allerletzte Repräsentanten des Pflanzenreiches, zeigen sich auf den äußersten Spitzen noch ein Paar Flechten, z. B. Parmelia elegans und muralis, Cetraria nivalis Ach., und auf dem Gipfel der Jungfrau die nach dieser getaufte Umbilicaria virginis.
Wie es da droben, auf diesen äußersten Kulminationspunkten unseres Erdtheiles aussieht, ist zum Theil schon gesagt worden. Die Gipfel des Montblanc, Tödi, Mont Velan, Cima de Jazzi u. a. stellen sich als sanft rundlich ansteigende, gewölbte, große Schneekissen auf breiter Basis dar, auf denen ganz ungefährlich zu weilen ist. Der Galenstock (Berner-Urner Gränze 11,073 Fuß) zeigt sich gen Westen ebenfalls als sanft abgerundete Schneekuppel, die aber gen Osten fast senkrecht, mehrere tausend Fuß plötzlich ab¬ fällt. Der Kulm des Groß-Glockner in Tyrol ist ein unebener, felsiger Platz von grünem Chloritschiefer, der höchstens für 12 Per¬ sonen Raum bietet. Die südliche Zacke der Schreckhörner (85 Fuß niedriger als die nördliche, höchste, noch unerstiegene) bietet etwa 10 Quadratfuß Oberfläche, in Form eines Bogens oder Halbmondes, dar, dessen Konvexität nach Norden gerichtet ist. Dagegen bildet der Gipfel des Finsteraarhorns einen wellenförmigen Grat von etwa 20 Fuß Länge und nur 1 bis 11/2 Fuß Breite, der jäh nach beiden Seiten abfällt. Gleiche oder ähnliche Formen zeigt die Jungfrauspitze; sie fällt wie das Dach eines Zeltes mit 60 bis 70 Grad Neigung, bei einer Breite von nur 6 bis 10 Zoll, als harter Schneefirst ab, -- und das Eisdach des Großen Rinderhornes ist vollends so entsetzlich zugeschärft, daß es dem kühnsten Wagehalse, bei dem steilen Ansteigen der Schneide, unmöglich wird, hinauf zu reiten oder kletternd zu rutschen. Der Bernina-Gipfel bietet gar nur so viel Platz, daß kaum 3 Personen neben einander stehen können und der Grand Combin läuft in eine absolute Firnspitze, aus, auf welche man sich nicht wagen darf. Wir finden somit eine reichhaltige Musterkarte von Formen, sowohl solchen, die Schnee und Eis improvisiren und alljährlich, je nach den Abschmelzungen
Alpenſpitzen.
allerletzte Repräſentanten des Pflanzenreiches, zeigen ſich auf den äußerſten Spitzen noch ein Paar Flechten, z. B. Parmelia elegans und muralis, Cetraria nivalis Ach., und auf dem Gipfel der Jungfrau die nach dieſer getaufte Umbilicaria virginis.
Wie es da droben, auf dieſen äußerſten Kulminationspunkten unſeres Erdtheiles ausſieht, iſt zum Theil ſchon geſagt worden. Die Gipfel des Montblanc, Tödi, Mont Velan, Cima de Jazzi u. a. ſtellen ſich als ſanft rundlich anſteigende, gewölbte, große Schneekiſſen auf breiter Baſis dar, auf denen ganz ungefährlich zu weilen iſt. Der Galenſtock (Berner-Urner Gränze 11,073 Fuß) zeigt ſich gen Weſten ebenfalls als ſanft abgerundete Schneekuppel, die aber gen Oſten faſt ſenkrecht, mehrere tauſend Fuß plötzlich ab¬ fällt. Der Kulm des Groß-Glockner in Tyrol iſt ein unebener, felſiger Platz von grünem Chloritſchiefer, der höchſtens für 12 Per¬ ſonen Raum bietet. Die ſüdliche Zacke der Schreckhörner (85 Fuß niedriger als die nördliche, höchſte, noch unerſtiegene) bietet etwa 10 Quadratfuß Oberfläche, in Form eines Bogens oder Halbmondes, dar, deſſen Konvexität nach Norden gerichtet iſt. Dagegen bildet der Gipfel des Finſteraarhorns einen wellenförmigen Grat von etwa 20 Fuß Länge und nur 1 bis 1½ Fuß Breite, der jäh nach beiden Seiten abfällt. Gleiche oder ähnliche Formen zeigt die Jungfrauſpitze; ſie fällt wie das Dach eines Zeltes mit 60 bis 70 Grad Neigung, bei einer Breite von nur 6 bis 10 Zoll, als harter Schneefirſt ab, — und das Eisdach des Großen Rinderhornes iſt vollends ſo entſetzlich zugeſchärft, daß es dem kühnſten Wagehalſe, bei dem ſteilen Anſteigen der Schneide, unmöglich wird, hinauf zu reiten oder kletternd zu rutſchen. Der Bernina-Gipfel bietet gar nur ſo viel Platz, daß kaum 3 Perſonen neben einander ſtehen können und der Grand Combin läuft in eine abſolute Firnſpitze, aus, auf welche man ſich nicht wagen darf. Wir finden ſomit eine reichhaltige Muſterkarte von Formen, ſowohl ſolchen, die Schnee und Eis improviſiren und alljährlich, je nach den Abſchmelzungen
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Alpenſpitzen.
allerletzte Repräſentanten des Pflanzenreiches, zeigen ſich auf den
äußerſten Spitzen noch ein Paar Flechten, z. B. Parmelia elegans
und muralis, Cetraria nivalis Ach., und auf dem Gipfel der
Jungfrau die nach dieſer getaufte Umbilicaria virginis.
Wie es da droben, auf dieſen äußerſten Kulminationspunkten
unſeres Erdtheiles ausſieht, iſt zum Theil ſchon geſagt worden.
Die Gipfel des Montblanc, Tödi, Mont Velan, Cima de Jazzi
u. a. ſtellen ſich als ſanft rundlich anſteigende, gewölbte, große
Schneekiſſen auf breiter Baſis dar, auf denen ganz ungefährlich
zu weilen iſt. Der Galenſtock (Berner-Urner Gränze 11,073 Fuß)
zeigt ſich gen Weſten ebenfalls als ſanft abgerundete Schneekuppel,
die aber gen Oſten faſt ſenkrecht, mehrere tauſend Fuß plötzlich ab¬
fällt. Der Kulm des Groß-Glockner in Tyrol iſt ein unebener,
felſiger Platz von grünem Chloritſchiefer, der höchſtens für 12 Per¬
ſonen Raum bietet. Die ſüdliche Zacke der Schreckhörner (85 Fuß
niedriger als die nördliche, höchſte, noch unerſtiegene) bietet etwa 10
Quadratfuß Oberfläche, in Form eines Bogens oder Halbmondes,
dar, deſſen Konvexität nach Norden gerichtet iſt. Dagegen bildet
der Gipfel des Finſteraarhorns einen wellenförmigen Grat von
etwa 20 Fuß Länge und nur 1 bis 1½ Fuß Breite, der jäh nach
beiden Seiten abfällt. Gleiche oder ähnliche Formen zeigt die
Jungfrauſpitze; ſie fällt wie das Dach eines Zeltes mit 60 bis
70 Grad Neigung, bei einer Breite von nur 6 bis 10 Zoll, als
harter Schneefirſt ab, — und das Eisdach des Großen Rinderhornes
iſt vollends ſo entſetzlich zugeſchärft, daß es dem kühnſten Wagehalſe,
bei dem ſteilen Anſteigen der Schneide, unmöglich wird, hinauf zu
reiten oder kletternd zu rutſchen. Der Bernina-Gipfel bietet gar
nur ſo viel Platz, daß kaum 3 Perſonen neben einander ſtehen
können und der Grand Combin läuft in eine abſolute Firnſpitze,
aus, auf welche man ſich nicht wagen darf. Wir finden ſomit eine
reichhaltige Muſterkarte von Formen, ſowohl ſolchen, die Schnee
und Eis improviſiren und alljährlich, je nach den Abſchmelzungen
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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 283. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/317>, abgerufen am 24.11.2024.
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