Mit dem Zunehmen des Verkehrs zwischen dem Süden und Norden Europas, mit dem Beginn des transalpinen Landhandels, mit dem Aufkommen der pomphaften Römerzüge, welche die Deutschen Könige unternahmen, um sich vom Papst mit dem Deutschen Reiche belehnen und zum Kaiser krönen zu lassen, mit den Kämpfen derselben in Italien, kamen dann auch die Alpenpässe des Brenner, Bernhardin, Septimer und Julier in Aufnahme. Letzterer war vom 13ten bis 15ten Jahrhundert die Haupthandelsstraße zwischen Venedig und Deutschland oder Frankreich.
Der Werth und die Bedeutung der Alpenpässe stieg von Jahrhundert zu Jahrhundert. Es giebt wenig große Heerstraßen Europas, die geschichtlich so denkwürdig und furchtbar-erhaben dastehen wie diese wilden Gebirgswege; die größten Feldherren fast aller Jahrhunderte haben um ihren Besitz gestritten, und auf den einsamsten Höhen, ja oft in Mitte des ewigen Schnees finden wir Trümmer alter Landwehren und Befestigungswerke, wie auf dem Gargellen-Joch im Rhätikon und auf dem zehntausend Fuß hohen Matterjoch die Theodul-Schanze. Wir brauchen nicht an Baldirons Schaaren im dreißigjährigen Kriege, an Suwaroffs schreckliche Kämpfe auf dem Gotthard und seinen Rückzug über den Pragel und Panixer-Paß, an Buonapartes Uebergang über den großen St. Bernhard zur Schlacht von Marengo und an Andreas Hofers Vertheidigung Tyrols zu erinnern, um die poli¬ tische und strategische Wichtigkeit der Alpenpässe darzulegen. Nicht die aufbauenden, segensvollen und länderbeglückenden Entwickelungs- Phasen des Friedens, nicht die mächtigen Pulsationen des völker¬ verbindenden, kulturfördernden Handels gaben die Veranlassung zu dem ersten Kunststraßenbau über den Simplon. -- "Le canon, quand pourra-t-il passer les Alpes?" war die wiederholt drängende Frage Napoleons I. an den rapportirenden Ingenieur-Offizier. Kanonen, Heeressäulen und Kriegestroß rasch und leicht übers Gebirge schaffen zu können, war der Zweck des großen Eroberers. Aber das kühne
Berlepsch, die Alpen. 19
Gebirgs-Päſſe und Alpen-Straßen.
Mit dem Zunehmen des Verkehrs zwiſchen dem Süden und Norden Europas, mit dem Beginn des transalpinen Landhandels, mit dem Aufkommen der pomphaften Römerzüge, welche die Deutſchen Könige unternahmen, um ſich vom Papſt mit dem Deutſchen Reiche belehnen und zum Kaiſer krönen zu laſſen, mit den Kämpfen derſelben in Italien, kamen dann auch die Alpenpäſſe des Brenner, Bernhardin, Septimer und Julier in Aufnahme. Letzterer war vom 13ten bis 15ten Jahrhundert die Haupthandelsſtraße zwiſchen Venedig und Deutſchland oder Frankreich.
Der Werth und die Bedeutung der Alpenpäſſe ſtieg von Jahrhundert zu Jahrhundert. Es giebt wenig große Heerſtraßen Europas, die geſchichtlich ſo denkwürdig und furchtbar-erhaben daſtehen wie dieſe wilden Gebirgswege; die größten Feldherren faſt aller Jahrhunderte haben um ihren Beſitz geſtritten, und auf den einſamſten Höhen, ja oft in Mitte des ewigen Schnees finden wir Trümmer alter Landwehren und Befeſtigungswerke, wie auf dem Gargellen-Joch im Rhätikon und auf dem zehntauſend Fuß hohen Matterjoch die Theodul-Schanze. Wir brauchen nicht an Baldirons Schaaren im dreißigjährigen Kriege, an Suwaroffs ſchreckliche Kämpfe auf dem Gotthard und ſeinen Rückzug über den Pragel und Panixer-Paß, an Buonapartes Uebergang über den großen St. Bernhard zur Schlacht von Marengo und an Andreas Hofers Vertheidigung Tyrols zu erinnern, um die poli¬ tiſche und ſtrategiſche Wichtigkeit der Alpenpäſſe darzulegen. Nicht die aufbauenden, ſegensvollen und länderbeglückenden Entwickelungs- Phaſen des Friedens, nicht die mächtigen Pulſationen des völker¬ verbindenden, kulturfördernden Handels gaben die Veranlaſſung zu dem erſten Kunſtſtraßenbau über den Simplon. — „Le canon, quand pourra-t-il passer les Alpes?“ war die wiederholt drängende Frage Napoleons I. an den rapportirenden Ingenieur-Offizier. Kanonen, Heeresſäulen und Kriegestroß raſch und leicht übers Gebirge ſchaffen zu können, war der Zweck des großen Eroberers. Aber das kühne
Berlepſch, die Alpen. 19
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Gebirgs-Päſſe und Alpen-Straßen.
Mit dem Zunehmen des Verkehrs zwiſchen dem Süden und Norden
Europas, mit dem Beginn des transalpinen Landhandels, mit dem
Aufkommen der pomphaften Römerzüge, welche die Deutſchen Könige
unternahmen, um ſich vom Papſt mit dem Deutſchen Reiche belehnen
und zum Kaiſer krönen zu laſſen, mit den Kämpfen derſelben in
Italien, kamen dann auch die Alpenpäſſe des Brenner, Bernhardin,
Septimer und Julier in Aufnahme. Letzterer war vom 13ten bis
15ten Jahrhundert die Haupthandelsſtraße zwiſchen Venedig und
Deutſchland oder Frankreich.
Der Werth und die Bedeutung der Alpenpäſſe ſtieg von
Jahrhundert zu Jahrhundert. Es giebt wenig große Heerſtraßen
Europas, die geſchichtlich ſo denkwürdig und furchtbar-erhaben
daſtehen wie dieſe wilden Gebirgswege; die größten Feldherren
faſt aller Jahrhunderte haben um ihren Beſitz geſtritten, und auf
den einſamſten Höhen, ja oft in Mitte des ewigen Schnees finden
wir Trümmer alter Landwehren und Befeſtigungswerke, wie auf
dem Gargellen-Joch im Rhätikon und auf dem zehntauſend Fuß
hohen Matterjoch die Theodul-Schanze. Wir brauchen nicht an
Baldirons Schaaren im dreißigjährigen Kriege, an Suwaroffs
ſchreckliche Kämpfe auf dem Gotthard und ſeinen Rückzug über
den Pragel und Panixer-Paß, an Buonapartes Uebergang über
den großen St. Bernhard zur Schlacht von Marengo und an
Andreas Hofers Vertheidigung Tyrols zu erinnern, um die poli¬
tiſche und ſtrategiſche Wichtigkeit der Alpenpäſſe darzulegen. Nicht
die aufbauenden, ſegensvollen und länderbeglückenden Entwickelungs-
Phaſen des Friedens, nicht die mächtigen Pulſationen des völker¬
verbindenden, kulturfördernden Handels gaben die Veranlaſſung zu
dem erſten Kunſtſtraßenbau über den Simplon. — „Le canon, quand
pourra-t-il passer les Alpes?“ war die wiederholt drängende Frage
Napoleons I. an den rapportirenden Ingenieur-Offizier. Kanonen,
Heeresſäulen und Kriegestroß raſch und leicht übers Gebirge ſchaffen
zu können, war der Zweck des großen Eroberers. Aber das kühne
Berlepſch, die Alpen. 19
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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 289. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/325>, abgerufen am 24.11.2024.
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