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Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851.

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§§. 204-209. Die Entführung.
wohl gegen den letzteren, als gegen die Eltern oder Vormünder in den
Fällen Nr. 1. fünf- bis zehnjährige Zuchthausstrafe, und in den Fällen
Nr. 2. Strafarbeit bis zu fünf Jahren eintreten. -- Die Strafe fällt
jedoch weg, wenn die Ueberlassung an Seiltänzer, Kunstreiter, Mario-
nettenspieler oder Gaukler mit obrigkeitlicher Genehmigung erfolgt ist."

Diese Vorschriften wurden aber in dem Ministerium für die Gesetz-
Revision einer Kritik unterworfen, welche zu erheblichen Abänderungen
führte. Die Revisionsschrift hebt in dieser Beziehung namentlich fol-
gende Gesichtspunkte hervor: t)

"Der §. 356. wird dadurch undeutlich, daß das Charakteristische
der hier zusammengefaßten Handlungen, die dabei verfolgten Zwecke nicht
vorweg aufgestellt, und daß der §. selbst nicht in verschiedene Sätze auf-
gelöst worden ist. Es sind nämlich als völlig gleichartig zusammen zu
stellen die (in Nr. 1. und 2. des §. aufgestellten) Fälle, wobei Men-
schenverkauf (Seelenverkäuferei) und ähnliche schändliche Handlungen
bestraft werden sollen, nämlich der Menschenraub, um den geraubten ent-
weder in entfernten Weltgegenden auszusetzen, oder in Sklaverei oder
Leibeigenschaft, oder in auswärtige Kriegs- oder Schiffsdienste zu brin-
gen. Auf das Alter des Geraubten kommt es in allen diesen Fällen
nicht an."

"Ganz verschieden davon sind die (in Nr. 2. und 3. des §. auf-
gestellten) Fälle, welche nur bei Kindern eintreten können, da für sel-
tene, etwa auch bei Erwachsenen vorkommende Fälle ähnlicher Art, die
anderweiten Strafbestimmungen über die Nöthigung und das widerrecht-
liche Gefangenhalten genügenden Schutz gewähren. Bei vielen Fällen
dieser Art ist mit der Handlung noch die Absicht verbunden, die Kinder
zu unsittlichen Zwecken zu gebrauchen, namentlich zum Betteln oder zu
unsittlichen Gewerben. In diesen Fällen der an Kindern verübten Frei-
heitsberaubung, welche in Nr. 2. des §. erwähnt werden, kann die
Einwilligung der Eltern oder Vormünder von keinem mildernden Ein-
fluß auf die Strafbarkeit sein."

"Andere Fälle, in welchen ein Angriff auf die Freiheit des Kindes
geschieht (Nr. 3. des §.), sind zwar mit einer solchen absichtlichen Ge-
fährdung der Sittlichkeit des Kindes nicht verbunden, sie erscheinen aber
dennoch insoweit strafbar, als dadurch das Erziehungsrecht der Eltern
oder Vormünder gekränkt, oder der Familienstand gefährdet wird. Dieß
ist der Fall 1) wenn das Kind zur Befriedigung des Eigennutzes, wenn
auch nicht zu unsittlichen Zwecken gebraucht werden soll; 2) wenn das-
selbe fremdem Einfluß in Beziehung auf Erziehung, religiöses Bekennt-

t) Revision von 1845. II. S. 146-48.

§§. 204-209. Die Entführung.
wohl gegen den letzteren, als gegen die Eltern oder Vormünder in den
Fällen Nr. 1. fünf- bis zehnjährige Zuchthausſtrafe, und in den Fällen
Nr. 2. Strafarbeit bis zu fünf Jahren eintreten. — Die Strafe fällt
jedoch weg, wenn die Ueberlaſſung an Seiltänzer, Kunſtreiter, Mario-
nettenſpieler oder Gaukler mit obrigkeitlicher Genehmigung erfolgt iſt.“

Dieſe Vorſchriften wurden aber in dem Miniſterium für die Geſetz-
Reviſion einer Kritik unterworfen, welche zu erheblichen Abänderungen
führte. Die Reviſionsſchrift hebt in dieſer Beziehung namentlich fol-
gende Geſichtspunkte hervor: t)

„Der §. 356. wird dadurch undeutlich, daß das Charakteriſtiſche
der hier zuſammengefaßten Handlungen, die dabei verfolgten Zwecke nicht
vorweg aufgeſtellt, und daß der §. ſelbſt nicht in verſchiedene Sätze auf-
gelöſt worden iſt. Es ſind nämlich als völlig gleichartig zuſammen zu
ſtellen die (in Nr. 1. und 2. des §. aufgeſtellten) Fälle, wobei Men-
ſchenverkauf (Seelenverkäuferei) und ähnliche ſchändliche Handlungen
beſtraft werden ſollen, nämlich der Menſchenraub, um den geraubten ent-
weder in entfernten Weltgegenden auszuſetzen, oder in Sklaverei oder
Leibeigenſchaft, oder in auswärtige Kriegs- oder Schiffsdienſte zu brin-
gen. Auf das Alter des Geraubten kommt es in allen dieſen Fällen
nicht an.“

„Ganz verſchieden davon ſind die (in Nr. 2. und 3. des §. auf-
geſtellten) Fälle, welche nur bei Kindern eintreten können, da für ſel-
tene, etwa auch bei Erwachſenen vorkommende Fälle ähnlicher Art, die
anderweiten Strafbeſtimmungen über die Nöthigung und das widerrecht-
liche Gefangenhalten genügenden Schutz gewähren. Bei vielen Fällen
dieſer Art iſt mit der Handlung noch die Abſicht verbunden, die Kinder
zu unſittlichen Zwecken zu gebrauchen, namentlich zum Betteln oder zu
unſittlichen Gewerben. In dieſen Fällen der an Kindern verübten Frei-
heitsberaubung, welche in Nr. 2. des §. erwähnt werden, kann die
Einwilligung der Eltern oder Vormünder von keinem mildernden Ein-
fluß auf die Strafbarkeit ſein.“

„Andere Fälle, in welchen ein Angriff auf die Freiheit des Kindes
geſchieht (Nr. 3. des §.), ſind zwar mit einer ſolchen abſichtlichen Ge-
fährdung der Sittlichkeit des Kindes nicht verbunden, ſie erſcheinen aber
dennoch inſoweit ſtrafbar, als dadurch das Erziehungsrecht der Eltern
oder Vormünder gekränkt, oder der Familienſtand gefährdet wird. Dieß
iſt der Fall 1) wenn das Kind zur Befriedigung des Eigennutzes, wenn
auch nicht zu unſittlichen Zwecken gebraucht werden ſoll; 2) wenn daſ-
ſelbe fremdem Einfluß in Beziehung auf Erziehung, religiöſes Bekennt-

t) Reviſion von 1845. II. S. 146-48.
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[389/0399] §§. 204-209. Die Entführung. wohl gegen den letzteren, als gegen die Eltern oder Vormünder in den Fällen Nr. 1. fünf- bis zehnjährige Zuchthausſtrafe, und in den Fällen Nr. 2. Strafarbeit bis zu fünf Jahren eintreten. — Die Strafe fällt jedoch weg, wenn die Ueberlaſſung an Seiltänzer, Kunſtreiter, Mario- nettenſpieler oder Gaukler mit obrigkeitlicher Genehmigung erfolgt iſt.“ Dieſe Vorſchriften wurden aber in dem Miniſterium für die Geſetz- Reviſion einer Kritik unterworfen, welche zu erheblichen Abänderungen führte. Die Reviſionsſchrift hebt in dieſer Beziehung namentlich fol- gende Geſichtspunkte hervor: t) „Der §. 356. wird dadurch undeutlich, daß das Charakteriſtiſche der hier zuſammengefaßten Handlungen, die dabei verfolgten Zwecke nicht vorweg aufgeſtellt, und daß der §. ſelbſt nicht in verſchiedene Sätze auf- gelöſt worden iſt. Es ſind nämlich als völlig gleichartig zuſammen zu ſtellen die (in Nr. 1. und 2. des §. aufgeſtellten) Fälle, wobei Men- ſchenverkauf (Seelenverkäuferei) und ähnliche ſchändliche Handlungen beſtraft werden ſollen, nämlich der Menſchenraub, um den geraubten ent- weder in entfernten Weltgegenden auszuſetzen, oder in Sklaverei oder Leibeigenſchaft, oder in auswärtige Kriegs- oder Schiffsdienſte zu brin- gen. Auf das Alter des Geraubten kommt es in allen dieſen Fällen nicht an.“ „Ganz verſchieden davon ſind die (in Nr. 2. und 3. des §. auf- geſtellten) Fälle, welche nur bei Kindern eintreten können, da für ſel- tene, etwa auch bei Erwachſenen vorkommende Fälle ähnlicher Art, die anderweiten Strafbeſtimmungen über die Nöthigung und das widerrecht- liche Gefangenhalten genügenden Schutz gewähren. Bei vielen Fällen dieſer Art iſt mit der Handlung noch die Abſicht verbunden, die Kinder zu unſittlichen Zwecken zu gebrauchen, namentlich zum Betteln oder zu unſittlichen Gewerben. In dieſen Fällen der an Kindern verübten Frei- heitsberaubung, welche in Nr. 2. des §. erwähnt werden, kann die Einwilligung der Eltern oder Vormünder von keinem mildernden Ein- fluß auf die Strafbarkeit ſein.“ „Andere Fälle, in welchen ein Angriff auf die Freiheit des Kindes geſchieht (Nr. 3. des §.), ſind zwar mit einer ſolchen abſichtlichen Ge- fährdung der Sittlichkeit des Kindes nicht verbunden, ſie erſcheinen aber dennoch inſoweit ſtrafbar, als dadurch das Erziehungsrecht der Eltern oder Vormünder gekränkt, oder der Familienſtand gefährdet wird. Dieß iſt der Fall 1) wenn das Kind zur Befriedigung des Eigennutzes, wenn auch nicht zu unſittlichen Zwecken gebraucht werden ſoll; 2) wenn daſ- ſelbe fremdem Einfluß in Beziehung auf Erziehung, religiöſes Bekennt- t) Reviſion von 1845. II. S. 146-48.

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Zitationshilfe: Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851, S. 389. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/399>, abgerufen am 03.05.2024.