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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.

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Der Wildheuer.
sporadisch das Frauen-Schüheli oder der Wundkrautklee
(Anthyllis vulneraria und alpina), die schwarzgrün-kelchige
Schaafgarbe (Achillea atrata) auf niederem, mit vielfach ge¬
schlitzten Blättchen garnirtem Stengel, -- der prächtige Alpenklee
(Trifolium alpinum und montanum) mit seinen herrlichen fleisch¬
rothen, großblüthigen Blumenknäueln, -- der vereinzelt wachsende
Knöterich (Polygonum viviparum) über seine lanzettförmigen
Blätter langstengelig die mit rothen Knötchen besetzte weiße Blu¬
menähre hervorstreckend, -- dann die aus dichtem Rasenschopf die
azurblauen Blumenköpfchen emportreibende, niedliche, pfriemen¬
blätterige Rapunzel (Phyteuma haemisphaericum), -- der bunte
Hafer (Avena versicolor), -- die purpurgoldigen Crepis-Arten, die
brennend-violetten Campanulen, die behaarten Hieracien,
die lappenblätterigen Alchemillen, die Aretien, Androsaceen, die
endlose Sippschaft der Gramineen und wie die kräftigen, aromati¬
schen Bergpflanzen alle heißen. Diese zusammen komponiren das
Wildheu, welches darum auch von ungemein starkem Geruch ist,
das Vieh viel rascher mästet und eine an Butterkügelchen ungleich
reichhaltigere Milch liefert als das Thalheu. In Norwegen halten
es die Bergbauern der Kjölen für ein Polychrestmittel wider alle
Viehkrankheiten; deshalb holen sie es mit Lebensgefahr von den
höchsten Zacken und Zinken, und heben ein Bündel davon als Ar¬
kanum bis zur nächsten Ernte auf.

Ist das Heu je vom einen zum anderen Tage glücklich ge¬
dörrt, so gilts, dasselbe an einem tieferliegenden, besser zugänglichen
Platze zu sammeln. Dieser Theil der Arbeit ist nicht minder be¬
schwerlich und gefahrvoll als der des Abmähens selbst. Wenn die
Felsenwand, ob welcher der Heuplatz liegt, nicht zu hoch oder zer¬
klüftet ist, dann wirft der Wildheuer die in grobe Leintücher oder
Netze zusammengepackten "Burdenen" einfach hinab, steigt unbelastet
hinterher und befördert Alles an den Ort seiner Bestimmung.
Ist aber der Felsenhang sehr tief, so daß durchs Werfen die

Der Wildheuer.
ſporadiſch das Frauen-Schüheli oder der Wundkrautklee
(Anthyllis vulneraria und alpina), die ſchwarzgrün-kelchige
Schaafgarbe (Achillea atrata) auf niederem, mit vielfach ge¬
ſchlitzten Blättchen garnirtem Stengel, — der prächtige Alpenklee
(Trifolium alpinum und montanum) mit ſeinen herrlichen fleiſch¬
rothen, großblüthigen Blumenknäueln, — der vereinzelt wachſende
Knöterich (Polygonum viviparum) über ſeine lanzettförmigen
Blätter langſtengelig die mit rothen Knötchen beſetzte weiße Blu¬
menähre hervorſtreckend, — dann die aus dichtem Raſenſchopf die
azurblauen Blumenköpfchen emportreibende, niedliche, pfriemen¬
blätterige Rapunzel (Phyteuma haemisphaericum), — der bunte
Hafer (Avena versicolor), — die purpurgoldigen Crepis-Arten, die
brennend-violetten Campanulen, die behaarten Hieracien,
die lappenblätterigen Alchemillen, die Aretien, Androſaceen, die
endloſe Sippſchaft der Gramineen und wie die kräftigen, aromati¬
ſchen Bergpflanzen alle heißen. Dieſe zuſammen komponiren das
Wildheu, welches darum auch von ungemein ſtarkem Geruch iſt,
das Vieh viel raſcher mäſtet und eine an Butterkügelchen ungleich
reichhaltigere Milch liefert als das Thalheu. In Norwegen halten
es die Bergbauern der Kjölen für ein Polychreſtmittel wider alle
Viehkrankheiten; deshalb holen ſie es mit Lebensgefahr von den
höchſten Zacken und Zinken, und heben ein Bündel davon als Ar¬
kanum bis zur nächſten Ernte auf.

Iſt das Heu je vom einen zum anderen Tage glücklich ge¬
dörrt, ſo gilts, daſſelbe an einem tieferliegenden, beſſer zugänglichen
Platze zu ſammeln. Dieſer Theil der Arbeit iſt nicht minder be¬
ſchwerlich und gefahrvoll als der des Abmähens ſelbſt. Wenn die
Felſenwand, ob welcher der Heuplatz liegt, nicht zu hoch oder zer¬
klüftet iſt, dann wirft der Wildheuer die in grobe Leintücher oder
Netze zuſammengepackten „Burdenen“ einfach hinab, ſteigt unbelaſtet
hinterher und befördert Alles an den Ort ſeiner Beſtimmung.
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[379/0421] Der Wildheuer. ſporadiſch das Frauen-Schüheli oder der Wundkrautklee (Anthyllis vulneraria und alpina), die ſchwarzgrün-kelchige Schaafgarbe (Achillea atrata) auf niederem, mit vielfach ge¬ ſchlitzten Blättchen garnirtem Stengel, — der prächtige Alpenklee (Trifolium alpinum und montanum) mit ſeinen herrlichen fleiſch¬ rothen, großblüthigen Blumenknäueln, — der vereinzelt wachſende Knöterich (Polygonum viviparum) über ſeine lanzettförmigen Blätter langſtengelig die mit rothen Knötchen beſetzte weiße Blu¬ menähre hervorſtreckend, — dann die aus dichtem Raſenſchopf die azurblauen Blumenköpfchen emportreibende, niedliche, pfriemen¬ blätterige Rapunzel (Phyteuma haemisphaericum), — der bunte Hafer (Avena versicolor), — die purpurgoldigen Crepis-Arten, die brennend-violetten Campanulen, die behaarten Hieracien, die lappenblätterigen Alchemillen, die Aretien, Androſaceen, die endloſe Sippſchaft der Gramineen und wie die kräftigen, aromati¬ ſchen Bergpflanzen alle heißen. Dieſe zuſammen komponiren das Wildheu, welches darum auch von ungemein ſtarkem Geruch iſt, das Vieh viel raſcher mäſtet und eine an Butterkügelchen ungleich reichhaltigere Milch liefert als das Thalheu. In Norwegen halten es die Bergbauern der Kjölen für ein Polychreſtmittel wider alle Viehkrankheiten; deshalb holen ſie es mit Lebensgefahr von den höchſten Zacken und Zinken, und heben ein Bündel davon als Ar¬ kanum bis zur nächſten Ernte auf. Iſt das Heu je vom einen zum anderen Tage glücklich ge¬ dörrt, ſo gilts, daſſelbe an einem tieferliegenden, beſſer zugänglichen Platze zu ſammeln. Dieſer Theil der Arbeit iſt nicht minder be¬ ſchwerlich und gefahrvoll als der des Abmähens ſelbſt. Wenn die Felſenwand, ob welcher der Heuplatz liegt, nicht zu hoch oder zer¬ klüftet iſt, dann wirft der Wildheuer die in grobe Leintücher oder Netze zuſammengepackten „Burdenen“ einfach hinab, ſteigt unbelaſtet hinterher und befördert Alles an den Ort ſeiner Beſtimmung. Iſt aber der Felſenhang ſehr tief, ſo daß durchs Werfen die

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Zitationshilfe: Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 379. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/421>, abgerufen am 22.11.2024.