gemacht haben, welches fähig war, lebendige und erschreckliche Vorstellungen zu bekommen. Er bekam einst bey Tische eine deutliche Idee, als ob er sich das Messer, womit er aß, in Leib stäche, daß er auch die Hand feste halten muste, ja end- lich lieber das Messer in die Stube hinwarff, als daß er sich mit diesen Gedancken länger pla- gen wolte. Er erzehlet es selbsten in einem gewissen Orte seiner Schrifften, und ich wünschte, daß ich den Ort aufgezeichnet hätte, alß ich es gelesen. Es muß wohl zu einer Zeit ihm be- gegnet seyn, da sein Kopff, wie er selbst aber- mahl von sich schreibet, so ausgemergelt und wüste gewesen, daß es ihm geschienen, als ob er statt des Gehirnes lauter Stroh und Heckerling im Kopffe hätte. Noch elender siehets mit sol- chen Menschen aus, die viel und lange Jahre mit dergleichen Bildern geplaget werden. Ohn- gefehr vor 50. Jahren entleibte sich des Kret- schmar Raths-Herrens Frau in Breßlau, die alte Geißlerin genennt. Sie suchten diesen Tod vor ihren Töchtern eine Weile zu verbergen, weil es noch weiche, zärtliche, und schwache Mägdgen waren; sie wurden aber doch endlich alle beyde, da sie es erfuhren, so erschreckt, und durch diesen Affect mit dem Bilde des Selbst- Mords dermassen angesteckt, daß sie bis an das Ende ihres Lebens damit geplaget gewesen.
Keine
auf die ſeltſame Einbildung
gemacht haben, welches faͤhig war, lebendige und erſchreckliche Vorſtellungen zu bekommen. Er bekam einſt bey Tiſche eine deutliche Idée, als ob er ſich das Meſſer, womit er aß, in Leib ſtaͤche, daß er auch die Hand feſte halten muſte, ja end- lich lieber das Meſſer in die Stube hinwarff, als daß er ſich mit dieſen Gedancken laͤnger pla- gen wolte. Er erzehlet es ſelbſten in einem gewiſſen Orte ſeiner Schrifften, und ich wuͤnſchte, daß ich den Ort aufgezeichnet haͤtte, alß ich es geleſen. Es muß wohl zu einer Zeit ihm be- gegnet ſeyn, da ſein Kopff, wie er ſelbſt aber- mahl von ſich ſchreibet, ſo ausgemergelt und wuͤſte geweſen, daß es ihm geſchienen, als ob er ſtatt des Gehirnes lauter Stroh und Heckerling im Kopffe haͤtte. Noch elender ſiehets mit ſol- chen Menſchen aus, die viel und lange Jahre mit dergleichen Bildern geplaget werden. Ohn- gefehr vor 50. Jahren entleibte ſich des Kret- ſchmar Raths-Herrens Frau in Breßlau, die alte Geißlerin genennt. Sie ſuchten dieſen Tod vor ihren Toͤchtern eine Weile zu verbergen, weil es noch weiche, zaͤrtliche, und ſchwache Maͤgdgen waren; ſie wurden aber doch endlich alle beyde, da ſie es erfuhren, ſo erſchreckt, und durch dieſen Affect mit dem Bilde des Selbſt- Mords dermaſſen angeſteckt, daß ſie bis an das Ende ihres Lebens damit geplaget geweſen.
Keine
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0366"n="320"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">auf die ſeltſame Einbildung</hi></fw><lb/>
gemacht haben, welches faͤhig war, lebendige und<lb/>
erſchreckliche Vorſtellungen zu bekommen. Er<lb/>
bekam einſt bey Tiſche eine deutliche <hirendition="#aq">Idée,</hi> als ob<lb/>
er ſich das Meſſer, womit er aß, in Leib ſtaͤche,<lb/>
daß er auch die Hand feſte halten muſte, ja end-<lb/>
lich lieber das Meſſer in die Stube hinwarff,<lb/>
als daß er ſich mit dieſen Gedancken laͤnger pla-<lb/>
gen wolte. Er erzehlet es ſelbſten in einem<lb/>
gewiſſen Orte ſeiner Schrifften, und ich wuͤnſchte,<lb/>
daß ich den Ort aufgezeichnet haͤtte, alß ich es<lb/>
geleſen. Es muß wohl zu einer Zeit ihm be-<lb/>
gegnet ſeyn, da ſein Kopff, wie er ſelbſt aber-<lb/>
mahl von ſich ſchreibet, ſo ausgemergelt und<lb/>
wuͤſte geweſen, daß es ihm geſchienen, als ob er<lb/>ſtatt des Gehirnes lauter Stroh und Heckerling<lb/>
im Kopffe haͤtte. Noch elender ſiehets mit ſol-<lb/>
chen Menſchen aus, die viel und lange Jahre<lb/>
mit dergleichen Bildern geplaget werden. Ohn-<lb/>
gefehr vor 50. Jahren entleibte ſich des Kret-<lb/>ſchmar Raths-Herrens Frau in Breßlau, die<lb/><hirendition="#fr">alte Geißlerin</hi> genennt. Sie ſuchten dieſen<lb/>
Tod vor ihren Toͤchtern eine Weile zu verbergen,<lb/>
weil es noch weiche, zaͤrtliche, und ſchwache<lb/>
Maͤgdgen waren; ſie wurden aber doch endlich<lb/>
alle beyde, da ſie es erfuhren, ſo erſchreckt, und<lb/>
durch dieſen <hirendition="#aq">Affect</hi> mit dem Bilde des Selbſt-<lb/>
Mords dermaſſen angeſteckt, daß ſie bis an das<lb/>
Ende ihres Lebens damit geplaget geweſen.<lb/><fwplace="bottom"type="catch">Keine</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[320/0366]
auf die ſeltſame Einbildung
gemacht haben, welches faͤhig war, lebendige und
erſchreckliche Vorſtellungen zu bekommen. Er
bekam einſt bey Tiſche eine deutliche Idée, als ob
er ſich das Meſſer, womit er aß, in Leib ſtaͤche,
daß er auch die Hand feſte halten muſte, ja end-
lich lieber das Meſſer in die Stube hinwarff,
als daß er ſich mit dieſen Gedancken laͤnger pla-
gen wolte. Er erzehlet es ſelbſten in einem
gewiſſen Orte ſeiner Schrifften, und ich wuͤnſchte,
daß ich den Ort aufgezeichnet haͤtte, alß ich es
geleſen. Es muß wohl zu einer Zeit ihm be-
gegnet ſeyn, da ſein Kopff, wie er ſelbſt aber-
mahl von ſich ſchreibet, ſo ausgemergelt und
wuͤſte geweſen, daß es ihm geſchienen, als ob er
ſtatt des Gehirnes lauter Stroh und Heckerling
im Kopffe haͤtte. Noch elender ſiehets mit ſol-
chen Menſchen aus, die viel und lange Jahre
mit dergleichen Bildern geplaget werden. Ohn-
gefehr vor 50. Jahren entleibte ſich des Kret-
ſchmar Raths-Herrens Frau in Breßlau, die
alte Geißlerin genennt. Sie ſuchten dieſen
Tod vor ihren Toͤchtern eine Weile zu verbergen,
weil es noch weiche, zaͤrtliche, und ſchwache
Maͤgdgen waren; ſie wurden aber doch endlich
alle beyde, da ſie es erfuhren, ſo erſchreckt, und
durch dieſen Affect mit dem Bilde des Selbſt-
Mords dermaſſen angeſteckt, daß ſie bis an das
Ende ihres Lebens damit geplaget geweſen.
Keine
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738, S. 320. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/366>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.