. 66-68. 75-77. -- K. O. v. 9. Jan. 1843. a. a. O. III.
(Berlin 1843) a. E.

§. VIII. Vorſatz und Fahrläſſigkeit.
weſentlich dazu beitragen, den Standpunkt, welchen der Geſetzgeber zu
dieſer wichtigen Lehre eingenommen hat, zu bezeichnen.

Die Beſtimmungen des allgemeinen Landrechts über Vorſatz, Fahr-
läſſigkeit und Zufall (Th. II. Tit. 20. §. 26-38) wurden gleich beim
Anfange der Reviſion als ungenügend erkannt, und an deren Stelle in
den Entwurf von 1830 einige andere Vorſchriften aufgenommen, welche
auch in den beiden folgenden Entwürfen im Weſentlichen unverändert
ſtehen blieben. Sie lauten nach dem Entwurfe von 1836, wie folgt:

§. 45. „Ob ein Verbrechen vorſätzlich oder aus Fahrläſſigkeit
verübt worden, muß aus den Umſtänden beurtheilt werden.

§. 46. Die, aus einer verbrecheriſchen Handlung entſtandene
Rechtsverletzung wird dem Thäter, auch wenn er ſie nicht ausſchließlich
beabſichtigte, ſondern dieſe oder eine andere Rechtsverletzung bewirken
wollte, als eine vorſätzliche zugerechnet.

§. 47. Iſt aus einer Handlung eine größere Rechtsverletzung ent-
ſtanden, als der Verbrecher bewirken wollte; ſo iſt ihm, falls nicht bei
einzelnen Verbrechen das Gegentheil beſtimmt iſt, nur die beabſichtigte
Verletzung als eine vorſätzliche, die ohne ſeinen Willen entſtandene
größere aber nach Maaßgabe der Umſtände zugleich als eine fahrläſſige
zuzurechnen und die Strafe nach den Beſtimmungen über Zuſammen-
treffen der Verbrechen (§. 114) zuzumeſſen.

§. 48. Eine Handlung, welche, vorſätzlich verübt, Strafe nach
ſich zieht, wird, wenn dadurch keine Rechtsverletzung bezweckt wird,
ſondern ihr blos Fahrläſſigkeit zum Grunde lag, nur in den Fällen
geſtraft, in welchen das Geſetz dies ausdrücklich vorſchreibt.“

Bei der Berathung dieſes Entwurfs fand die Anſicht, daß man
überhaupt von der Aufſtellung ſolcher allgemeinen Regeln über Vorſatz
und Fahrläſſigkeit abſtehen, und dieſe Lehre der Doktrin überlaſſen möge,
keinen Anklang; d) die vorgeſchlagenen Beſtimmungen wurden vielmehr
im Allgemeinen gebilligt, und nur der §. 48. als bedenklich geſtrichen. e)
Man bezweckte alſo namentlich durch §. 45. die praesumptio doli zu
beſeitigen, welche in §. 369. der Kriminalordnung eine Stütze fand,
und ſtellte in §. 46. unter Hinzufügung einer Definition des Vorſatzes,
Beſtimmungen über den ſ. g. dolus indeterminatus, eventualis s. al-
ternativus,
in §. 47. aber über die ſ. g. culpa dolo determinata auf.

d) Staatsraths-Protokolle, Sitzung vom 18. Jan. 1840.
e) Berathungs-Protokolle der Staatsraths-Kommiſſion. I.
(Berlin 1839). S. 66-68. 75-77. — K. O. v. 9. Jan. 1843. a. a. O. III.
(Berlin 1843) a. E.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0047" n="37"/><fw place="top" type="header">§. VIII. Vor&#x017F;atz und         Fahrlä&#x017F;&#x017F;igkeit.</fw><lb/>
we&#x017F;entlich dazu beitragen, den        Standpunkt, welchen der Ge&#x017F;etzgeber zu<lb/>
die&#x017F;er wichtigen Lehre        eingenommen hat, zu bezeichnen.</p><lb/>
            <p>Die Be&#x017F;timmungen des allgemeinen Landrechts über Vor&#x017F;atz,        Fahr-<lb/>&#x017F;&#x017F;igkeit und Zufall (Th. II. Tit. 20. §. 26-38) wurden        gleich beim<lb/>
Anfange der Revi&#x017F;ion als ungenügend erkannt, und an deren Stelle        in<lb/>
den Entwurf von 1830 einige andere Vor&#x017F;chriften aufgenommen,        welche<lb/>
auch in den beiden folgenden Entwürfen im We&#x017F;entlichen        unverändert<lb/>
&#x017F;tehen blieben. Sie lauten nach dem Entwurfe von 1836, wie        folgt:</p><lb/>
            <p>§. 45. &#x201E;Ob ein Verbrechen vor&#x017F;ätzlich oder aus        Fahrlä&#x017F;&#x017F;igkeit<lb/>
verübt worden, muß aus den Um&#x017F;tänden        beurtheilt werden.</p><lb/>
            <p>§. 46. Die, aus einer verbrecheri&#x017F;chen Handlung        ent&#x017F;tandene<lb/>
Rechtsverletzung wird dem Thäter, auch wenn er &#x017F;ie        nicht aus&#x017F;chließlich<lb/>
beab&#x017F;ichtigte, &#x017F;ondern        die&#x017F;e oder eine andere Rechtsverletzung bewirken<lb/>
wollte, als eine        vor&#x017F;ätzliche zugerechnet.</p><lb/>
            <p>§. 47. I&#x017F;t aus einer Handlung eine größere Rechtsverletzung        ent-<lb/>
&#x017F;tanden, als der Verbrecher bewirken wollte; &#x017F;o i&#x017F;t        ihm, falls nicht bei<lb/>
einzelnen Verbrechen das Gegentheil be&#x017F;timmt        i&#x017F;t, nur die beab&#x017F;ichtigte<lb/>
Verletzung als eine        vor&#x017F;ätzliche, die ohne &#x017F;einen Willen ent&#x017F;tandene<lb/>
größere        aber nach Maaßgabe der Um&#x017F;tände zugleich als eine        fahrlä&#x017F;&#x017F;ige<lb/>
zuzurechnen und die Strafe nach den        Be&#x017F;timmungen über Zu&#x017F;ammen-<lb/>
treffen der Verbrechen (§. 114)        zuzume&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
            <p>§. 48. Eine Handlung, welche, vor&#x017F;ätzlich verübt, Strafe        nach<lb/>
&#x017F;ich zieht, wird, wenn dadurch keine Rechtsverletzung bezweckt        wird,<lb/>
&#x017F;ondern ihr blos Fahrlä&#x017F;&#x017F;igkeit zum Grunde lag,        nur in den Fällen<lb/>
ge&#x017F;traft, in welchen das Ge&#x017F;etz dies ausdrücklich        vor&#x017F;chreibt.&#x201C;</p><lb/>
            <p>Bei der Berathung die&#x017F;es Entwurfs fand die An&#x017F;icht, daß        man<lb/>
überhaupt von der Auf&#x017F;tellung &#x017F;olcher allgemeinen Regeln über        Vor&#x017F;atz<lb/>
und Fahrlä&#x017F;&#x017F;igkeit ab&#x017F;tehen, und        die&#x017F;e Lehre der Doktrin überla&#x017F;&#x017F;en möge,<lb/>
keinen Anklang;         <note place="foot" n="d)"><hi rendition="#g">Staatsraths-Protokolle</hi>, Sitzung vom 18.         Jan. 1840.</note> die vorge&#x017F;chlagenen Be&#x017F;timmungen wurden        vielmehr<lb/>
im Allgemeinen gebilligt, und nur der §. 48. als bedenklich        ge&#x017F;trichen. <note place="foot" n="e)"><hi rendition="#g">Berathungs-Protokolle der          Staatsraths-Kommi&#x017F;&#x017F;ion</hi>. I.<lb/>
(Berlin 1839). S. 66-68. 75-77.         &#x2014; K. O. v. 9. Jan. 1843. a. a. O. III.<lb/>
(Berlin 1843) a. E.</note><lb/>
Man bezweckte al&#x017F;o namentlich durch §. 45. die <hi rendition="#aq">praesumptio doli</hi> zu<lb/>
be&#x017F;eitigen, welche in §. 369. der Kriminalordnung        eine Stütze fand,<lb/>
und &#x017F;tellte in §. 46. unter Hinzufügung einer Definition des        Vor&#x017F;atzes,<lb/>
Be&#x017F;timmungen über den &#x017F;. g. <hi rendition="#aq">dolus indeterminatus, eventualis s.         al-<lb/>
ternativus,</hi> in §. 47. aber über die &#x017F;. g. <hi rendition="#aq">culpa         dolo determinata</hi> auf.<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[37/0047] §. VIII. Vorſatz und Fahrläſſigkeit. weſentlich dazu beitragen, den Standpunkt, welchen der Geſetzgeber zu dieſer wichtigen Lehre eingenommen hat, zu bezeichnen. Die Beſtimmungen des allgemeinen Landrechts über Vorſatz, Fahr- läſſigkeit und Zufall (Th. II. Tit. 20. §. 26-38) wurden gleich beim Anfange der Reviſion als ungenügend erkannt, und an deren Stelle in den Entwurf von 1830 einige andere Vorſchriften aufgenommen, welche auch in den beiden folgenden Entwürfen im Weſentlichen unverändert ſtehen blieben. Sie lauten nach dem Entwurfe von 1836, wie folgt: §. 45. „Ob ein Verbrechen vorſätzlich oder aus Fahrläſſigkeit verübt worden, muß aus den Umſtänden beurtheilt werden. §. 46. Die, aus einer verbrecheriſchen Handlung entſtandene Rechtsverletzung wird dem Thäter, auch wenn er ſie nicht ausſchließlich beabſichtigte, ſondern dieſe oder eine andere Rechtsverletzung bewirken wollte, als eine vorſätzliche zugerechnet. §. 47. Iſt aus einer Handlung eine größere Rechtsverletzung ent- ſtanden, als der Verbrecher bewirken wollte; ſo iſt ihm, falls nicht bei einzelnen Verbrechen das Gegentheil beſtimmt iſt, nur die beabſichtigte Verletzung als eine vorſätzliche, die ohne ſeinen Willen entſtandene größere aber nach Maaßgabe der Umſtände zugleich als eine fahrläſſige zuzurechnen und die Strafe nach den Beſtimmungen über Zuſammen- treffen der Verbrechen (§. 114) zuzumeſſen. §. 48. Eine Handlung, welche, vorſätzlich verübt, Strafe nach ſich zieht, wird, wenn dadurch keine Rechtsverletzung bezweckt wird, ſondern ihr blos Fahrläſſigkeit zum Grunde lag, nur in den Fällen geſtraft, in welchen das Geſetz dies ausdrücklich vorſchreibt.“ Bei der Berathung dieſes Entwurfs fand die Anſicht, daß man überhaupt von der Aufſtellung ſolcher allgemeinen Regeln über Vorſatz und Fahrläſſigkeit abſtehen, und dieſe Lehre der Doktrin überlaſſen möge, keinen Anklang; d) die vorgeſchlagenen Beſtimmungen wurden vielmehr im Allgemeinen gebilligt, und nur der §. 48. als bedenklich geſtrichen. e) Man bezweckte alſo namentlich durch §. 45. die praesumptio doli zu beſeitigen, welche in §. 369. der Kriminalordnung eine Stütze fand, und ſtellte in §. 46. unter Hinzufügung einer Definition des Vorſatzes, Beſtimmungen über den ſ. g. dolus indeterminatus, eventualis s. al- ternativus, in §. 47. aber über die ſ. g. culpa dolo determinata auf. d) Staatsraths-Protokolle, Sitzung vom 18. Jan. 1840. e) Berathungs-Protokolle der Staatsraths-Kommiſſion. I. (Berlin 1839). S. 66-68. 75-77. — K. O. v. 9. Jan. 1843. a. a. O. III. (Berlin 1843) a. E.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/47
Zitationshilfe: Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/47>, abgerufen am 21.11.2024.