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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.

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Der Bannwald.
Schlangen und gefährliches Gewürm bergende Blätterboden für die
tropischen Urwälder ist, das sind die dichten Mooskissen für die
Alpenwälder. Nistet in ihnen nun gleich nicht jene den Natur¬
forscher bedrohende Natternbrut, so sind sie doch für den, welcher
einen alten Bannwald durchklettern will, nicht minder gefährlich,
weil in diesen unheimlich elastischen Massen kein sicherer Tritt zu
finden ist und der Fuß, zwischen verborgene Steine tretend, leicht
umknicken und durch eine Bänderluxation beschädigt werden kann.

Das ausgedehnteste Kontinent stellen die Astmoose oder
Hypnaceen , von denen Hypnum triquetrum und splendens
als die, auch in den Wäldern Deutschlands verbreitetsten, am Be¬
kanntesten sind. Außer diesen beiden Arten füllen die Alpenwälder
noch Hypnum molluscum die lebhaft grün leuchtenden H. den¬
ticulatum und sylvaticum, das gelbbräunliche H. tamariscinum,
das saftige, feuchte, lange Ranken treibende H. purum und das
wunderschöne H. striatum mit seinen zarten grünen Fühlfäden
und den auf haardünnen Stengeln neugierig die Sammetfläche
überschauenden kümmelkornähnlichen Saamenkapseln. Fast ebenso
massig treten die Gabelmoose auf, ganz besonders der reiser¬
stengelige Gabelzahn (Dicranum scoparium), leuchtend saftgrüne,
atlasglänzende, mollige Polster webend und das, weit umfang¬
reicher sich verästelnde wellenförmige Gabelmoos (D. undulatum).
Dazwischen schmarotzen eine Menge Flechten, unter denen Cetraria
islandica
, das isländische Moos und C. cucullata, die
Tartschenflechte ihren korallenartigen Astbau am Bemerkbarsten
hervorschieben.

Aus dieser dichten Moosdecke ragen die knorrigen, rissig¬
grauen Arven, die harzspendenden, luftiggenadelten, schlanken Lär¬
chen und ockerbraunen Tannen wie aus einem großen, warmhalten¬
den Winterpelze hervor. Nur an etwas lichteren Stellen und
Waldblößen haben graugrüne Heidelbeersträuche (Vaccinium
Myrtillus
), das Herrgottssüppli oder Sauerklee (Oxalis aceto¬

Der Bannwald.
Schlangen und gefährliches Gewürm bergende Blätterboden für die
tropiſchen Urwälder iſt, das ſind die dichten Mooskiſſen für die
Alpenwälder. Niſtet in ihnen nun gleich nicht jene den Natur¬
forſcher bedrohende Natternbrut, ſo ſind ſie doch für den, welcher
einen alten Bannwald durchklettern will, nicht minder gefährlich,
weil in dieſen unheimlich elaſtiſchen Maſſen kein ſicherer Tritt zu
finden iſt und der Fuß, zwiſchen verborgene Steine tretend, leicht
umknicken und durch eine Bänderluxation beſchädigt werden kann.

Das ausgedehnteſte Kontinent ſtellen die Aſtmooſe oder
Hypnaceen , von denen Hypnum triquetrum und splendens
als die, auch in den Wäldern Deutſchlands verbreitetſten, am Be¬
kannteſten ſind. Außer dieſen beiden Arten füllen die Alpenwälder
noch Hypnum molluscum die lebhaft grün leuchtenden H. den¬
ticulatum und sylvaticum, das gelbbräunliche H. tamariscinum,
das ſaftige, feuchte, lange Ranken treibende H. purum und das
wunderſchöne H. striatum mit ſeinen zarten grünen Fühlfäden
und den auf haardünnen Stengeln neugierig die Sammetfläche
überſchauenden kümmelkornähnlichen Saamenkapſeln. Faſt ebenſo
maſſig treten die Gabelmooſe auf, ganz beſonders der reiſer¬
ſtengelige Gabelzahn (Dicranum scoparium), leuchtend ſaftgrüne,
atlasglänzende, mollige Polſter webend und das, weit umfang¬
reicher ſich veräſtelnde wellenförmige Gabelmoos (D. undulatum).
Dazwiſchen ſchmarotzen eine Menge Flechten, unter denen Cetraria
islandica
, das isländiſche Moos und C. cucullata, die
Tartſchenflechte ihren korallenartigen Aſtbau am Bemerkbarſten
hervorſchieben.

Aus dieſer dichten Moosdecke ragen die knorrigen, riſſig¬
grauen Arven, die harzſpendenden, luftiggenadelten, ſchlanken Lär¬
chen und ockerbraunen Tannen wie aus einem großen, warmhalten¬
den Winterpelze hervor. Nur an etwas lichteren Stellen und
Waldblößen haben graugrüne Heidelbeerſträuche (Vaccinium
Myrtillus
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[72/0094] Der Bannwald. Schlangen und gefährliches Gewürm bergende Blätterboden für die tropiſchen Urwälder iſt, das ſind die dichten Mooskiſſen für die Alpenwälder. Niſtet in ihnen nun gleich nicht jene den Natur¬ forſcher bedrohende Natternbrut, ſo ſind ſie doch für den, welcher einen alten Bannwald durchklettern will, nicht minder gefährlich, weil in dieſen unheimlich elaſtiſchen Maſſen kein ſicherer Tritt zu finden iſt und der Fuß, zwiſchen verborgene Steine tretend, leicht umknicken und durch eine Bänderluxation beſchädigt werden kann. Das ausgedehnteſte Kontinent ſtellen die Aſtmooſe oder Hypnaceen , von denen Hypnum triquetrum und splendens als die, auch in den Wäldern Deutſchlands verbreitetſten, am Be¬ kannteſten ſind. Außer dieſen beiden Arten füllen die Alpenwälder noch Hypnum molluscum die lebhaft grün leuchtenden H. den¬ ticulatum und sylvaticum, das gelbbräunliche H. tamariscinum, das ſaftige, feuchte, lange Ranken treibende H. purum und das wunderſchöne H. striatum mit ſeinen zarten grünen Fühlfäden und den auf haardünnen Stengeln neugierig die Sammetfläche überſchauenden kümmelkornähnlichen Saamenkapſeln. Faſt ebenſo maſſig treten die Gabelmooſe auf, ganz beſonders der reiſer¬ ſtengelige Gabelzahn (Dicranum scoparium), leuchtend ſaftgrüne, atlasglänzende, mollige Polſter webend und das, weit umfang¬ reicher ſich veräſtelnde wellenförmige Gabelmoos (D. undulatum). Dazwiſchen ſchmarotzen eine Menge Flechten, unter denen Cetraria islandica, das isländiſche Moos und C. cucullata, die Tartſchenflechte ihren korallenartigen Aſtbau am Bemerkbarſten hervorſchieben. Aus dieſer dichten Moosdecke ragen die knorrigen, riſſig¬ grauen Arven, die harzſpendenden, luftiggenadelten, ſchlanken Lär¬ chen und ockerbraunen Tannen wie aus einem großen, warmhalten¬ den Winterpelze hervor. Nur an etwas lichteren Stellen und Waldblößen haben graugrüne Heidelbeerſträuche (Vaccinium Myrtillus), das Herrgottsſüppli oder Sauerklee (Oxalis aceto¬

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Zitationshilfe: Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/94>, abgerufen am 04.05.2024.