I. Die Pflicht der Anzeige eines verbrecherischen Vorhabens be- zieht sich nur auf einzelne bestimmte Verbrechen. Unter der Münzfäl- schung ist namentlich nur das Münzverbrechen verstanden, nicht aber das in §. 123. behandelte Münzvergehen. Ebenso sind von den, Th. II. Tit. 27. aufgeführten gemeingefährlichen Verbrechen nur solche gemeint, welche das Leben eines Menschen gefährden, also die Brandstiftung, die Ueberschwemmung und andere verwandte Verbrechen nur in ihren schwer- sten Erscheinungen. Die Vorschrift des Gesetzes wird daher z. B. auf die §. 206. aufgeführten Fälle der Brandstiftung nur selten Anwendung finden, und auf gemeingefährliche Vergehen niemals.
II. Das verbrecherische Vorhaben muß demjenigen, welcher zur Anzeige verpflichtet sein soll, zu einer Zeit bekannt geworden sein, wo die Verhütung des Verbrechens noch möglich war. Er muß aber auch "glaubhafte" Kenntniß von dem Vorhaben haben. Anfangs hatte man dafür nach dem Vorgange des Allg. Landrechts den Ausdruck: "zuver- lässige" Kenntniß gewählt, zog aber jene Bezeichnung vor, weil sie die Sache weniger objektiv hinstelle. Glaubhaft sei, was nicht auf leeren Gerüchten beruhe, sondern von verständigen Menschen geglaubt zu wer- den pflege. c) Im Einzelnen kommt freilich Alles wieder auf die Beur- theilung der Persönlichkeiten und der Umstände an.
III. Die Anzeige muß zur rechten Zeit geschehen, was nur so zu verstehen ist, daß in Folge der Anzeige das Verbrechen noch verhindert werden kann. Ist dieß demjenigen, der die glaubhafte Kenntniß von dem Vorhaben erhalten hat, nicht mehr möglich gewesen, so ist er ent- schuldigt. Denn er ist ja überhaupt nur zur Anzeige verpflichtet, wenn die Verhütung des Verbrechens noch möglich ist; um so mehr hat er seine Schuldigkeit gethan, wenn er die Anzeige machte, es aber nicht rechtzeitig thun konnte. -- Auch kann derselbe wählen, ob er die An- zeige der Behörde oder der Person machen will, welche durch das Ver- brechen bedroht ist. Letzterer setz aber natürlich voraus, daß es sich um ein verbrecherisches Vorhaben handelt, welches zunächst gegen bestimmte Personen gerichtet ist. Unter der Behörde, welche hier genannt ist, kann nur eine solche zu verstehen sein, deren Aufgabe die Verhütung und Verfolgung der Verbrechen ist, oder die wenigstens die Verpflichtung hat, den Einzelnen gegen verbrecherische Angriffe zu schützen. Es wird daher bei der Polizeibehörde, der Staatsanwaltschaft, unter Umständen bei der Militairwache die Anzeige zu machen sein.
IV. Die Strafe der unterlassenen Anzeige tritt jedenfalls nur dann
c)Berathungs-Protokolle der Staatsraths-Kommission I. S. 87. -- Revision von 1845. I. S. 171.
§. 39. Unterlaſſene Anzeige.
I. Die Pflicht der Anzeige eines verbrecheriſchen Vorhabens be- zieht ſich nur auf einzelne beſtimmte Verbrechen. Unter der Münzfäl- ſchung iſt namentlich nur das Münzverbrechen verſtanden, nicht aber das in §. 123. behandelte Münzvergehen. Ebenſo ſind von den, Th. II. Tit. 27. aufgeführten gemeingefährlichen Verbrechen nur ſolche gemeint, welche das Leben eines Menſchen gefährden, alſo die Brandſtiftung, die Ueberſchwemmung und andere verwandte Verbrechen nur in ihren ſchwer- ſten Erſcheinungen. Die Vorſchrift des Geſetzes wird daher z. B. auf die §. 206. aufgeführten Fälle der Brandſtiftung nur ſelten Anwendung finden, und auf gemeingefährliche Vergehen niemals.
II. Das verbrecheriſche Vorhaben muß demjenigen, welcher zur Anzeige verpflichtet ſein ſoll, zu einer Zeit bekannt geworden ſein, wo die Verhütung des Verbrechens noch möglich war. Er muß aber auch „glaubhafte“ Kenntniß von dem Vorhaben haben. Anfangs hatte man dafür nach dem Vorgange des Allg. Landrechts den Ausdruck: „zuver- läſſige“ Kenntniß gewählt, zog aber jene Bezeichnung vor, weil ſie die Sache weniger objektiv hinſtelle. Glaubhaft ſei, was nicht auf leeren Gerüchten beruhe, ſondern von verſtändigen Menſchen geglaubt zu wer- den pflege. c) Im Einzelnen kommt freilich Alles wieder auf die Beur- theilung der Perſönlichkeiten und der Umſtände an.
III. Die Anzeige muß zur rechten Zeit geſchehen, was nur ſo zu verſtehen iſt, daß in Folge der Anzeige das Verbrechen noch verhindert werden kann. Iſt dieß demjenigen, der die glaubhafte Kenntniß von dem Vorhaben erhalten hat, nicht mehr möglich geweſen, ſo iſt er ent- ſchuldigt. Denn er iſt ja überhaupt nur zur Anzeige verpflichtet, wenn die Verhütung des Verbrechens noch möglich iſt; um ſo mehr hat er ſeine Schuldigkeit gethan, wenn er die Anzeige machte, es aber nicht rechtzeitig thun konnte. — Auch kann derſelbe wählen, ob er die An- zeige der Behörde oder der Perſon machen will, welche durch das Ver- brechen bedroht iſt. Letzterer ſetz aber natürlich voraus, daß es ſich um ein verbrecheriſches Vorhaben handelt, welches zunächſt gegen beſtimmte Perſonen gerichtet iſt. Unter der Behörde, welche hier genannt iſt, kann nur eine ſolche zu verſtehen ſein, deren Aufgabe die Verhütung und Verfolgung der Verbrechen iſt, oder die wenigſtens die Verpflichtung hat, den Einzelnen gegen verbrecheriſche Angriffe zu ſchützen. Es wird daher bei der Polizeibehörde, der Staatsanwaltſchaft, unter Umſtänden bei der Militairwache die Anzeige zu machen ſein.
IV. Die Strafe der unterlaſſenen Anzeige tritt jedenfalls nur dann
c)Berathungs-Protokolle der Staatsraths-Kommiſſion I. S. 87. — Reviſion von 1845. I. S. 171.
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§. 39. Unterlaſſene Anzeige.
I. Die Pflicht der Anzeige eines verbrecheriſchen Vorhabens be-
zieht ſich nur auf einzelne beſtimmte Verbrechen. Unter der Münzfäl-
ſchung iſt namentlich nur das Münzverbrechen verſtanden, nicht aber das
in §. 123. behandelte Münzvergehen. Ebenſo ſind von den, Th. II.
Tit. 27. aufgeführten gemeingefährlichen Verbrechen nur ſolche gemeint,
welche das Leben eines Menſchen gefährden, alſo die Brandſtiftung, die
Ueberſchwemmung und andere verwandte Verbrechen nur in ihren ſchwer-
ſten Erſcheinungen. Die Vorſchrift des Geſetzes wird daher z. B. auf
die §. 206. aufgeführten Fälle der Brandſtiftung nur ſelten Anwendung
finden, und auf gemeingefährliche Vergehen niemals.
II. Das verbrecheriſche Vorhaben muß demjenigen, welcher zur
Anzeige verpflichtet ſein ſoll, zu einer Zeit bekannt geworden ſein, wo
die Verhütung des Verbrechens noch möglich war. Er muß aber auch
„glaubhafte“ Kenntniß von dem Vorhaben haben. Anfangs hatte man
dafür nach dem Vorgange des Allg. Landrechts den Ausdruck: „zuver-
läſſige“ Kenntniß gewählt, zog aber jene Bezeichnung vor, weil ſie die
Sache weniger objektiv hinſtelle. Glaubhaft ſei, was nicht auf leeren
Gerüchten beruhe, ſondern von verſtändigen Menſchen geglaubt zu wer-
den pflege. c) Im Einzelnen kommt freilich Alles wieder auf die Beur-
theilung der Perſönlichkeiten und der Umſtände an.
III. Die Anzeige muß zur rechten Zeit geſchehen, was nur ſo zu
verſtehen iſt, daß in Folge der Anzeige das Verbrechen noch verhindert
werden kann. Iſt dieß demjenigen, der die glaubhafte Kenntniß von
dem Vorhaben erhalten hat, nicht mehr möglich geweſen, ſo iſt er ent-
ſchuldigt. Denn er iſt ja überhaupt nur zur Anzeige verpflichtet, wenn
die Verhütung des Verbrechens noch möglich iſt; um ſo mehr hat er
ſeine Schuldigkeit gethan, wenn er die Anzeige machte, es aber nicht
rechtzeitig thun konnte. — Auch kann derſelbe wählen, ob er die An-
zeige der Behörde oder der Perſon machen will, welche durch das Ver-
brechen bedroht iſt. Letzterer ſetz aber natürlich voraus, daß es ſich um
ein verbrecheriſches Vorhaben handelt, welches zunächſt gegen beſtimmte
Perſonen gerichtet iſt. Unter der Behörde, welche hier genannt iſt, kann
nur eine ſolche zu verſtehen ſein, deren Aufgabe die Verhütung und
Verfolgung der Verbrechen iſt, oder die wenigſtens die Verpflichtung
hat, den Einzelnen gegen verbrecheriſche Angriffe zu ſchützen. Es wird
daher bei der Polizeibehörde, der Staatsanwaltſchaft, unter Umſtänden
bei der Militairwache die Anzeige zu machen ſein.
IV. Die Strafe der unterlaſſenen Anzeige tritt jedenfalls nur dann
c) Berathungs-Protokolle der Staatsraths-Kommiſſion I. S. 87.
— Reviſion von 1845. I. S. 171.
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Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/183>, abgerufen am 22.11.2024.
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