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Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738.

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da doch Merckmaale genung
diejenigen unweißlich und unverantwortlich an
mir gehandelt, die mich zuerst vor einen solchen
Thor ausgeschryen, als ob ich mir kranck zu seyn
nur einbildete, es mögen dieselben nun gewesen
seyn, wer sie wollen.

Und gesetzt, es wäre nur eine bloße Einbil-
dung bey mir gewesen; so ist es ja eine recht un-
vernünfftige und unchristliche Sache, einen sol-
chen armen Menschen, der an bloßer Einbildung
kranck ist, als einen Narren auszulachen, und
ihn zum Gauckel-Spiel vor den Leuten darzu-
stellen. Wilst du ein Medicus, oder ein Phi-
losophus
seyn, so curire doch lieber einen solchen
armen Menschen von seiner Gemüths-Kranck-
heit. Wer sich einbildet, daß er kranck ist,
der statuiret und schliesset, daß er kranck sey. Da
er aber keine Bestie, sondern ein vernünfftiger
Mensch ist, so kan er solches unmöglich anders
schließen, als er muß medios terminos und ra-
tiones
zum Grunde haben, aus welchen er die
Conclusion ziehet, daß er kranck sey. Wohl-
an! so zeige ihm denn, daß seine Rationes null
und nichtig sind, und gar nicht beweisen, was
sie beweisen sollen. Denn damit ist einem sol-
chen armen Menschen nicht geholffen, daß du zu
ihm sagest, er bilde sich nur ein, er wäre kranck:
und wenn du tausend Eyde dazu schwürest, da-
durch würdest du ihn nicht von seinem irrigen

Wahn

da doch Merckmaale genung
diejenigen unweißlich und unverantwortlich an
mir gehandelt, die mich zuerſt vor einen ſolchen
Thor ausgeſchryen, als ob ich mir kranck zu ſeyn
nur einbildete, es moͤgen dieſelben nun geweſen
ſeyn, wer ſie wollen.

Und geſetzt, es waͤre nur eine bloße Einbil-
dung bey mir geweſen; ſo iſt es ja eine recht un-
vernuͤnfftige und unchriſtliche Sache, einen ſol-
chen armen Menſchen, der an bloßer Einbildung
kranck iſt, als einen Narren auszulachen, und
ihn zum Gauckel-Spiel vor den Leuten darzu-
ſtellen. Wilſt du ein Medicus, oder ein Phi-
loſophus
ſeyn, ſo curire doch lieber einen ſolchen
armen Menſchen von ſeiner Gemuͤths-Kranck-
heit. Wer ſich einbildet, daß er kranck iſt,
der ſtatuiret und ſchlieſſet, daß er kranck ſey. Da
er aber keine Beſtie, ſondern ein vernuͤnfftiger
Menſch iſt, ſo kan er ſolches unmoͤglich anders
ſchließen, als er muß medios terminos und ra-
tiones
zum Grunde haben, aus welchen er die
Concluſion ziehet, daß er kranck ſey. Wohl-
an! ſo zeige ihm denn, daß ſeine Rationes null
und nichtig ſind, und gar nicht beweiſen, was
ſie beweiſen ſollen. Denn damit iſt einem ſol-
chen armen Menſchen nicht geholffen, daß du zu
ihm ſageſt, er bilde ſich nur ein, er waͤre kranck:
und wenn du tauſend Eyde dazu ſchwuͤreſt, da-
durch wuͤrdeſt du ihn nicht von ſeinem irrigen

Wahn
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[478/0524] da doch Merckmaale genung diejenigen unweißlich und unverantwortlich an mir gehandelt, die mich zuerſt vor einen ſolchen Thor ausgeſchryen, als ob ich mir kranck zu ſeyn nur einbildete, es moͤgen dieſelben nun geweſen ſeyn, wer ſie wollen. Und geſetzt, es waͤre nur eine bloße Einbil- dung bey mir geweſen; ſo iſt es ja eine recht un- vernuͤnfftige und unchriſtliche Sache, einen ſol- chen armen Menſchen, der an bloßer Einbildung kranck iſt, als einen Narren auszulachen, und ihn zum Gauckel-Spiel vor den Leuten darzu- ſtellen. Wilſt du ein Medicus, oder ein Phi- loſophus ſeyn, ſo curire doch lieber einen ſolchen armen Menſchen von ſeiner Gemuͤths-Kranck- heit. Wer ſich einbildet, daß er kranck iſt, der ſtatuiret und ſchlieſſet, daß er kranck ſey. Da er aber keine Beſtie, ſondern ein vernuͤnfftiger Menſch iſt, ſo kan er ſolches unmoͤglich anders ſchließen, als er muß medios terminos und ra- tiones zum Grunde haben, aus welchen er die Concluſion ziehet, daß er kranck ſey. Wohl- an! ſo zeige ihm denn, daß ſeine Rationes null und nichtig ſind, und gar nicht beweiſen, was ſie beweiſen ſollen. Denn damit iſt einem ſol- chen armen Menſchen nicht geholffen, daß du zu ihm ſageſt, er bilde ſich nur ein, er waͤre kranck: und wenn du tauſend Eyde dazu ſchwuͤreſt, da- durch wuͤrdeſt du ihn nicht von ſeinem irrigen Wahn

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Zitationshilfe: Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738, S. 478. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/524>, abgerufen am 03.07.2024.