Leib, der angst und bange macht, der Seelen Gelegenheit giebt, daß sie alle Schlupff-Win- ckel und alle Tücke des menschlichen Hertzens, ja die geringste Ungerechtigkeit gegen den Näch- sten, gegen die Obrigkeit, und gegen uns selbst begangen, einsiehet. Die große Furcht vor GOttes Zorn bey dergleichen Angst siehet tau- send Sünden, wo andere Menschen keine sehen wollen. Jch bin gewiß, wenn die Brüder Josephs zu der Zeit, da sie vor Spionen gehal- ten, und in Furcht des Gefängnisses, und des Todes gesetzet worden, an statt dieser seltsamen Begebenheit zu Hause nur mit Melancholey, Schwermuth, und Miltzsucht am Leibe wären von GOTT heimgesuchet worden, sie würden im Lande Canaan so gut, als in Egypten, die bekannte Klage angestimmet, und ausgeruffen haben: Das haben wir an unserm Bru- der verschuldet, etc. Thoren sind alle Athei- sten und Ungläubige, welche daraus ein Prae- judicium wider die Religion ziehen, die Reli- gion und die Gottseligkeit verspotten, und den Hauffen wahrer Christen vor eine Gattung Miltz-süchtiger Leute ausschreyen und ausge- ben wollen. Sie erkennen GOttes Weis- heit nicht. Es kommt darauf nicht an, was die Religionisten, und wahre Christen vor Kranckheiten und Zufälle haben; es kommt
darauf
auf die ſchreckliche Furcht,
Leib, der angſt und bange macht, der Seelen Gelegenheit giebt, daß ſie alle Schlupff-Win- ckel und alle Tuͤcke des menſchlichen Hertzens, ja die geringſte Ungerechtigkeit gegen den Naͤch- ſten, gegen die Obrigkeit, und gegen uns ſelbſt begangen, einſiehet. Die große Furcht vor GOttes Zorn bey dergleichen Angſt ſiehet tau- ſend Suͤnden, wo andere Menſchen keine ſehen wollen. Jch bin gewiß, wenn die Bruͤder Joſephs zu der Zeit, da ſie vor Spionen gehal- ten, und in Furcht des Gefaͤngniſſes, und des Todes geſetzet worden, an ſtatt dieſer ſeltſamen Begebenheit zu Hauſe nur mit Melancholey, Schwermuth, und Miltzſucht am Leibe waͤren von GOTT heimgeſuchet worden, ſie wuͤrden im Lande Canaan ſo gut, als in Egypten, die bekannte Klage angeſtimmet, und ausgeruffen haben: Das haben wir an unſerm Bru- der verſchuldet, ꝛc. Thoren ſind alle Athei- ſten und Unglaͤubige, welche daraus ein Præ- judicium wider die Religion ziehen, die Reli- gion und die Gottſeligkeit verſpotten, und den Hauffen wahrer Chriſten vor eine Gattung Miltz-ſuͤchtiger Leute ausſchreyen und ausge- ben wollen. Sie erkennen GOttes Weis- heit nicht. Es kommt darauf nicht an, was die Religioniſten, und wahre Chriſten vor Kranckheiten und Zufaͤlle haben; es kommt
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[302/0348]
auf die ſchreckliche Furcht,
Leib, der angſt und bange macht, der Seelen
Gelegenheit giebt, daß ſie alle Schlupff-Win-
ckel und alle Tuͤcke des menſchlichen Hertzens,
ja die geringſte Ungerechtigkeit gegen den Naͤch-
ſten, gegen die Obrigkeit, und gegen uns ſelbſt
begangen, einſiehet. Die große Furcht vor
GOttes Zorn bey dergleichen Angſt ſiehet tau-
ſend Suͤnden, wo andere Menſchen keine ſehen
wollen. Jch bin gewiß, wenn die Bruͤder
Joſephs zu der Zeit, da ſie vor Spionen gehal-
ten, und in Furcht des Gefaͤngniſſes, und des
Todes geſetzet worden, an ſtatt dieſer ſeltſamen
Begebenheit zu Hauſe nur mit Melancholey,
Schwermuth, und Miltzſucht am Leibe waͤren
von GOTT heimgeſuchet worden, ſie wuͤrden
im Lande Canaan ſo gut, als in Egypten, die
bekannte Klage angeſtimmet, und ausgeruffen
haben: Das haben wir an unſerm Bru-
der verſchuldet, ꝛc. Thoren ſind alle Athei-
ſten und Unglaͤubige, welche daraus ein Præ-
judicium wider die Religion ziehen, die Reli-
gion und die Gottſeligkeit verſpotten, und den
Hauffen wahrer Chriſten vor eine Gattung
Miltz-ſuͤchtiger Leute ausſchreyen und ausge-
ben wollen. Sie erkennen GOttes Weis-
heit nicht. Es kommt darauf nicht an, was
die Religioniſten, und wahre Chriſten vor
Kranckheiten und Zufaͤlle haben; es kommt
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Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738, S. 302. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/348>, abgerufen am 22.11.2024.
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