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Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851.

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§. 130. Verleitung zum Meineide.
ausdrücklich unter jenen Mitteln aufgeführt wären. Die Verleitung zu
einem Verbrechen oder Vergehen wird aber als Theilnahme nur dann
bestraft, wenn sie von Erfolg gewesen ist; der vergebliche Versuch der
Anstiftung unterliegt dagegen nach den allgemeinen Grundsätzen des
Gesetzbuchs keiner Bestrafung. Bei dem Meineide aber rechtfertigt sich
im Interesse der Rechtssicherheit und der öffentlichen Moral eine Aus-
nahme von dieser Regel, und eine solche stellt der §. 130. auf und
dehnt sie auch auf die erfolglose Verleitung zur Abgabe einer falschen
Versicherung an Eides statt aus.

Der Entwurf von 1850. bestimmte in dieser Beziehung:

§. 118. "Derjenige, welcher einen Anderen wissentlich zur Aus-
schwörung eines falschen Eides in dessen eigenen Angelegenheiten, zur
eidlichen Bekräftigung einer Unwahrheit nach abgeleistetem Zeugeneide
oder zur Abgabe einer falschen Versicherung an Eides statt verleitet,
wird dadurch nicht straflos, daß der Verleitete nicht wissentlich die
Unwahrheit sagt, oder aus einem anderen ihm persönlichen Grunde nicht
schuldig ist."

In dieser Fassung hatte der Paragraph keine andere Bedeutung,
als daß er ein kasuistisches Bedenken aus der Lehre von der Theil-
nahme an einem Verbrechen oder Vergehen in Beziehung auf einen
bestimmten Fall löste: auch wenn der Thäter nicht schuldig ist, soll
doch der Anstifter bestraft werden. Erst durch die in der Kommission
der zweiten Kammer vorgenommene Abänderung hat die Gesetzesvorschrift
die Bedeutung eines positiven Rechtssatzes erhalten.

I. Die Worte: "in dessen eigenen Angelegenheiten" beziehen sich
auf den Fall des §. 125., wenn jemand als Partei im Civilprozeß
einen Eid leistet, und also der Anstifter darauf ausgeht, einen Anderen
zur Ablegung eines falschen Parteieneides zu verleiten. Die folgenden
Worte: "zur eidlichen Bekräftigung einer Unwahrheit oder zur Angabe
der Unwahrheit" bezeichnen den Fall des Zeugeneides (§. 126.), je
nachdem derselbe vor oder nach der Aussage abgeleistet wird. Es fragt
sich aber, ob sie auch auf die versuchte Verleitung eines Sachverstän-
digen zur Ausstellung eines falschen Gutachtens (§. 127.) bezogen
werden können. Die Worte: "zur eidlichen Bekräftigung einer Unwahr-
heit" würden nach demjenigen Verfahren, welches die Beeidigung erst
nach der Ausstellung des Gutachtens eintreten läßt, für jene Annahme
sprechen; aber da, wo die Beeidigung vorher geht, läßt sich die Ge-
setzesstelle auf diesen Fall nicht anwenden, denn es heißt ausdrücklich:
"zur Angabe der Unwahrheit nach abgeleistetem Zeugeneide."
Da nun gar kein Grund abzusehen ist, warum die erfolglose Verleitung
des Sachverständigen in dem Einen Fall bestraft werden sollte und in

§. 130. Verleitung zum Meineide.
ausdrücklich unter jenen Mitteln aufgeführt wären. Die Verleitung zu
einem Verbrechen oder Vergehen wird aber als Theilnahme nur dann
beſtraft, wenn ſie von Erfolg geweſen iſt; der vergebliche Verſuch der
Anſtiftung unterliegt dagegen nach den allgemeinen Grundſätzen des
Geſetzbuchs keiner Beſtrafung. Bei dem Meineide aber rechtfertigt ſich
im Intereſſe der Rechtsſicherheit und der öffentlichen Moral eine Aus-
nahme von dieſer Regel, und eine ſolche ſtellt der §. 130. auf und
dehnt ſie auch auf die erfolgloſe Verleitung zur Abgabe einer falſchen
Verſicherung an Eides ſtatt aus.

Der Entwurf von 1850. beſtimmte in dieſer Beziehung:

§. 118. „Derjenige, welcher einen Anderen wiſſentlich zur Aus-
ſchwörung eines falſchen Eides in deſſen eigenen Angelegenheiten, zur
eidlichen Bekräftigung einer Unwahrheit nach abgeleiſtetem Zeugeneide
oder zur Abgabe einer falſchen Verſicherung an Eides ſtatt verleitet,
wird dadurch nicht ſtraflos, daß der Verleitete nicht wiſſentlich die
Unwahrheit ſagt, oder aus einem anderen ihm perſönlichen Grunde nicht
ſchuldig iſt.“

In dieſer Faſſung hatte der Paragraph keine andere Bedeutung,
als daß er ein kaſuiſtiſches Bedenken aus der Lehre von der Theil-
nahme an einem Verbrechen oder Vergehen in Beziehung auf einen
beſtimmten Fall löſte: auch wenn der Thäter nicht ſchuldig iſt, ſoll
doch der Anſtifter beſtraft werden. Erſt durch die in der Kommiſſion
der zweiten Kammer vorgenommene Abänderung hat die Geſetzesvorſchrift
die Bedeutung eines poſitiven Rechtsſatzes erhalten.

I. Die Worte: „in deſſen eigenen Angelegenheiten“ beziehen ſich
auf den Fall des §. 125., wenn jemand als Partei im Civilprozeß
einen Eid leiſtet, und alſo der Anſtifter darauf ausgeht, einen Anderen
zur Ablegung eines falſchen Parteieneides zu verleiten. Die folgenden
Worte: „zur eidlichen Bekräftigung einer Unwahrheit oder zur Angabe
der Unwahrheit“ bezeichnen den Fall des Zeugeneides (§. 126.), je
nachdem derſelbe vor oder nach der Ausſage abgeleiſtet wird. Es fragt
ſich aber, ob ſie auch auf die verſuchte Verleitung eines Sachverſtän-
digen zur Ausſtellung eines falſchen Gutachtens (§. 127.) bezogen
werden können. Die Worte: „zur eidlichen Bekräftigung einer Unwahr-
heit“ würden nach demjenigen Verfahren, welches die Beeidigung erſt
nach der Ausſtellung des Gutachtens eintreten läßt, für jene Annahme
ſprechen; aber da, wo die Beeidigung vorher geht, läßt ſich die Ge-
ſetzesſtelle auf dieſen Fall nicht anwenden, denn es heißt ausdrücklich:
„zur Angabe der Unwahrheit nach abgeleiſtetem Zeugeneide.“
Da nun gar kein Grund abzuſehen iſt, warum die erfolgloſe Verleitung
des Sachverſtändigen in dem Einen Fall beſtraft werden ſollte und in

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[295/0305] §. 130. Verleitung zum Meineide. ausdrücklich unter jenen Mitteln aufgeführt wären. Die Verleitung zu einem Verbrechen oder Vergehen wird aber als Theilnahme nur dann beſtraft, wenn ſie von Erfolg geweſen iſt; der vergebliche Verſuch der Anſtiftung unterliegt dagegen nach den allgemeinen Grundſätzen des Geſetzbuchs keiner Beſtrafung. Bei dem Meineide aber rechtfertigt ſich im Intereſſe der Rechtsſicherheit und der öffentlichen Moral eine Aus- nahme von dieſer Regel, und eine ſolche ſtellt der §. 130. auf und dehnt ſie auch auf die erfolgloſe Verleitung zur Abgabe einer falſchen Verſicherung an Eides ſtatt aus. Der Entwurf von 1850. beſtimmte in dieſer Beziehung: §. 118. „Derjenige, welcher einen Anderen wiſſentlich zur Aus- ſchwörung eines falſchen Eides in deſſen eigenen Angelegenheiten, zur eidlichen Bekräftigung einer Unwahrheit nach abgeleiſtetem Zeugeneide oder zur Abgabe einer falſchen Verſicherung an Eides ſtatt verleitet, wird dadurch nicht ſtraflos, daß der Verleitete nicht wiſſentlich die Unwahrheit ſagt, oder aus einem anderen ihm perſönlichen Grunde nicht ſchuldig iſt.“ In dieſer Faſſung hatte der Paragraph keine andere Bedeutung, als daß er ein kaſuiſtiſches Bedenken aus der Lehre von der Theil- nahme an einem Verbrechen oder Vergehen in Beziehung auf einen beſtimmten Fall löſte: auch wenn der Thäter nicht ſchuldig iſt, ſoll doch der Anſtifter beſtraft werden. Erſt durch die in der Kommiſſion der zweiten Kammer vorgenommene Abänderung hat die Geſetzesvorſchrift die Bedeutung eines poſitiven Rechtsſatzes erhalten. I. Die Worte: „in deſſen eigenen Angelegenheiten“ beziehen ſich auf den Fall des §. 125., wenn jemand als Partei im Civilprozeß einen Eid leiſtet, und alſo der Anſtifter darauf ausgeht, einen Anderen zur Ablegung eines falſchen Parteieneides zu verleiten. Die folgenden Worte: „zur eidlichen Bekräftigung einer Unwahrheit oder zur Angabe der Unwahrheit“ bezeichnen den Fall des Zeugeneides (§. 126.), je nachdem derſelbe vor oder nach der Ausſage abgeleiſtet wird. Es fragt ſich aber, ob ſie auch auf die verſuchte Verleitung eines Sachverſtän- digen zur Ausſtellung eines falſchen Gutachtens (§. 127.) bezogen werden können. Die Worte: „zur eidlichen Bekräftigung einer Unwahr- heit“ würden nach demjenigen Verfahren, welches die Beeidigung erſt nach der Ausſtellung des Gutachtens eintreten läßt, für jene Annahme ſprechen; aber da, wo die Beeidigung vorher geht, läßt ſich die Ge- ſetzesſtelle auf dieſen Fall nicht anwenden, denn es heißt ausdrücklich: „zur Angabe der Unwahrheit nach abgeleiſtetem Zeugeneide.“ Da nun gar kein Grund abzuſehen iſt, warum die erfolgloſe Verleitung des Sachverſtändigen in dem Einen Fall beſtraft werden ſollte und in

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Zitationshilfe: Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851, S. 295. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/305>, abgerufen am 27.04.2024.