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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.

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Das Alphorn .
dem zweiten Echo und die gleiche, langsame Bewegung, ein fast
synkopirtes Hinziehen der Melodie zurückerhalten. Die verminderten
Schwingungen durch die große Entfernung erklären wohl einzig
das Sinken und allmählige Hinsterben des Tones. Ein anderes,
wieder abweichendes Beispiel giebt das Echo des Alphornbläsers
auf Alpiegeln gegen die Bustiglen-Läger zu, wenn man von Grin¬
delwald gegen die Wengern-Scheidegg (im Berner Oberlande) auf¬
steigt. Dort scheint der Itrammenwald die ganze Tonsumme der
Alphorn-Melodie aufzufangen und in seinen Tannenhallen tausend¬
fach-reflektirend zu vermengen; denn das Echo kehrt, wie die rollen¬
den Orgelklang-Massen aus dem majestätischen Gewölbe eines
Münsters, in mächtig-ergreifenden, großen, vollen Wogen, rund
ineinander verflossen, zurück, ein gewaltiger, erschütternder Hymnus,
den Alpendom durchfluthend.

Am Genußreichsten ist des Alphornes Zauberschall, wenn er
dem Wanderer unerwartet entgegenklingt. Wir stiegen eines schönen
Sommermorgens aus dem Lauterbrunnen-Thale gegen die Hütten
und Speicher des Wengenberges, auf steilem Pfade, durch uralte
Tannen mit langzottigen Aesten, empor. Rechts drüben strahlte
die herrliche Jungfrau, die hohe stille Königin des Alpenreiches in
unvergleichlicher Pracht und Klarheit; von der Höhe und aus dem
Thalgrunde herauf tönte das melodische Glockengeläute der Herden.
Da drang an unser Ohr ein langgehaltener Ton von den Felsen¬
wänden der Jungfrau herüber. "Ein Alphorn", rief freudig über¬
rascht Einer dem Andern zu, und Alle standen still, in vollen Zügen
genießend, was selbst eine Beethoven'sche Symphonie nicht zu bieten
vermag. Der Hirt begann seine Künste und wir lauschten athemlos
den sympathie-entzündenden Tönen, die aus den Gletschern der Jung¬
frau herüber zu wehen schienen; den Bläser vermutheten wir in
einer Entfernung von mindestens einer halben Stunde, und beeilten
uns denselben aufzusuchen. Wie groß aber war unser Erstaunen, als
wir um eine Waldecke biegend den Alphornisten, links ab dem

Das Alphorn .
dem zweiten Echo und die gleiche, langſame Bewegung, ein faſt
ſynkopirtes Hinziehen der Melodie zurückerhalten. Die verminderten
Schwingungen durch die große Entfernung erklären wohl einzig
das Sinken und allmählige Hinſterben des Tones. Ein anderes,
wieder abweichendes Beiſpiel giebt das Echo des Alphornbläſers
auf Alpiegeln gegen die Buſtiglen-Läger zu, wenn man von Grin¬
delwald gegen die Wengern-Scheidegg (im Berner Oberlande) auf¬
ſteigt. Dort ſcheint der Itrammenwald die ganze Tonſumme der
Alphorn-Melodie aufzufangen und in ſeinen Tannenhallen tauſend¬
fach-reflektirend zu vermengen; denn das Echo kehrt, wie die rollen¬
den Orgelklang-Maſſen aus dem majeſtätiſchen Gewölbe eines
Münſters, in mächtig-ergreifenden, großen, vollen Wogen, rund
ineinander verfloſſen, zurück, ein gewaltiger, erſchütternder Hymnus,
den Alpendom durchfluthend.

Am Genußreichſten iſt des Alphornes Zauberſchall, wenn er
dem Wanderer unerwartet entgegenklingt. Wir ſtiegen eines ſchönen
Sommermorgens aus dem Lauterbrunnen-Thale gegen die Hütten
und Speicher des Wengenberges, auf ſteilem Pfade, durch uralte
Tannen mit langzottigen Aeſten, empor. Rechts drüben ſtrahlte
die herrliche Jungfrau, die hohe ſtille Königin des Alpenreiches in
unvergleichlicher Pracht und Klarheit; von der Höhe und aus dem
Thalgrunde herauf tönte das melodiſche Glockengeläute der Herden.
Da drang an unſer Ohr ein langgehaltener Ton von den Felſen¬
wänden der Jungfrau herüber. „Ein Alphorn“, rief freudig über¬
raſcht Einer dem Andern zu, und Alle ſtanden ſtill, in vollen Zügen
genießend, was ſelbſt eine Beethoven'ſche Symphonie nicht zu bieten
vermag. Der Hirt begann ſeine Künſte und wir lauſchten athemlos
den ſympathie-entzündenden Tönen, die aus den Gletſchern der Jung¬
frau herüber zu wehen ſchienen; den Bläſer vermutheten wir in
einer Entfernung von mindeſtens einer halben Stunde, und beeilten
uns denſelben aufzuſuchen. Wie groß aber war unſer Erſtaunen, als
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[358/0396] Das Alphorn . dem zweiten Echo und die gleiche, langſame Bewegung, ein faſt ſynkopirtes Hinziehen der Melodie zurückerhalten. Die verminderten Schwingungen durch die große Entfernung erklären wohl einzig das Sinken und allmählige Hinſterben des Tones. Ein anderes, wieder abweichendes Beiſpiel giebt das Echo des Alphornbläſers auf Alpiegeln gegen die Buſtiglen-Läger zu, wenn man von Grin¬ delwald gegen die Wengern-Scheidegg (im Berner Oberlande) auf¬ ſteigt. Dort ſcheint der Itrammenwald die ganze Tonſumme der Alphorn-Melodie aufzufangen und in ſeinen Tannenhallen tauſend¬ fach-reflektirend zu vermengen; denn das Echo kehrt, wie die rollen¬ den Orgelklang-Maſſen aus dem majeſtätiſchen Gewölbe eines Münſters, in mächtig-ergreifenden, großen, vollen Wogen, rund ineinander verfloſſen, zurück, ein gewaltiger, erſchütternder Hymnus, den Alpendom durchfluthend. Am Genußreichſten iſt des Alphornes Zauberſchall, wenn er dem Wanderer unerwartet entgegenklingt. Wir ſtiegen eines ſchönen Sommermorgens aus dem Lauterbrunnen-Thale gegen die Hütten und Speicher des Wengenberges, auf ſteilem Pfade, durch uralte Tannen mit langzottigen Aeſten, empor. Rechts drüben ſtrahlte die herrliche Jungfrau, die hohe ſtille Königin des Alpenreiches in unvergleichlicher Pracht und Klarheit; von der Höhe und aus dem Thalgrunde herauf tönte das melodiſche Glockengeläute der Herden. Da drang an unſer Ohr ein langgehaltener Ton von den Felſen¬ wänden der Jungfrau herüber. „Ein Alphorn“, rief freudig über¬ raſcht Einer dem Andern zu, und Alle ſtanden ſtill, in vollen Zügen genießend, was ſelbſt eine Beethoven'ſche Symphonie nicht zu bieten vermag. Der Hirt begann ſeine Künſte und wir lauſchten athemlos den ſympathie-entzündenden Tönen, die aus den Gletſchern der Jung¬ frau herüber zu wehen ſchienen; den Bläſer vermutheten wir in einer Entfernung von mindeſtens einer halben Stunde, und beeilten uns denſelben aufzuſuchen. Wie groß aber war unſer Erſtaunen, als wir um eine Waldecke biegend den Alphorniſten, links ab dem

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Zitationshilfe: Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 358. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/396>, abgerufen am 17.05.2024.