Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.Dorfleben im Gebirge. lich eine namhafte Zahl seiner Angehörigen ins Ausland, damitsie dort ihr Brod erwerben. Was ihnen daheim am Mindesten geboten wird, Zucker und Leckereien, das legt den Grund bei Vielen zu nicht geringem Wohlstand. Als arme Knaben wandern sie, mit dürftigem Zehrpfennig und einer Reise-Empfehlung ausge¬ rüstet, weit fort nach Italien, Rußland, Deutschland oder Frank¬ reich, um bei einem dort etablirten Konditor als Helfershelfer und junger Dienstknecht einzutreten. Hier müssen sie Kakao reiben, Zucker mörsern, Kaffee sieden lernen, und bilden so sich nach und nach zum Schweizerbäcker aus. Die wenigen Pfennige Lohn und Trinkgeld ersparen sie mit Harpagons-Geiz. Inzwischen findet sich Gelegenheit, mit einem anderen Landsmann ein kleines Stübchen zu miethen, selbst einen Kastanien-Handel, eine kleine Chokoladen- Fabrik oder Kaffee-Siederei zu etabliren. Aus den verdienten Groschen werden Thaler, die Kompagnons trennen sich, um Jeder nun auf eigene Faust dem Gelderwerbe weiter obzuliegen, sie richten größere Geschäfte ein, und das hohe Mannesalter findet sie als reiche Leute. Da treibt sie denn die Sehnsucht wieder heim ins alte liebe Vaterland, wo sie nach und nach Güter, Wiesen, Häuser erwerben, und dort verleben sie, in stiller Einsamkeit, den Abend ihres Lebens. -- Ein anderer Theil der jungen Burschen, beson¬ ders aus den katholischen Schweizerkantonen Wallis, Uri, Unter¬ walden, Schwyz und auch aus Graubünden, verlassen heimlich Haus und Hof, um in fremden Diensten als Lohnsoldaten ihr Glück zu versuchen. Die Schweizertruppen in Neapel und Rom erlangten in jüngster Zeit traurige Berühmtheit. Oder der Tyroler ist als Kaiserjäger in den Garnisonen Oesterreichs zum festen Mann herangereift, hat kapitulirt und dient dem Vaterlande, bis der Tod auf dem Schlachtfelde ihn heimruft oder eine armselige Civil-Versorgung ihn dürftig im Alter erhält. Die meisten Alpen¬ knaben aber, die nur einige Mittel besitzen, bleiben in ihren Bergen, und weichen in ihrer Lebensart nicht eine Linie breit von dem Dorfleben im Gebirge. lich eine namhafte Zahl ſeiner Angehörigen ins Ausland, damitſie dort ihr Brod erwerben. Was ihnen daheim am Mindeſten geboten wird, Zucker und Leckereien, das legt den Grund bei Vielen zu nicht geringem Wohlſtand. Als arme Knaben wandern ſie, mit dürftigem Zehrpfennig und einer Reiſe-Empfehlung ausge¬ rüſtet, weit fort nach Italien, Rußland, Deutſchland oder Frank¬ reich, um bei einem dort etablirten Konditor als Helfershelfer und junger Dienſtknecht einzutreten. Hier müſſen ſie Kakao reiben, Zucker mörſern, Kaffee ſieden lernen, und bilden ſo ſich nach und nach zum Schweizerbäcker aus. Die wenigen Pfennige Lohn und Trinkgeld erſparen ſie mit Harpagons-Geiz. Inzwiſchen findet ſich Gelegenheit, mit einem anderen Landsmann ein kleines Stübchen zu miethen, ſelbſt einen Kaſtanien-Handel, eine kleine Chokoladen- Fabrik oder Kaffee-Siederei zu etabliren. Aus den verdienten Groſchen werden Thaler, die Kompagnons trennen ſich, um Jeder nun auf eigene Fauſt dem Gelderwerbe weiter obzuliegen, ſie richten größere Geſchäfte ein, und das hohe Mannesalter findet ſie als reiche Leute. Da treibt ſie denn die Sehnſucht wieder heim ins alte liebe Vaterland, wo ſie nach und nach Güter, Wieſen, Häuſer erwerben, und dort verleben ſie, in ſtiller Einſamkeit, den Abend ihres Lebens. — Ein anderer Theil der jungen Burſchen, beſon¬ ders aus den katholiſchen Schweizerkantonen Wallis, Uri, Unter¬ walden, Schwyz und auch aus Graubünden, verlaſſen heimlich Haus und Hof, um in fremden Dienſten als Lohnſoldaten ihr Glück zu verſuchen. Die Schweizertruppen in Neapel und Rom erlangten in jüngſter Zeit traurige Berühmtheit. Oder der Tyroler iſt als Kaiſerjäger in den Garniſonen Oeſterreichs zum feſten Mann herangereift, hat kapitulirt und dient dem Vaterlande, bis der Tod auf dem Schlachtfelde ihn heimruft oder eine armſelige Civil-Verſorgung ihn dürftig im Alter erhält. Die meiſten Alpen¬ knaben aber, die nur einige Mittel beſitzen, bleiben in ihren Bergen, und weichen in ihrer Lebensart nicht eine Linie breit von dem <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0482" n="432"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#fr #g">Dorfleben im Gebirge</hi>.<lb/></fw> lich eine namhafte Zahl ſeiner Angehörigen ins Ausland, damit<lb/> ſie dort ihr Brod erwerben. Was ihnen daheim am Mindeſten<lb/> geboten wird, Zucker und Leckereien, das legt den Grund bei<lb/> Vielen zu nicht geringem Wohlſtand. Als arme Knaben wandern<lb/> ſie, mit dürftigem Zehrpfennig und einer Reiſe-Empfehlung ausge¬<lb/> rüſtet, weit fort nach Italien, Rußland, Deutſchland oder Frank¬<lb/> reich, um bei einem dort etablirten Konditor als Helfershelfer und<lb/> junger Dienſtknecht einzutreten. Hier müſſen ſie Kakao reiben,<lb/> Zucker mörſern, Kaffee ſieden lernen, und bilden ſo ſich nach und<lb/> nach zum Schweizerbäcker aus. 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Dorfleben im Gebirge.
lich eine namhafte Zahl ſeiner Angehörigen ins Ausland, damit
ſie dort ihr Brod erwerben. Was ihnen daheim am Mindeſten
geboten wird, Zucker und Leckereien, das legt den Grund bei
Vielen zu nicht geringem Wohlſtand. Als arme Knaben wandern
ſie, mit dürftigem Zehrpfennig und einer Reiſe-Empfehlung ausge¬
rüſtet, weit fort nach Italien, Rußland, Deutſchland oder Frank¬
reich, um bei einem dort etablirten Konditor als Helfershelfer und
junger Dienſtknecht einzutreten. Hier müſſen ſie Kakao reiben,
Zucker mörſern, Kaffee ſieden lernen, und bilden ſo ſich nach und
nach zum Schweizerbäcker aus. Die wenigen Pfennige Lohn und
Trinkgeld erſparen ſie mit Harpagons-Geiz. Inzwiſchen findet ſich
Gelegenheit, mit einem anderen Landsmann ein kleines Stübchen
zu miethen, ſelbſt einen Kaſtanien-Handel, eine kleine Chokoladen-
Fabrik oder Kaffee-Siederei zu etabliren. Aus den verdienten
Groſchen werden Thaler, die Kompagnons trennen ſich, um Jeder
nun auf eigene Fauſt dem Gelderwerbe weiter obzuliegen, ſie richten
größere Geſchäfte ein, und das hohe Mannesalter findet ſie als
reiche Leute. Da treibt ſie denn die Sehnſucht wieder heim ins
alte liebe Vaterland, wo ſie nach und nach Güter, Wieſen, Häuſer
erwerben, und dort verleben ſie, in ſtiller Einſamkeit, den Abend
ihres Lebens. — Ein anderer Theil der jungen Burſchen, beſon¬
ders aus den katholiſchen Schweizerkantonen Wallis, Uri, Unter¬
walden, Schwyz und auch aus Graubünden, verlaſſen heimlich
Haus und Hof, um in fremden Dienſten als Lohnſoldaten ihr
Glück zu verſuchen. Die Schweizertruppen in Neapel und Rom
erlangten in jüngſter Zeit traurige Berühmtheit. Oder der Tyroler
iſt als Kaiſerjäger in den Garniſonen Oeſterreichs zum feſten
Mann herangereift, hat kapitulirt und dient dem Vaterlande, bis
der Tod auf dem Schlachtfelde ihn heimruft oder eine armſelige
Civil-Verſorgung ihn dürftig im Alter erhält. Die meiſten Alpen¬
knaben aber, die nur einige Mittel beſitzen, bleiben in ihren Bergen,
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