Nun ist noch übrig die Frage: Ob es denn auch solche böse Menschen gebe, die mit Wissen und Willen die Idee vom Selbst- Morde in ihrem Gehirne erwecken, eine rechte Neigung bekommen, solchen zu verüben, und nach geschehener Uberlegung mit völligem Ver- stande, und Vorsatz zu der That schreiten. Der Geheimde Rath Gundling trägt großes Bedencken, solche Frage zu bejahen. Die Wollüstigen, spricht er in einem Orte seiner Schrifften, erschrecken, wenn sie nur einen Tropffen Bluts von ihrem Leibe sehen, ge- schweige denn, daß sie sich selbst tödten solten. Der Hochmüthige hofft sich eher zu Tode, als daß er sich solte zu Tode fürchten, und sich selbst umbringen. Seine Ehre ist ihm viel zu lieb, als daß er seinen Feinden eine solche Freude ma- chen, und sich durch einen selbst erwehlten Tod vor ihnen beschimpffen solte. Der Phlegma- ticus, der, wie das todte Meer, schier ohne alle Bewegungen und Affecten ist, nimmt keine Ubel sonderlich zu Hertzen, sondern kan solche mit Geduld ertragen, wenn anders das, was aus seinem Phlegmate, und aus seinem Ge- blüte herrühret, eine Geduld zu nennen ist. Also bleibt niemand übrig, als der Melancholi-
cus,
Z 5
und ob es auch Menſchen gebe,
§. 74.
Nun iſt noch uͤbrig die Frage: Ob es denn auch ſolche boͤſe Menſchen gebe, die mit Wiſſen und Willen die Idée vom Selbſt- Morde in ihrem Gehirne erwecken, eine rechte Neigung bekommen, ſolchen zu veruͤben, und nach geſchehener Uberlegung mit voͤlligem Ver- ſtande, und Vorſatz zu der That ſchreiten. Der Geheimde Rath Gundling traͤgt großes Bedencken, ſolche Frage zu bejahen. Die Wolluͤſtigen, ſpricht er in einem Orte ſeiner Schrifften, erſchrecken, wenn ſie nur einen Tropffen Bluts von ihrem Leibe ſehen, ge- ſchweige denn, daß ſie ſich ſelbſt toͤdten ſolten. Der Hochmuͤthige hofft ſich eher zu Tode, als daß er ſich ſolte zu Tode fuͤrchten, und ſich ſelbſt umbringen. Seine Ehre iſt ihm viel zu lieb, als daß er ſeinen Feinden eine ſolche Freude ma- chen, und ſich durch einen ſelbſt erwehlten Tod vor ihnen beſchimpffen ſolte. Der Phlegma- ticus, der, wie das todte Meer, ſchier ohne alle Bewegungen und Affecten iſt, nimmt keine Ubel ſonderlich zu Hertzen, ſondern kan ſolche mit Geduld ertragen, wenn anders das, was aus ſeinem Phlegmate, und aus ſeinem Ge- bluͤte herruͤhret, eine Geduld zu nennen iſt. Alſo bleibt niemand uͤbrig, als der Melancholi-
cus,
Z 5
<TEI><text><body><pbfacs="#f0407"n="361"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">und ob es auch Menſchen gebe,</hi></fw><lb/><divn="1"><head>§. 74.</head><lb/><p>Nun iſt noch uͤbrig die Frage: Ob es<lb/>
denn auch ſolche boͤſe Menſchen gebe, die mit<lb/>
Wiſſen und Willen die <hirendition="#aq">Idée</hi> vom Selbſt-<lb/>
Morde in ihrem Gehirne erwecken, eine rechte<lb/>
Neigung bekommen, ſolchen zu veruͤben, und<lb/>
nach geſchehener Uberlegung mit voͤlligem Ver-<lb/>ſtande, und Vorſatz zu der That ſchreiten.<lb/>
Der Geheimde Rath <hirendition="#aq">Gundling</hi> traͤgt großes<lb/>
Bedencken, ſolche Frage zu bejahen. Die<lb/>
Wolluͤſtigen, ſpricht er in einem Orte ſeiner<lb/>
Schrifften, erſchrecken, wenn ſie nur einen<lb/>
Tropffen Bluts von ihrem Leibe ſehen, ge-<lb/>ſchweige denn, daß ſie ſich ſelbſt toͤdten ſolten.<lb/>
Der Hochmuͤthige hofft ſich eher zu Tode, als<lb/>
daß er ſich ſolte zu Tode fuͤrchten, und ſich ſelbſt<lb/>
umbringen. Seine Ehre iſt ihm viel zu lieb,<lb/>
als daß er ſeinen Feinden eine ſolche Freude ma-<lb/>
chen, und ſich durch einen ſelbſt erwehlten Tod<lb/>
vor ihnen beſchimpffen ſolte. Der <hirendition="#aq">Phlegma-<lb/>
ticus,</hi> der, wie das todte Meer, ſchier ohne alle<lb/>
Bewegungen und <hirendition="#aq">Affect</hi>en iſt, nimmt keine<lb/>
Ubel ſonderlich zu Hertzen, ſondern kan ſolche<lb/>
mit Geduld ertragen, wenn anders das, was<lb/>
aus ſeinem <hirendition="#aq">Phlegmate,</hi> und aus ſeinem Ge-<lb/>
bluͤte herruͤhret, eine Geduld zu nennen iſt.<lb/>
Alſo bleibt niemand uͤbrig, als der <hirendition="#aq">Melancholi-</hi><lb/><fwplace="bottom"type="sig">Z 5</fw><fwplace="bottom"type="catch"><hirendition="#aq">cus,</hi></fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[361/0407]
und ob es auch Menſchen gebe,
§. 74.
Nun iſt noch uͤbrig die Frage: Ob es
denn auch ſolche boͤſe Menſchen gebe, die mit
Wiſſen und Willen die Idée vom Selbſt-
Morde in ihrem Gehirne erwecken, eine rechte
Neigung bekommen, ſolchen zu veruͤben, und
nach geſchehener Uberlegung mit voͤlligem Ver-
ſtande, und Vorſatz zu der That ſchreiten.
Der Geheimde Rath Gundling traͤgt großes
Bedencken, ſolche Frage zu bejahen. Die
Wolluͤſtigen, ſpricht er in einem Orte ſeiner
Schrifften, erſchrecken, wenn ſie nur einen
Tropffen Bluts von ihrem Leibe ſehen, ge-
ſchweige denn, daß ſie ſich ſelbſt toͤdten ſolten.
Der Hochmuͤthige hofft ſich eher zu Tode, als
daß er ſich ſolte zu Tode fuͤrchten, und ſich ſelbſt
umbringen. Seine Ehre iſt ihm viel zu lieb,
als daß er ſeinen Feinden eine ſolche Freude ma-
chen, und ſich durch einen ſelbſt erwehlten Tod
vor ihnen beſchimpffen ſolte. Der Phlegma-
ticus, der, wie das todte Meer, ſchier ohne alle
Bewegungen und Affecten iſt, nimmt keine
Ubel ſonderlich zu Hertzen, ſondern kan ſolche
mit Geduld ertragen, wenn anders das, was
aus ſeinem Phlegmate, und aus ſeinem Ge-
bluͤte herruͤhret, eine Geduld zu nennen iſt.
Alſo bleibt niemand uͤbrig, als der Melancholi-
cus,
Z 5
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738, S. 361. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/407>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.