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Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851.

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§. 215. Begriff des Diebstahls.
Diebstahls ausdrücklich bestimmen, daß er ohne Anwendung von Gewalt
oder Drohungen begangen werde, so erklärt sich das zum Theil daraus,
daß sie den Raub vor dem Diebstahle abhandeln, und daher eine Ver-
anlassung haben, den Gegensatz bei der Begriffsbestimmung des letzteren
zu berücksichtigen. -- Mit der erst in dem Entwurf von 1850. vorkom-
menden Bezeichnung "einem Anderen wegnimmt" ist auf eine glückliche
Weise die das Wesen des Diebstahls bildende Besitzentziehung ausgedrückt
worden, ohne, wie das früher nie ganz vermieden wurde, in die Be-
griffsbestimmung eine Kasuistik hineinzulegen, welche der richtigen Auf-
fassung des Thatbestandes leicht gefährlich wird. Ob der Andere Eigen-
thümer, juristischer Besitzer oder bloßer Inhaber war, ist für den Begriff
des Verbrechens an sich ohne Bedeutung; die rechtswidrige Zueignung
ist das entscheidende Moment, und darnach ist es zu ermessen, ob die
Handlung als eine strafbare anzusehen ist. Hat sich der Thäter in der
Sache geirrt, indem er sie für die Seinige hielt, oder ist es ihm gestattet
worden, die Sache wegzunehmen, so sind das Gründe, welche den
Dolus und also auch die Strafbarkeit ausschließen; ob sie aber im ein-
zelnen Fall vorliegen, ob z. B. der Inhaber, welcher gegen den Willen
des Eigenthümers die Wegnahme gestattete, sich dadurch zum Theil-
nehmer am Diebstahl machte, oder der Handlung des Dritten ihren
kriminellen Charakter nahm, und sich etwa nur dem Eigenthümer gegen-
über zur Entschädigung verpflichtete, -- das sind Fragen, deren Lösung
der praktischen Jurisprudenz zu überweisen ist. b)

III. Die Sache muß von dem Thäter in der Absicht weggenom-
men sein, um dieselbe sich rechtswidrig zuzueignen; daß dieß in gewinn-
süchtiger Absicht (lucri faciendi gratia) geschehen müsse, ist in dem
Gesetzbuch nicht zum Thatbestande des Diebstahls gerechnet worden.
Diese Auffassung ist von der Staatsraths-Kommission und dem Staats-
rathe konsequent festgehalten, und auch von dem Ministerium für die
Gesetz-Revision vertreten worden. Die dafür angeführten Gründe sind
die folgenden. c)

"Es handelt sich hier weniger um eine materielle Differenz, als
um die treffendste und sicherste Bezeichnung dessen, was von Allen
übereinstimmend gemeint ist. Es ist nicht möglich, den Begriff des
Diebstahls so zu bestimmen, daß niemals Zweifel entstehen könnte, ob

b) cf. Chauveau et Helie Faustin, Theorie du Code penal. III.
chap. LIX. p. 185.
c) Berathungs-Protokolle der Staatsraths-Kommission. III.
S. 349. 350. -- Protokolle des Staatsraths, Sitzung vom 23. März 1842.
-- Revision von 1845. III. S. 3. 4.
Beseler Kommentar. 27

§. 215. Begriff des Diebſtahls.
Diebſtahls ausdrücklich beſtimmen, daß er ohne Anwendung von Gewalt
oder Drohungen begangen werde, ſo erklärt ſich das zum Theil daraus,
daß ſie den Raub vor dem Diebſtahle abhandeln, und daher eine Ver-
anlaſſung haben, den Gegenſatz bei der Begriffsbeſtimmung des letzteren
zu berückſichtigen. — Mit der erſt in dem Entwurf von 1850. vorkom-
menden Bezeichnung „einem Anderen wegnimmt“ iſt auf eine glückliche
Weiſe die das Weſen des Diebſtahls bildende Beſitzentziehung ausgedrückt
worden, ohne, wie das früher nie ganz vermieden wurde, in die Be-
griffsbeſtimmung eine Kaſuiſtik hineinzulegen, welche der richtigen Auf-
faſſung des Thatbeſtandes leicht gefährlich wird. Ob der Andere Eigen-
thümer, juriſtiſcher Beſitzer oder bloßer Inhaber war, iſt für den Begriff
des Verbrechens an ſich ohne Bedeutung; die rechtswidrige Zueignung
iſt das entſcheidende Moment, und darnach iſt es zu ermeſſen, ob die
Handlung als eine ſtrafbare anzuſehen iſt. Hat ſich der Thäter in der
Sache geirrt, indem er ſie für die Seinige hielt, oder iſt es ihm geſtattet
worden, die Sache wegzunehmen, ſo ſind das Gründe, welche den
Dolus und alſo auch die Strafbarkeit ausſchließen; ob ſie aber im ein-
zelnen Fall vorliegen, ob z. B. der Inhaber, welcher gegen den Willen
des Eigenthümers die Wegnahme geſtattete, ſich dadurch zum Theil-
nehmer am Diebſtahl machte, oder der Handlung des Dritten ihren
kriminellen Charakter nahm, und ſich etwa nur dem Eigenthümer gegen-
über zur Entſchädigung verpflichtete, — das ſind Fragen, deren Löſung
der praktiſchen Jurisprudenz zu überweiſen iſt. b)

III. Die Sache muß von dem Thäter in der Abſicht weggenom-
men ſein, um dieſelbe ſich rechtswidrig zuzueignen; daß dieß in gewinn-
ſüchtiger Abſicht (lucri faciendi gratia) geſchehen müſſe, iſt in dem
Geſetzbuch nicht zum Thatbeſtande des Diebſtahls gerechnet worden.
Dieſe Auffaſſung iſt von der Staatsraths-Kommiſſion und dem Staats-
rathe konſequent feſtgehalten, und auch von dem Miniſterium für die
Geſetz-Reviſion vertreten worden. Die dafür angeführten Gründe ſind
die folgenden. c)

„Es handelt ſich hier weniger um eine materielle Differenz, als
um die treffendſte und ſicherſte Bezeichnung deſſen, was von Allen
übereinſtimmend gemeint iſt. Es iſt nicht möglich, den Begriff des
Diebſtahls ſo zu beſtimmen, daß niemals Zweifel entſtehen könnte, ob

b) cf. Chauveau et Hélie Faustin, Théorie du Code pénal. III.
chap. LIX. p. 185.
c) Berathungs-Protokolle der Staatsraths-Kommiſſion. III.
S. 349. 350. — Protokolle des Staatsraths, Sitzung vom 23. März 1842.
Reviſion von 1845. III. S. 3. 4.
Beſeler Kommentar. 27
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[409/0419] §. 215. Begriff des Diebſtahls. Diebſtahls ausdrücklich beſtimmen, daß er ohne Anwendung von Gewalt oder Drohungen begangen werde, ſo erklärt ſich das zum Theil daraus, daß ſie den Raub vor dem Diebſtahle abhandeln, und daher eine Ver- anlaſſung haben, den Gegenſatz bei der Begriffsbeſtimmung des letzteren zu berückſichtigen. — Mit der erſt in dem Entwurf von 1850. vorkom- menden Bezeichnung „einem Anderen wegnimmt“ iſt auf eine glückliche Weiſe die das Weſen des Diebſtahls bildende Beſitzentziehung ausgedrückt worden, ohne, wie das früher nie ganz vermieden wurde, in die Be- griffsbeſtimmung eine Kaſuiſtik hineinzulegen, welche der richtigen Auf- faſſung des Thatbeſtandes leicht gefährlich wird. Ob der Andere Eigen- thümer, juriſtiſcher Beſitzer oder bloßer Inhaber war, iſt für den Begriff des Verbrechens an ſich ohne Bedeutung; die rechtswidrige Zueignung iſt das entſcheidende Moment, und darnach iſt es zu ermeſſen, ob die Handlung als eine ſtrafbare anzuſehen iſt. Hat ſich der Thäter in der Sache geirrt, indem er ſie für die Seinige hielt, oder iſt es ihm geſtattet worden, die Sache wegzunehmen, ſo ſind das Gründe, welche den Dolus und alſo auch die Strafbarkeit ausſchließen; ob ſie aber im ein- zelnen Fall vorliegen, ob z. B. der Inhaber, welcher gegen den Willen des Eigenthümers die Wegnahme geſtattete, ſich dadurch zum Theil- nehmer am Diebſtahl machte, oder der Handlung des Dritten ihren kriminellen Charakter nahm, und ſich etwa nur dem Eigenthümer gegen- über zur Entſchädigung verpflichtete, — das ſind Fragen, deren Löſung der praktiſchen Jurisprudenz zu überweiſen iſt. b) III. Die Sache muß von dem Thäter in der Abſicht weggenom- men ſein, um dieſelbe ſich rechtswidrig zuzueignen; daß dieß in gewinn- ſüchtiger Abſicht (lucri faciendi gratia) geſchehen müſſe, iſt in dem Geſetzbuch nicht zum Thatbeſtande des Diebſtahls gerechnet worden. Dieſe Auffaſſung iſt von der Staatsraths-Kommiſſion und dem Staats- rathe konſequent feſtgehalten, und auch von dem Miniſterium für die Geſetz-Reviſion vertreten worden. Die dafür angeführten Gründe ſind die folgenden. c) „Es handelt ſich hier weniger um eine materielle Differenz, als um die treffendſte und ſicherſte Bezeichnung deſſen, was von Allen übereinſtimmend gemeint iſt. Es iſt nicht möglich, den Begriff des Diebſtahls ſo zu beſtimmen, daß niemals Zweifel entſtehen könnte, ob b) cf. Chauveau et Hélie Faustin, Théorie du Code pénal. III. chap. LIX. p. 185. c) Berathungs-Protokolle der Staatsraths-Kommiſſion. III. S. 349. 350. — Protokolle des Staatsraths, Sitzung vom 23. März 1842. — Reviſion von 1845. III. S. 3. 4. Beſeler Kommentar. 27

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Zitationshilfe: Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851, S. 409. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/419>, abgerufen am 23.07.2024.