ihm viel zu weltlich noch zu seyn. Und, da er vollends hörte, daß ich von Halle nach Witten- berg gehen wolte, fieng er tieff an zu seuffzen, und fürchtete, daß nicht der kleine Anfang des guten dadurch bey mir im Fortgange möchte ge- hindert werden. Jch sagte ihm, ich wäre ja kein Kind mehr, sondern ein Mann von 32. Jah- ren, der endlich wohl alles prüffen, und das gute behalten gelernet hätte. Jn Wittenberg hätte ich gerne den berühmten Wernsdorff gehö- ret, oder nur gesehen, aber er war schon nach Leipzig. Den einen Tag gieng ich in die gol- dene Gans vor dem Schloß-Thore, die Zeit zu passiren, allwo ich eine sehr große Menge Stu- denten antraff, so im Luder lagen, und dem Sauffen, ja auch zum Theil, wie ich schliessen kunte, der Unzucht ergeben waren. Jch machte mit ihnen Bekanntschafft um allerhand neues von ihnen zu hören. Jhre Lästerungen waren ohne Maaß, welche sie wider die Hallenser aus- schütteten; sie schonten auch des jüngern Herrn Olearii in Leipzig nicht, wider den dazumahl eben Herr Wernsdorff seine Vindicias Orationis Dominicae heraus gegeben hatte. Jch muste warlich unter den Wölffen mit heulen, sonst wäre ich nicht mit gantzer Haut nach Hause ge- kommen.
Anno
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allwo ihn Herr Profeſſor Francke
ihm viel zu weltlich noch zu ſeyn. Und, da er vollends hoͤrte, daß ich von Halle nach Witten- berg gehen wolte, fieng er tieff an zu ſeuffzen, und fuͤrchtete, daß nicht der kleine Anfang des guten dadurch bey mir im Fortgange moͤchte ge- hindert werden. Jch ſagte ihm, ich waͤre ja kein Kind mehr, ſondern ein Mann von 32. Jah- ren, der endlich wohl alles pruͤffen, und das gute behalten gelernet haͤtte. Jn Wittenberg haͤtte ich gerne den beruͤhmten Wernsdorff gehoͤ- ret, oder nur geſehen, aber er war ſchon nach Leipzig. Den einen Tag gieng ich in die gol- dene Gans vor dem Schloß-Thore, die Zeit zu paſſiren, allwo ich eine ſehr große Menge Stu- denten antraff, ſo im Luder lagen, und dem Sauffen, ja auch zum Theil, wie ich ſchlieſſen kunte, der Unzucht ergeben waren. Jch machte mit ihnen Bekanntſchafft um allerhand neues von ihnen zu hoͤren. Jhre Laͤſterungen waren ohne Maaß, welche ſie wider die Hallenſer aus- ſchuͤtteten; ſie ſchonten auch des juͤngern Herrn Olearii in Leipzig nicht, wider den dazumahl eben Herr Wernsdorff ſeine Vindicias Orationis Dominicæ heraus gegeben hatte. Jch muſte warlich unter den Woͤlffen mit heulen, ſonſt waͤre ich nicht mit gantzer Haut nach Hauſe ge- kommen.
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allwo ihn Herr Profeſſor Francke
ihm viel zu weltlich noch zu ſeyn. Und, da er
vollends hoͤrte, daß ich von Halle nach Witten-
berg gehen wolte, fieng er tieff an zu ſeuffzen,
und fuͤrchtete, daß nicht der kleine Anfang des
guten dadurch bey mir im Fortgange moͤchte ge-
hindert werden. Jch ſagte ihm, ich waͤre ja
kein Kind mehr, ſondern ein Mann von 32. Jah-
ren, der endlich wohl alles pruͤffen, und das
gute behalten gelernet haͤtte. Jn Wittenberg
haͤtte ich gerne den beruͤhmten Wernsdorff gehoͤ-
ret, oder nur geſehen, aber er war ſchon nach
Leipzig. Den einen Tag gieng ich in die gol-
dene Gans vor dem Schloß-Thore, die Zeit zu
paſſiren, allwo ich eine ſehr große Menge Stu-
denten antraff, ſo im Luder lagen, und dem
Sauffen, ja auch zum Theil, wie ich ſchlieſſen
kunte, der Unzucht ergeben waren. Jch machte
mit ihnen Bekanntſchafft um allerhand neues
von ihnen zu hoͤren. Jhre Laͤſterungen waren
ohne Maaß, welche ſie wider die Hallenſer aus-
ſchuͤtteten; ſie ſchonten auch des juͤngern Herrn
Olearii in Leipzig nicht, wider den dazumahl
eben Herr Wernsdorff ſeine Vindicias Orationis
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Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738, S. 449. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/495>, abgerufen am 22.11.2024.
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