Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.

Bild:
<< vorherige Seite

Gebirgs-Pässe und Alpen-Straßen.
mal unter Leitung erprobter und renommirter Führer überschritten
werden. Dahin gehören: der vierzehnstündige Gletschermarsch über
die Strahlegg (10379 Fuß), ein Eisrücken zwischen den Schreck¬
hörnern und dem Finsteraarhorn im Berner Oberlande, auf dem
direkten Wege von der Grimsel nach Grindelwald, bei welchem der
Unteraar-, Finsteraar- und Untere Grindelwald- Gletscher ihrer gan¬
zen Länge nach passirt werden müssen; ferner die Passage über
Col de Geant (10500 Fuß) in der Montblanc-Gruppe, die von
Chamouny über die ganze Länge des Glacier des Bois oder Mer
de Glace
und den Glacier du Tacul zwischen den Aiguilles du
Dru
(11471 Fuß), du Moine (11580 Fuß) und du Geant (13019
Fuß) östlich, und den Aiguilles de Charmoz (10255 Fuß),
Blaitiere und Montblanc du Tacul westlich, ansteigend, über den
Glacier d'Entreves hinab in 16 Stunden nach Cormajeur führt,
wovon mehr als die Hälfte des Weges über Gletscher. Am 15.
August 1860 verunglückten drei, den ersten Familien von Wales
angehörende Englische Reisende beim Hinabsteigen nach Cormajeur.
Sie gingen über einen Grat, der links und rechts einen Abgrund
hatte; da brach der zu hinterst Gehende aus Müdigkeit zusammen,
glitschte im Fall über den Schnee hinweg, und riß den Führer
und seine beiden Reisekameraden mit sich fort. Die beiden
anderen Führer, welche die Enden des angelegten Seiles hielten,
thaten das Möglichste, um die vier Unglücklichen aufzuhalten;
aber umsonst! sie mußten nachlassen, wenn sie nicht selbst mit zu
Grunde gehen wollten. Die Stürzenden rollten fünf Kilometer
weit den Abhang hinunter und ihr Fall löste eine Lauine, die
ihnen nachrollte, sie überholte und begrub. Am andern Morgen
fand von Cormajeur requirirte Hilfsmannschaft die vier Leichen,
fast unkenntlich mit gebrochenen Schädeln, die eine unter einem
großen Felsenstück. Sie wurden am 17 August, in Begleitung
aller zur Zeit anwesenden Fremden, auf dem Friedhof von Cor¬
majeur beerdigt.

Gebirgs-Päſſe und Alpen-Straßen.
mal unter Leitung erprobter und renommirter Führer überſchritten
werden. Dahin gehören: der vierzehnſtündige Gletſchermarſch über
die Strahlegg (10379 Fuß), ein Eisrücken zwiſchen den Schreck¬
hörnern und dem Finſteraarhorn im Berner Oberlande, auf dem
direkten Wege von der Grimſel nach Grindelwald, bei welchem der
Unteraar-, Finſteraar- und Untere Grindelwald- Gletſcher ihrer gan¬
zen Länge nach paſſirt werden müſſen; ferner die Paſſage über
Col de Géant (10500 Fuß) in der Montblanc-Gruppe, die von
Chamouny über die ganze Länge des Glacier des Bois oder Mer
de Glace
und den Glacier du Tacul zwiſchen den Aiguilles du
Dru
(11471 Fuß), du Moine (11580 Fuß) und du Géant (13019
Fuß) öſtlich, und den Aiguilles de Charmoz (10255 Fuß),
Blaitière und Montblanc du Tacul weſtlich, anſteigend, über den
Glacier d'Entrèves hinab in 16 Stunden nach Cormajeur führt,
wovon mehr als die Hälfte des Weges über Gletſcher. Am 15.
Auguſt 1860 verunglückten drei, den erſten Familien von Wales
angehörende Engliſche Reiſende beim Hinabſteigen nach Cormajeur.
Sie gingen über einen Grat, der links und rechts einen Abgrund
hatte; da brach der zu hinterſt Gehende aus Müdigkeit zuſammen,
glitſchte im Fall über den Schnee hinweg, und riß den Führer
und ſeine beiden Reiſekameraden mit ſich fort. Die beiden
anderen Führer, welche die Enden des angelegten Seiles hielten,
thaten das Möglichſte, um die vier Unglücklichen aufzuhalten;
aber umſonſt! ſie mußten nachlaſſen, wenn ſie nicht ſelbſt mit zu
Grunde gehen wollten. Die Stürzenden rollten fünf Kilometer
weit den Abhang hinunter und ihr Fall löſte eine Lauine, die
ihnen nachrollte, ſie überholte und begrub. Am andern Morgen
fand von Cormajeur requirirte Hilfsmannſchaft die vier Leichen,
faſt unkenntlich mit gebrochenen Schädeln, die eine unter einem
großen Felſenſtück. Sie wurden am 17 Auguſt, in Begleitung
aller zur Zeit anweſenden Fremden, auf dem Friedhof von Cor¬
majeur beerdigt.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0348" n="312"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#fr #g">Gebirgs-Pä&#x017F;&#x017F;e und Alpen-Straßen</hi>.<lb/></fw>mal unter Leitung erprobter und renommirter Führer über&#x017F;chritten<lb/>
werden. Dahin gehören: der vierzehn&#x017F;tündige Glet&#x017F;chermar&#x017F;ch über<lb/>
die Strahlegg (10379 Fuß), ein Eisrücken zwi&#x017F;chen den Schreck¬<lb/>
hörnern und dem Fin&#x017F;teraarhorn im Berner Oberlande, auf dem<lb/>
direkten Wege von der Grim&#x017F;el nach Grindelwald, bei welchem der<lb/>
Unteraar-, Fin&#x017F;teraar- und Untere Grindelwald- Glet&#x017F;cher ihrer gan¬<lb/>
zen Länge nach pa&#x017F;&#x017F;irt werden mü&#x017F;&#x017F;en; ferner die Pa&#x017F;&#x017F;age über<lb/><hi rendition="#aq">Col de Géant</hi> (10500 Fuß) in der Montblanc-Gruppe, die von<lb/>
Chamouny über die ganze Länge des <hi rendition="#aq">Glacier des Bois</hi> oder <hi rendition="#aq">Mer<lb/>
de Glace</hi> und den <hi rendition="#aq">Glacier du Tacul</hi> zwi&#x017F;chen den <hi rendition="#aq">Aiguilles du<lb/>
Dru</hi> (11471 Fuß), <hi rendition="#aq">du Moine</hi> (11580 Fuß) und <hi rendition="#aq">du Géant</hi> (13019<lb/>
Fuß) ö&#x017F;tlich, und den <hi rendition="#aq">Aiguilles de Charmoz</hi> (10255 Fuß),<lb/><hi rendition="#aq">Blaitière</hi> und <hi rendition="#aq">Montblanc du Tacul</hi> we&#x017F;tlich, an&#x017F;teigend, über den<lb/><hi rendition="#aq">Glacier d'Entrèves</hi> hinab in 16 Stunden nach Cormajeur führt,<lb/>
wovon mehr als die Hälfte des Weges über Glet&#x017F;cher. Am 15.<lb/>
Augu&#x017F;t 1860 verunglückten drei, den er&#x017F;ten Familien von Wales<lb/>
angehörende Engli&#x017F;che Rei&#x017F;ende beim Hinab&#x017F;teigen nach Cormajeur.<lb/>
Sie gingen über einen Grat, der links und rechts einen Abgrund<lb/>
hatte; da brach der zu hinter&#x017F;t Gehende aus Müdigkeit zu&#x017F;ammen,<lb/>
glit&#x017F;chte im Fall über den Schnee hinweg, und riß den Führer<lb/>
und &#x017F;eine beiden Rei&#x017F;ekameraden mit &#x017F;ich fort. Die beiden<lb/>
anderen Führer, welche die Enden des angelegten Seiles hielten,<lb/>
thaten das Möglich&#x017F;te, um die vier Unglücklichen aufzuhalten;<lb/>
aber um&#x017F;on&#x017F;t! &#x017F;ie mußten nachla&#x017F;&#x017F;en, wenn &#x017F;ie nicht &#x017F;elb&#x017F;t mit zu<lb/>
Grunde gehen wollten. Die Stürzenden rollten fünf Kilometer<lb/>
weit den Abhang hinunter und ihr Fall lö&#x017F;te eine Lauine, die<lb/>
ihnen nachrollte, &#x017F;ie überholte und begrub. Am andern Morgen<lb/>
fand von Cormajeur requirirte Hilfsmann&#x017F;chaft die vier Leichen,<lb/>
fa&#x017F;t unkenntlich mit gebrochenen Schädeln, die eine unter einem<lb/>
großen Fel&#x017F;en&#x017F;tück. Sie wurden am 17 Augu&#x017F;t, in Begleitung<lb/>
aller zur Zeit anwe&#x017F;enden Fremden, auf dem Friedhof von Cor¬<lb/>
majeur beerdigt.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[312/0348] Gebirgs-Päſſe und Alpen-Straßen. mal unter Leitung erprobter und renommirter Führer überſchritten werden. Dahin gehören: der vierzehnſtündige Gletſchermarſch über die Strahlegg (10379 Fuß), ein Eisrücken zwiſchen den Schreck¬ hörnern und dem Finſteraarhorn im Berner Oberlande, auf dem direkten Wege von der Grimſel nach Grindelwald, bei welchem der Unteraar-, Finſteraar- und Untere Grindelwald- Gletſcher ihrer gan¬ zen Länge nach paſſirt werden müſſen; ferner die Paſſage über Col de Géant (10500 Fuß) in der Montblanc-Gruppe, die von Chamouny über die ganze Länge des Glacier des Bois oder Mer de Glace und den Glacier du Tacul zwiſchen den Aiguilles du Dru (11471 Fuß), du Moine (11580 Fuß) und du Géant (13019 Fuß) öſtlich, und den Aiguilles de Charmoz (10255 Fuß), Blaitière und Montblanc du Tacul weſtlich, anſteigend, über den Glacier d'Entrèves hinab in 16 Stunden nach Cormajeur führt, wovon mehr als die Hälfte des Weges über Gletſcher. Am 15. Auguſt 1860 verunglückten drei, den erſten Familien von Wales angehörende Engliſche Reiſende beim Hinabſteigen nach Cormajeur. Sie gingen über einen Grat, der links und rechts einen Abgrund hatte; da brach der zu hinterſt Gehende aus Müdigkeit zuſammen, glitſchte im Fall über den Schnee hinweg, und riß den Führer und ſeine beiden Reiſekameraden mit ſich fort. Die beiden anderen Führer, welche die Enden des angelegten Seiles hielten, thaten das Möglichſte, um die vier Unglücklichen aufzuhalten; aber umſonſt! ſie mußten nachlaſſen, wenn ſie nicht ſelbſt mit zu Grunde gehen wollten. Die Stürzenden rollten fünf Kilometer weit den Abhang hinunter und ihr Fall löſte eine Lauine, die ihnen nachrollte, ſie überholte und begrub. Am andern Morgen fand von Cormajeur requirirte Hilfsmannſchaft die vier Leichen, faſt unkenntlich mit gebrochenen Schädeln, die eine unter einem großen Felſenſtück. Sie wurden am 17 Auguſt, in Begleitung aller zur Zeit anweſenden Fremden, auf dem Friedhof von Cor¬ majeur beerdigt.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/348
Zitationshilfe: Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 312. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/348>, abgerufen am 19.05.2024.