Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Hospitien.
Wetter hier einkehrt, und so wohlwollende, menschenfreundliche,
herzliche Aufnahme findet, sind nicht zu beschreiben, und freiwillig,
ohne irgend welche Aufforderung, erlegt gewiß der Fremde, welcher
über nur einige Mittel gebieten kann, gern den Werth dessen, was
er uneigennützig empfing. Freilich giebts auch Reisende der wohl¬
habenderen Stände, die schmutzig genug sind, ohne irgend eine Gabe
weiter zu ziehen.

In allen bisher genannten Hospitien werden jene berühmten
Hunde gehalten, die bei gefährlichem Wetter mit den Knechten
ausziehen und durch ihren, in außerordentlich hohem Grade ent¬
wickelten Witterungs-Instinkt, Verirrte oder Verunglückte aufsuchen
helfen. Durch sehr kräftigen Körperbau und durch ungewöhnliche
Abhärtung vermögen sie den tobendsten Schneestürmen nachhaltig
zu widerstehen. Eine genau charakterisirende Beschreibung dieser
vortrefflichen Thiere findet man in Tschudis "Thierleben der Alpen¬
welt." Auf dem Gotthard werden gegenwärtig noch ein Bernhards¬
hund (Weibchen), eine Kamschatka-Race, und zwei Leonbergerhunde
(Geschenk vom Stadtrath Essig in Stuttgart) unterhalten, die nach
den Versicherungen der Hospiz-Bewohner sehr gute Dienste leisten
sollen.

Die Summe der wirklichen Unglücksfälle hat in den letzten
Jahren sehr abgenommen. Am Großen St. Bernhard ist seit langer
Zeit kein erheblicher Fall mehr vorgekommen. Schlimmer gestaltete
sich das Verhältniß auf dem Gotthard, wegen des regelmäßigen
obligatorischen Post-Betriebes. Außer dem schon pag. 175 dieses
Buches erzählten Falle ereignete es sich wenige Wochen früher (12.
März 1848), daß in den s. g. Plangen, oberhalb des Schirmhauses
am "Mätteli", dreizehn Männer, welche die Post begleiteten, sammt
Pferden und Schlitten durch eine gewaltige Lauine bis zur Reuß
hinuntergeschleudert wurden. Drei derselben, Familienväter, fanden
nebst 9 Rossen ihr Grab im Sturzschnee; die anderen konnten durch
eiligst herbeigerufene Hilfe gerettet werden. Wahrhaft tragisch aber

Die Hospitien.
Wetter hier einkehrt, und ſo wohlwollende, menſchenfreundliche,
herzliche Aufnahme findet, ſind nicht zu beſchreiben, und freiwillig,
ohne irgend welche Aufforderung, erlegt gewiß der Fremde, welcher
über nur einige Mittel gebieten kann, gern den Werth deſſen, was
er uneigennützig empfing. Freilich giebts auch Reiſende der wohl¬
habenderen Stände, die ſchmutzig genug ſind, ohne irgend eine Gabe
weiter zu ziehen.

In allen bisher genannten Hospitien werden jene berühmten
Hunde gehalten, die bei gefährlichem Wetter mit den Knechten
ausziehen und durch ihren, in außerordentlich hohem Grade ent¬
wickelten Witterungs-Inſtinkt, Verirrte oder Verunglückte aufſuchen
helfen. Durch ſehr kräftigen Körperbau und durch ungewöhnliche
Abhärtung vermögen ſie den tobendſten Schneeſtürmen nachhaltig
zu widerſtehen. Eine genau charakteriſirende Beſchreibung dieſer
vortrefflichen Thiere findet man in Tſchudis „Thierleben der Alpen¬
welt.“ Auf dem Gotthard werden gegenwärtig noch ein Bernhards¬
hund (Weibchen), eine Kamſchatka-Race, und zwei Leonbergerhunde
(Geſchenk vom Stadtrath Eſſig in Stuttgart) unterhalten, die nach
den Verſicherungen der Hoſpiz-Bewohner ſehr gute Dienſte leiſten
ſollen.

Die Summe der wirklichen Unglücksfälle hat in den letzten
Jahren ſehr abgenommen. Am Großen St. Bernhard iſt ſeit langer
Zeit kein erheblicher Fall mehr vorgekommen. Schlimmer geſtaltete
ſich das Verhältniß auf dem Gotthard, wegen des regelmäßigen
obligatoriſchen Poſt-Betriebes. Außer dem ſchon pag. 175 dieſes
Buches erzählten Falle ereignete es ſich wenige Wochen früher (12.
März 1848), daß in den ſ. g. Plangen, oberhalb des Schirmhauſes
am „Mätteli“, dreizehn Männer, welche die Poſt begleiteten, ſammt
Pferden und Schlitten durch eine gewaltige Lauine bis zur Reuß
hinuntergeſchleudert wurden. Drei derſelben, Familienväter, fanden
nebſt 9 Roſſen ihr Grab im Sturzſchnee; die anderen konnten durch
eiligſt herbeigerufene Hilfe gerettet werden. Wahrhaft tragiſch aber

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0360" n="324"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Die Hospitien</hi>.<lb/></fw>Wetter hier einkehrt, und &#x017F;o wohlwollende, men&#x017F;chenfreundliche,<lb/>
herzliche Aufnahme findet, &#x017F;ind nicht zu be&#x017F;chreiben, und freiwillig,<lb/>
ohne irgend welche Aufforderung, erlegt gewiß der Fremde, welcher<lb/>
über nur einige Mittel gebieten kann, gern den Werth de&#x017F;&#x017F;en, was<lb/>
er uneigennützig empfing. Freilich giebts auch Rei&#x017F;ende der wohl¬<lb/>
habenderen Stände, die &#x017F;chmutzig genug &#x017F;ind, ohne irgend eine Gabe<lb/>
weiter zu ziehen.</p><lb/>
        <p>In allen bisher genannten Hospitien werden jene berühmten<lb/>
Hunde gehalten, die bei gefährlichem Wetter mit den Knechten<lb/>
ausziehen und durch ihren, in außerordentlich hohem Grade ent¬<lb/>
wickelten Witterungs-In&#x017F;tinkt, Verirrte oder Verunglückte auf&#x017F;uchen<lb/>
helfen. Durch &#x017F;ehr kräftigen Körperbau und durch ungewöhnliche<lb/>
Abhärtung vermögen &#x017F;ie den tobend&#x017F;ten Schnee&#x017F;türmen nachhaltig<lb/>
zu wider&#x017F;tehen. Eine genau charakteri&#x017F;irende Be&#x017F;chreibung die&#x017F;er<lb/>
vortrefflichen Thiere findet man in T&#x017F;chudis &#x201E;Thierleben der Alpen¬<lb/>
welt.&#x201C; Auf dem Gotthard werden gegenwärtig noch ein Bernhards¬<lb/>
hund (Weibchen), eine Kam&#x017F;chatka-Race, und zwei Leonbergerhunde<lb/>
(Ge&#x017F;chenk vom Stadtrath E&#x017F;&#x017F;ig in Stuttgart) unterhalten, die nach<lb/>
den Ver&#x017F;icherungen der Ho&#x017F;piz-Bewohner &#x017F;ehr gute Dien&#x017F;te lei&#x017F;ten<lb/>
&#x017F;ollen.</p><lb/>
        <p>Die Summe der wirklichen Unglücksfälle hat in den letzten<lb/>
Jahren &#x017F;ehr abgenommen. Am Großen St. Bernhard i&#x017F;t &#x017F;eit langer<lb/>
Zeit kein erheblicher Fall mehr vorgekommen. Schlimmer ge&#x017F;taltete<lb/>
&#x017F;ich das Verhältniß auf dem Gotthard, wegen des regelmäßigen<lb/>
obligatori&#x017F;chen Po&#x017F;t-Betriebes. Außer dem &#x017F;chon <hi rendition="#aq">pag</hi>. 175 die&#x017F;es<lb/>
Buches erzählten Falle ereignete es &#x017F;ich wenige Wochen früher (12.<lb/>
März 1848), daß in den &#x017F;. g. Plangen, oberhalb des Schirmhau&#x017F;es<lb/>
am &#x201E;Mätteli&#x201C;, dreizehn Männer, welche die Po&#x017F;t begleiteten, &#x017F;ammt<lb/>
Pferden und Schlitten durch eine gewaltige Lauine bis zur Reuß<lb/>
hinunterge&#x017F;chleudert wurden. Drei der&#x017F;elben, Familienväter, fanden<lb/>
neb&#x017F;t 9 Ro&#x017F;&#x017F;en ihr Grab im Sturz&#x017F;chnee; die anderen konnten durch<lb/>
eilig&#x017F;t herbeigerufene Hilfe gerettet werden. Wahrhaft tragi&#x017F;ch aber<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[324/0360] Die Hospitien. Wetter hier einkehrt, und ſo wohlwollende, menſchenfreundliche, herzliche Aufnahme findet, ſind nicht zu beſchreiben, und freiwillig, ohne irgend welche Aufforderung, erlegt gewiß der Fremde, welcher über nur einige Mittel gebieten kann, gern den Werth deſſen, was er uneigennützig empfing. Freilich giebts auch Reiſende der wohl¬ habenderen Stände, die ſchmutzig genug ſind, ohne irgend eine Gabe weiter zu ziehen. In allen bisher genannten Hospitien werden jene berühmten Hunde gehalten, die bei gefährlichem Wetter mit den Knechten ausziehen und durch ihren, in außerordentlich hohem Grade ent¬ wickelten Witterungs-Inſtinkt, Verirrte oder Verunglückte aufſuchen helfen. Durch ſehr kräftigen Körperbau und durch ungewöhnliche Abhärtung vermögen ſie den tobendſten Schneeſtürmen nachhaltig zu widerſtehen. Eine genau charakteriſirende Beſchreibung dieſer vortrefflichen Thiere findet man in Tſchudis „Thierleben der Alpen¬ welt.“ Auf dem Gotthard werden gegenwärtig noch ein Bernhards¬ hund (Weibchen), eine Kamſchatka-Race, und zwei Leonbergerhunde (Geſchenk vom Stadtrath Eſſig in Stuttgart) unterhalten, die nach den Verſicherungen der Hoſpiz-Bewohner ſehr gute Dienſte leiſten ſollen. Die Summe der wirklichen Unglücksfälle hat in den letzten Jahren ſehr abgenommen. Am Großen St. Bernhard iſt ſeit langer Zeit kein erheblicher Fall mehr vorgekommen. Schlimmer geſtaltete ſich das Verhältniß auf dem Gotthard, wegen des regelmäßigen obligatoriſchen Poſt-Betriebes. Außer dem ſchon pag. 175 dieſes Buches erzählten Falle ereignete es ſich wenige Wochen früher (12. März 1848), daß in den ſ. g. Plangen, oberhalb des Schirmhauſes am „Mätteli“, dreizehn Männer, welche die Poſt begleiteten, ſammt Pferden und Schlitten durch eine gewaltige Lauine bis zur Reuß hinuntergeſchleudert wurden. Drei derſelben, Familienväter, fanden nebſt 9 Roſſen ihr Grab im Sturzſchnee; die anderen konnten durch eiligſt herbeigerufene Hilfe gerettet werden. Wahrhaft tragiſch aber

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/360
Zitationshilfe: Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 324. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/360>, abgerufen am 19.05.2024.