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Berthold, Franz [d. i. Adelheid Reinbold]: Irrwisch-Fritze. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 4. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [1]–115. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Erlkönig geschaffen zu haben schien. Eine weite Fläche, weißlich im Mondschein glänzend, im Halbkreis von wolkig geballten, aus dem Moor aufsteigenden Nebeln begrenzt, von grau schimmernden Reihen zwergiger Weiden durchzogen, welche den düstern Ort bildeten, wo die Töchter zu tanzen pflegen. Dämmernd lag der Himmel darüber und floß mit der geisterhaft verklärten Erde an ihren Grenzen zusammen. Lieschen's Herz schlug heftig, sie begann zu überlegen und ihr Unternehmen eine Thorheit zu schelten. Da stand sie einsam in der Nacht und wußte nicht, nach welcher Seite sie sich wenden sollte, um die Heimath zu erreichen, nicht wohin, um zu dem Immeker zu gelangen. Wie konnte sie Fritz nun noch einzuholen hoffen, der einen Vorsprung von einer Viertelstunde vor ihr hatte und vielleicht eine ganz andere Richtung verfolgte, als die, auf welcher jene Schritte sie getäuscht? wer wußte, wem sie angehörten? Aber sie sagte sich, daß sie, um nach Hause zu kommen, durch's Moor müsse, von dem sie sich entfernt, daß sie es ebenfalls, nur in anderer Richtung, zu durchschneiden habe, wenn sie zum Immeker wolle; so faßte sie denn Muth und kehrte dahin zurück. Im Vorbeigehen glaubte sie in einem Busch ein Rauschen zu vernehmen. Erst hielt sie es für den Wind, der sich in der Ferne erhob; aber als sie sich wieder nach dem Gestrüpp umkehrte, sah sie einen dunkeln Schatten, der sich darin regte. Sie schrie laut auf und floh tiefer in's Moor; hinter sich hörte sie Fußtritte --

Erlkönig geschaffen zu haben schien. Eine weite Fläche, weißlich im Mondschein glänzend, im Halbkreis von wolkig geballten, aus dem Moor aufsteigenden Nebeln begrenzt, von grau schimmernden Reihen zwergiger Weiden durchzogen, welche den düstern Ort bildeten, wo die Töchter zu tanzen pflegen. Dämmernd lag der Himmel darüber und floß mit der geisterhaft verklärten Erde an ihren Grenzen zusammen. Lieschen's Herz schlug heftig, sie begann zu überlegen und ihr Unternehmen eine Thorheit zu schelten. Da stand sie einsam in der Nacht und wußte nicht, nach welcher Seite sie sich wenden sollte, um die Heimath zu erreichen, nicht wohin, um zu dem Immeker zu gelangen. Wie konnte sie Fritz nun noch einzuholen hoffen, der einen Vorsprung von einer Viertelstunde vor ihr hatte und vielleicht eine ganz andere Richtung verfolgte, als die, auf welcher jene Schritte sie getäuscht? wer wußte, wem sie angehörten? Aber sie sagte sich, daß sie, um nach Hause zu kommen, durch's Moor müsse, von dem sie sich entfernt, daß sie es ebenfalls, nur in anderer Richtung, zu durchschneiden habe, wenn sie zum Immeker wolle; so faßte sie denn Muth und kehrte dahin zurück. Im Vorbeigehen glaubte sie in einem Busch ein Rauschen zu vernehmen. Erst hielt sie es für den Wind, der sich in der Ferne erhob; aber als sie sich wieder nach dem Gestrüpp umkehrte, sah sie einen dunkeln Schatten, der sich darin regte. Sie schrie laut auf und floh tiefer in's Moor; hinter sich hörte sie Fußtritte —

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Zitationshilfe: Berthold, Franz [d. i. Adelheid Reinbold]: Irrwisch-Fritze. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 4. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [1]–115. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berthold_irrwischfritze_1910/71>, abgerufen am 24.04.2024.