Zehnter Titel. Vergehen, welche sich auf die Religion beziehen.
§. 135.
Wer öffentlich in Worten, Schriften oder anderen Darstellungen Gott lästert, oder eine der christlichen Kirchen oder eine andere mit Korporations- rechten im Staate bestehende Religionsgesellschaft oder die Gegenstände ihrer Verehrung, ihre Lehren, Einrichtungen oder Gebräuche verspottet, oder in einer Weise darstellt, welche dieselben dem Hasse oder der Verachtung aussetzt, in- gleichen wer in Kirchen oder anderen religiösen Versammlungsorten an Gegen- ständen, welche dem Gottesdienste gewidmet sind, beschimpfenden Unfug verübt, wird mit Gefängniß bis zu drei Jahren bestraft.
§. 136.
Wer durch Thätlichkeiten oder Drohungen eine oder mehrere Personen zwingt oder hindert, den Gottesdienst einer im Staate bestehenden Religions- gesellschaft auszuüben, ingleichen wer in Kirchen oder anderen religiösen Ver- sammlungsorten durch Erregung von Lärm und Unordnung den Gottesdienst oder einzelne gottesdienstliche Verrichtungen einer im Staate bestehenden Reli- gionsgesellschaft verhindert oder stört, soll mit Gefängniß von Einem Monate bis zu drei Jahren bestraft werden.
Es werden in diesen Paragraphen eine Reihe von Vergehen auf- geführt, welche in einer bestimmten Beziehung zu dem religiösen Glauben und den Religionshandlungen stehen, und im Allgemeinen auch mit derselben Strafe bedroht sind, nur daß für die Fälle des §. 136. ein Minimum von Einem Monat Gefängniß vorgeschrieben ist.
I. Die Gotteslästerung. In der Kommission der zweiten Kammer wurde der Antrag gestellt, ein solches Vergehen nicht mehr im Straf- gesetzbuch aufzuführen; die Handlung selbst, welche darunter gemeint sei, werde auch ohne dieß als eine Verspottung und Verachtung der Gegen- stände der Verehrung u. s. w. der einzelnen Kirchen bestraft; die vor- geschlagene Fassung aber lasse die Deutung zu, als wolle der Staat in das religiöse Gebiet übergreifen, und Verletzungen der religiösen Pflicht des Individuums strafen, oder gar als solle Gott als die beleidigte Person angesehen und gegen diese Verletzung durch Strafen gesichert werden. -- Dagegen wurde aber auch von solchen, welche die alte Vorstellung von der Gotteslästerung nicht theilen konnten, auf jene Ausführung erwiedert, daß die Gotteslästerung jedenfalls eine Ver- letzung des religiösen Gefühls enthalte, welches Anspruch auf Schutz
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§§. 135. 136. Gottesläſterung u. ſ. w.
Zehnter Titel. Vergehen, welche ſich auf die Religion beziehen.
§. 135.
Wer öffentlich in Worten, Schriften oder anderen Darſtellungen Gott läſtert, oder eine der chriſtlichen Kirchen oder eine andere mit Korporations- rechten im Staate beſtehende Religionsgeſellſchaft oder die Gegenſtände ihrer Verehrung, ihre Lehren, Einrichtungen oder Gebräuche verſpottet, oder in einer Weiſe darſtellt, welche dieſelben dem Haſſe oder der Verachtung ausſetzt, in- gleichen wer in Kirchen oder anderen religiöſen Verſammlungsorten an Gegen- ſtänden, welche dem Gottesdienſte gewidmet ſind, beſchimpfenden Unfug verübt, wird mit Gefängniß bis zu drei Jahren beſtraft.
§. 136.
Wer durch Thätlichkeiten oder Drohungen eine oder mehrere Perſonen zwingt oder hindert, den Gottesdienſt einer im Staate beſtehenden Religions- geſellſchaft auszuüben, ingleichen wer in Kirchen oder anderen religiöſen Ver- ſammlungsorten durch Erregung von Lärm und Unordnung den Gottesdienſt oder einzelne gottesdienſtliche Verrichtungen einer im Staate beſtehenden Reli- gionsgeſellſchaft verhindert oder ſtört, ſoll mit Gefängniß von Einem Monate bis zu drei Jahren beſtraft werden.
Es werden in dieſen Paragraphen eine Reihe von Vergehen auf- geführt, welche in einer beſtimmten Beziehung zu dem religiöſen Glauben und den Religionshandlungen ſtehen, und im Allgemeinen auch mit derſelben Strafe bedroht ſind, nur daß für die Fälle des §. 136. ein Minimum von Einem Monat Gefängniß vorgeſchrieben iſt.
I. Die Gottesläſterung. In der Kommiſſion der zweiten Kammer wurde der Antrag geſtellt, ein ſolches Vergehen nicht mehr im Straf- geſetzbuch aufzuführen; die Handlung ſelbſt, welche darunter gemeint ſei, werde auch ohne dieß als eine Verſpottung und Verachtung der Gegen- ſtände der Verehrung u. ſ. w. der einzelnen Kirchen beſtraft; die vor- geſchlagene Faſſung aber laſſe die Deutung zu, als wolle der Staat in das religiöſe Gebiet übergreifen, und Verletzungen der religiöſen Pflicht des Individuums ſtrafen, oder gar als ſolle Gott als die beleidigte Perſon angeſehen und gegen dieſe Verletzung durch Strafen geſichert werden. — Dagegen wurde aber auch von ſolchen, welche die alte Vorſtellung von der Gottesläſterung nicht theilen konnten, auf jene Ausführung erwiedert, daß die Gottesläſterung jedenfalls eine Ver- letzung des religiöſen Gefühls enthalte, welches Anſpruch auf Schutz
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§§. 135. 136. Gottesläſterung u. ſ. w.
Zehnter Titel.
Vergehen, welche ſich auf die Religion beziehen.
§. 135.
Wer öffentlich in Worten, Schriften oder anderen Darſtellungen Gott
läſtert, oder eine der chriſtlichen Kirchen oder eine andere mit Korporations-
rechten im Staate beſtehende Religionsgeſellſchaft oder die Gegenſtände ihrer
Verehrung, ihre Lehren, Einrichtungen oder Gebräuche verſpottet, oder in einer
Weiſe darſtellt, welche dieſelben dem Haſſe oder der Verachtung ausſetzt, in-
gleichen wer in Kirchen oder anderen religiöſen Verſammlungsorten an Gegen-
ſtänden, welche dem Gottesdienſte gewidmet ſind, beſchimpfenden Unfug verübt,
wird mit Gefängniß bis zu drei Jahren beſtraft.
§. 136.
Wer durch Thätlichkeiten oder Drohungen eine oder mehrere Perſonen
zwingt oder hindert, den Gottesdienſt einer im Staate beſtehenden Religions-
geſellſchaft auszuüben, ingleichen wer in Kirchen oder anderen religiöſen Ver-
ſammlungsorten durch Erregung von Lärm und Unordnung den Gottesdienſt
oder einzelne gottesdienſtliche Verrichtungen einer im Staate beſtehenden Reli-
gionsgeſellſchaft verhindert oder ſtört, ſoll mit Gefängniß von Einem Monate
bis zu drei Jahren beſtraft werden.
Es werden in dieſen Paragraphen eine Reihe von Vergehen auf-
geführt, welche in einer beſtimmten Beziehung zu dem religiöſen Glauben
und den Religionshandlungen ſtehen, und im Allgemeinen auch mit
derſelben Strafe bedroht ſind, nur daß für die Fälle des §. 136. ein
Minimum von Einem Monat Gefängniß vorgeſchrieben iſt.
I. Die Gottesläſterung. In der Kommiſſion der zweiten Kammer
wurde der Antrag geſtellt, ein ſolches Vergehen nicht mehr im Straf-
geſetzbuch aufzuführen; die Handlung ſelbſt, welche darunter gemeint ſei,
werde auch ohne dieß als eine Verſpottung und Verachtung der Gegen-
ſtände der Verehrung u. ſ. w. der einzelnen Kirchen beſtraft; die vor-
geſchlagene Faſſung aber laſſe die Deutung zu, als wolle der Staat in
das religiöſe Gebiet übergreifen, und Verletzungen der religiöſen Pflicht
des Individuums ſtrafen, oder gar als ſolle Gott als die beleidigte
Perſon angeſehen und gegen dieſe Verletzung durch Strafen geſichert
werden. — Dagegen wurde aber auch von ſolchen, welche die alte
Vorſtellung von der Gottesläſterung nicht theilen konnten, auf jene
Ausführung erwiedert, daß die Gottesläſterung jedenfalls eine Ver-
letzung des religiöſen Gefühls enthalte, welches Anſpruch auf Schutz
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Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851, S. 299. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/309>, abgerufen am 21.11.2024.
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