Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738.

Bild:
<< vorherige Seite

insonderheit Melancholici
zerbrochen. Nach dem, was ich bisher gesa-
get, ist alles leicht aufzulösen. Ein schwan-
ger Weib mit ihrem Kinde macht in Wahrheit
nur eine Substanz aus, was die beyden Leiber
anbetrifft, die aufs genaueste vereiniget, und
zusammen hängen. Da sie den Arm sahe zer-
schmettern, timuit suo brachio, so kriegte sie das
Bild, als wenn das ihrem Arme geschähe: Die
Furcht jagte die Lebens-Geister in Menge nach
ihrem Arme zu, denselben starck zu machen, und
das Ubel, wenns möglich wäre, auszustehen;
wiewol bey einem Menschen der Endzweck
nicht allemal kan erreicht, und die Seele in
unserm Leibe so viel Gewalt nicht hat, durch
ihre Lebens-Geister ein Glied dermaßen zu befe-
stigen, daß das Schwerdt und Rad nicht solte
können durchdringen. (Denn die Seele thut so viel,
als möglich ist, und so viel als sie kan, den Leib
zu erhalten.) Wie die Lebens-Geister in den
Arm der Mutter in großer Menge lauffen: so
müssen sie allem Ansehen nach zu gleicher Zeit in
den Arm des Kindes gelauffen seyn. Der
Arm der Mutter hat starcke Knochen; weil aber
des Kindes Arm noch weich war, so war es nicht
Wunder, daß die Lebens-Geister durch ihren
starcken Eindruck den weichen Arm des Kindes
brechen mußten. Es ist hier keine Zeit aus-
zuschweiffen, sonst solte mir es leicht seyn zu wi-

derle-

inſonderheit Melancholici
zerbrochen. Nach dem, was ich bisher geſa-
get, iſt alles leicht aufzuloͤſen. Ein ſchwan-
ger Weib mit ihrem Kinde macht in Wahrheit
nur eine Subſtanz aus, was die beyden Leiber
anbetrifft, die aufs genaueſte vereiniget, und
zuſammen haͤngen. Da ſie den Arm ſahe zer-
ſchmettern, timuit ſuo brachio, ſo kriegte ſie das
Bild, als wenn das ihrem Arme geſchaͤhe: Die
Furcht jagte die Lebens-Geiſter in Menge nach
ihrem Arme zu, denſelben ſtarck zu machen, und
das Ubel, wenns moͤglich waͤre, auszuſtehen;
wiewol bey einem Menſchen der Endzweck
nicht allemal kan erreicht, und die Seele in
unſerm Leibe ſo viel Gewalt nicht hat, durch
ihre Lebens-Geiſter ein Glied dermaßen zu befe-
ſtigen, daß das Schwerdt und Rad nicht ſolte
koͤnnen durchdringen. (Denn die Seele thut ſo viel,
als moͤglich iſt, und ſo viel als ſie kan, den Leib
zu erhalten.) Wie die Lebens-Geiſter in den
Arm der Mutter in großer Menge lauffen: ſo
muͤſſen ſie allem Anſehen nach zu gleicher Zeit in
den Arm des Kindes gelauffen ſeyn. Der
Arm der Mutter hat ſtarcke Knochen; weil aber
des Kindes Arm noch weich war, ſo war es nicht
Wunder, daß die Lebens-Geiſter durch ihren
ſtarcken Eindruck den weichen Arm des Kindes
brechen mußten. Es iſt hier keine Zeit aus-
zuſchweiffen, ſonſt ſolte mir es leicht ſeyn zu wi-

derle-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0329" n="283"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">in&#x017F;onderheit <hi rendition="#aq">Melancholici</hi></hi></fw><lb/>
zerbrochen. Nach dem, was ich bisher ge&#x017F;a-<lb/>
get, i&#x017F;t alles leicht aufzulo&#x0364;&#x017F;en. Ein &#x017F;chwan-<lb/>
ger Weib mit ihrem Kinde macht in Wahrheit<lb/>
nur eine <hi rendition="#aq">Sub&#x017F;tanz</hi> aus, was die beyden Leiber<lb/>
anbetrifft, die aufs genaue&#x017F;te vereiniget, und<lb/>
zu&#x017F;ammen ha&#x0364;ngen. Da &#x017F;ie den Arm &#x017F;ahe zer-<lb/>
&#x017F;chmettern, <hi rendition="#aq">timuit &#x017F;uo brachio,</hi> &#x017F;o kriegte &#x017F;ie das<lb/>
Bild, als wenn das ihrem Arme ge&#x017F;cha&#x0364;he: Die<lb/>
Furcht jagte die Lebens-Gei&#x017F;ter in Menge nach<lb/>
ihrem Arme zu, den&#x017F;elben &#x017F;tarck zu machen, und<lb/>
das Ubel, wenns mo&#x0364;glich wa&#x0364;re, auszu&#x017F;tehen;<lb/>
wiewol bey einem Men&#x017F;chen der Endzweck<lb/>
nicht allemal kan erreicht, und die Seele in<lb/>
un&#x017F;erm Leibe &#x017F;o viel Gewalt nicht hat, durch<lb/>
ihre Lebens-Gei&#x017F;ter ein Glied dermaßen zu befe-<lb/>
&#x017F;tigen, daß das Schwerdt und Rad nicht &#x017F;olte<lb/>
ko&#x0364;nnen durchdringen. (Denn die Seele thut &#x017F;o viel,<lb/>
als mo&#x0364;glich i&#x017F;t, und &#x017F;o viel als &#x017F;ie kan, den Leib<lb/>
zu erhalten.) Wie die Lebens-Gei&#x017F;ter in den<lb/>
Arm der Mutter in großer Menge lauffen: &#x017F;o<lb/>
mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ie allem An&#x017F;ehen nach zu gleicher Zeit in<lb/>
den Arm des Kindes gelauffen &#x017F;eyn. Der<lb/>
Arm der Mutter hat &#x017F;tarcke Knochen; weil aber<lb/>
des Kindes Arm noch weich war, &#x017F;o war es nicht<lb/>
Wunder, daß die Lebens-Gei&#x017F;ter durch ihren<lb/>
&#x017F;tarcken Eindruck den weichen Arm des Kindes<lb/>
brechen mußten. Es i&#x017F;t hier keine Zeit aus-<lb/>
zu&#x017F;chweiffen, &#x017F;on&#x017F;t &#x017F;olte mir es leicht &#x017F;eyn zu wi-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">derle-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[283/0329] inſonderheit Melancholici zerbrochen. Nach dem, was ich bisher geſa- get, iſt alles leicht aufzuloͤſen. Ein ſchwan- ger Weib mit ihrem Kinde macht in Wahrheit nur eine Subſtanz aus, was die beyden Leiber anbetrifft, die aufs genaueſte vereiniget, und zuſammen haͤngen. Da ſie den Arm ſahe zer- ſchmettern, timuit ſuo brachio, ſo kriegte ſie das Bild, als wenn das ihrem Arme geſchaͤhe: Die Furcht jagte die Lebens-Geiſter in Menge nach ihrem Arme zu, denſelben ſtarck zu machen, und das Ubel, wenns moͤglich waͤre, auszuſtehen; wiewol bey einem Menſchen der Endzweck nicht allemal kan erreicht, und die Seele in unſerm Leibe ſo viel Gewalt nicht hat, durch ihre Lebens-Geiſter ein Glied dermaßen zu befe- ſtigen, daß das Schwerdt und Rad nicht ſolte koͤnnen durchdringen. (Denn die Seele thut ſo viel, als moͤglich iſt, und ſo viel als ſie kan, den Leib zu erhalten.) Wie die Lebens-Geiſter in den Arm der Mutter in großer Menge lauffen: ſo muͤſſen ſie allem Anſehen nach zu gleicher Zeit in den Arm des Kindes gelauffen ſeyn. Der Arm der Mutter hat ſtarcke Knochen; weil aber des Kindes Arm noch weich war, ſo war es nicht Wunder, daß die Lebens-Geiſter durch ihren ſtarcken Eindruck den weichen Arm des Kindes brechen mußten. Es iſt hier keine Zeit aus- zuſchweiffen, ſonſt ſolte mir es leicht ſeyn zu wi- derle-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/329
Zitationshilfe: Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738, S. 283. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/329>, abgerufen am 25.11.2024.