Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.

Bild:
<< vorherige Seite

Alpenspitzen.
und schlüpfrige Firnfelder möglichst ungefährdet durchwandern zu
können, bedarf es Leitern und Stricke, Beile und Fußeisen, deren
Transport neben Kompas und Fernrohr, Thermometer und Ba¬
rometer, Karten-, Zeichen- und Koch-Apparat den Aufmarsch we¬
sentlich behindern. -- Besteigt ein einzelner Reisender den Mont¬
blanc, wozu drei Tage Zeit gehören, so bedarf er nach dem obrig¬
keitlichen Reglement vier Führer, deren jeder 120 Francs Lohn
und nach beendeter Tour noch einen Napoleon Trinkgeld bekommt,
und um für die Bedürfnisse dieser fünf Personen zu sorgen, sind wie¬
derum fünf Träger nöthig, deren jeder 50 bis 60 Francs für den
ganzen Weg bekommt, so daß die Kosten zwischen 900 und 1000
Francs zu stehen kommen.

Führer giebts in den Alpen wie Sand am Meer, aber nur
sehr wenige, die für centrale Expeditionen das erforderliche Zeug
haben. Hier genügen Körperkräfte und genaue Lokalkenntniß nicht
allein; hier müssen Muth, Umblick, entschiedene Besonnenheit und
vor allen Dingen Geistesgegenwart den übrigen obligatorischen
Führer-Eigenschaften beigesellt sein. Wehe dem, der, des Gebirges
unkundig, an Schwindler geräth, die in der Höhe keinen Bescheid
wissen; er ist so gut wie verlassen. Aber es giebt auch Führer,
ihres Gewerbes Gemsjäger und Wildheuer, die durch lange Praxis
ihren Ortssinn so wunderbar ausgebildet haben, daß sie an Alpen¬
stöcken fremder Gegenden, die nie zuvor ihr Fuß betrat, dennoch
mit spähendem Scharfblick den Weg durch Felsenlabyrinthe und
Eiswüsten herauszufinden wissen, der zum Ziele führt. Solch ein
mit seltenem Orientirungstalent begabter Führer war Maduz von
Matt im Glarner Kleinthal (eigentlich ein Schwabe), der bei offenem
warmen Sinn für Naturschönheiten, außerordentlich besorgt um
seine Klienten war und allenthalben Rath wußte. Als die Herren G.
Studer von Bern und M. Ulrich von Zürich zum Erstenmal den
Monte Leone im Wallis, und Herr Prof. Oswald Heer von Zürich
(bekannter Botaniker und Entomolog) zum Erstenmal den Piz Linard

Alpenſpitzen.
und ſchlüpfrige Firnfelder möglichſt ungefährdet durchwandern zu
können, bedarf es Leitern und Stricke, Beile und Fußeiſen, deren
Transport neben Kompas und Fernrohr, Thermometer und Ba¬
rometer, Karten-, Zeichen- und Koch-Apparat den Aufmarſch we¬
ſentlich behindern. — Beſteigt ein einzelner Reiſender den Mont¬
blanc, wozu drei Tage Zeit gehören, ſo bedarf er nach dem obrig¬
keitlichen Reglement vier Führer, deren jeder 120 Francs Lohn
und nach beendeter Tour noch einen Napoleon Trinkgeld bekommt,
und um für die Bedürfniſſe dieſer fünf Perſonen zu ſorgen, ſind wie¬
derum fünf Träger nöthig, deren jeder 50 bis 60 Francs für den
ganzen Weg bekommt, ſo daß die Koſten zwiſchen 900 und 1000
Francs zu ſtehen kommen.

Führer giebts in den Alpen wie Sand am Meer, aber nur
ſehr wenige, die für centrale Expeditionen das erforderliche Zeug
haben. Hier genügen Körperkräfte und genaue Lokalkenntniß nicht
allein; hier müſſen Muth, Umblick, entſchiedene Beſonnenheit und
vor allen Dingen Geiſtesgegenwart den übrigen obligatoriſchen
Führer-Eigenſchaften beigeſellt ſein. Wehe dem, der, des Gebirges
unkundig, an Schwindler geräth, die in der Höhe keinen Beſcheid
wiſſen; er iſt ſo gut wie verlaſſen. Aber es giebt auch Führer,
ihres Gewerbes Gemsjäger und Wildheuer, die durch lange Praxis
ihren Ortsſinn ſo wunderbar ausgebildet haben, daß ſie an Alpen¬
ſtöcken fremder Gegenden, die nie zuvor ihr Fuß betrat, dennoch
mit ſpähendem Scharfblick den Weg durch Felſenlabyrinthe und
Eiswüſten herauszufinden wiſſen, der zum Ziele führt. Solch ein
mit ſeltenem Orientirungstalent begabter Führer war Maduz von
Matt im Glarner Kleinthal (eigentlich ein Schwabe), der bei offenem
warmen Sinn für Naturſchönheiten, außerordentlich beſorgt um
ſeine Klienten war und allenthalben Rath wußte. Als die Herren G.
Studer von Bern und M. Ulrich von Zürich zum Erſtenmal den
Monte Leone im Wallis, und Herr Prof. Oswald Heer von Zürich
(bekannter Botaniker und Entomolog) zum Erſtenmal den Piz Linard

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0283" n="249"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#fr #g">Alpen&#x017F;pitzen</hi>.<lb/></fw> und &#x017F;chlüpfrige Firnfelder möglich&#x017F;t ungefährdet durchwandern zu<lb/>
können, bedarf es Leitern und Stricke, Beile und Fußei&#x017F;en, deren<lb/>
Transport neben Kompas und Fernrohr, Thermometer und Ba¬<lb/>
rometer, Karten-, Zeichen- und Koch-Apparat den Aufmar&#x017F;ch we¬<lb/>
&#x017F;entlich behindern. &#x2014; Be&#x017F;teigt ein einzelner Rei&#x017F;ender den Mont¬<lb/>
blanc, wozu drei Tage Zeit gehören, &#x017F;o bedarf er nach dem obrig¬<lb/>
keitlichen Reglement vier Führer, deren jeder 120 Francs Lohn<lb/>
und nach beendeter Tour noch einen Napoleon Trinkgeld bekommt,<lb/>
und um für die Bedürfni&#x017F;&#x017F;e die&#x017F;er fünf Per&#x017F;onen zu &#x017F;orgen, &#x017F;ind wie¬<lb/>
derum fünf Träger nöthig, deren jeder 50 bis 60 Francs für den<lb/>
ganzen Weg bekommt, &#x017F;o daß die Ko&#x017F;ten zwi&#x017F;chen 900 und 1000<lb/>
Francs zu &#x017F;tehen kommen.</p><lb/>
        <p>Führer giebts in den Alpen wie Sand am Meer, aber nur<lb/>
&#x017F;ehr wenige, die für centrale Expeditionen das erforderliche Zeug<lb/>
haben. Hier genügen Körperkräfte und genaue Lokalkenntniß nicht<lb/>
allein; hier mü&#x017F;&#x017F;en Muth, Umblick, ent&#x017F;chiedene Be&#x017F;onnenheit und<lb/>
vor allen Dingen Gei&#x017F;tesgegenwart den übrigen obligatori&#x017F;chen<lb/>
Führer-Eigen&#x017F;chaften beige&#x017F;ellt &#x017F;ein. Wehe dem, der, des Gebirges<lb/>
unkundig, an Schwindler geräth, die in der Höhe keinen Be&#x017F;cheid<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en; er i&#x017F;t &#x017F;o gut wie verla&#x017F;&#x017F;en. Aber es giebt auch Führer,<lb/>
ihres Gewerbes Gemsjäger und Wildheuer, die durch lange Praxis<lb/>
ihren Orts&#x017F;inn &#x017F;o wunderbar ausgebildet haben, daß &#x017F;ie an Alpen¬<lb/>
&#x017F;töcken fremder Gegenden, die nie zuvor ihr Fuß betrat, dennoch<lb/>
mit &#x017F;pähendem Scharfblick den Weg durch Fel&#x017F;enlabyrinthe und<lb/>
Eiswü&#x017F;ten herauszufinden wi&#x017F;&#x017F;en, der zum Ziele führt. Solch ein<lb/>
mit &#x017F;eltenem Orientirungstalent begabter Führer war Maduz von<lb/>
Matt im Glarner Kleinthal (eigentlich ein Schwabe), der bei offenem<lb/>
warmen Sinn für Natur&#x017F;chönheiten, außerordentlich be&#x017F;orgt um<lb/>
&#x017F;eine Klienten war und allenthalben Rath wußte. Als die Herren G.<lb/>
Studer von Bern und M. Ulrich von Zürich zum Er&#x017F;tenmal den<lb/>
Monte Leone im Wallis, und Herr Prof. Oswald Heer von Zürich<lb/>
(bekannter Botaniker und Entomolog) zum Er&#x017F;tenmal den Piz Linard<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[249/0283] Alpenſpitzen. und ſchlüpfrige Firnfelder möglichſt ungefährdet durchwandern zu können, bedarf es Leitern und Stricke, Beile und Fußeiſen, deren Transport neben Kompas und Fernrohr, Thermometer und Ba¬ rometer, Karten-, Zeichen- und Koch-Apparat den Aufmarſch we¬ ſentlich behindern. — Beſteigt ein einzelner Reiſender den Mont¬ blanc, wozu drei Tage Zeit gehören, ſo bedarf er nach dem obrig¬ keitlichen Reglement vier Führer, deren jeder 120 Francs Lohn und nach beendeter Tour noch einen Napoleon Trinkgeld bekommt, und um für die Bedürfniſſe dieſer fünf Perſonen zu ſorgen, ſind wie¬ derum fünf Träger nöthig, deren jeder 50 bis 60 Francs für den ganzen Weg bekommt, ſo daß die Koſten zwiſchen 900 und 1000 Francs zu ſtehen kommen. Führer giebts in den Alpen wie Sand am Meer, aber nur ſehr wenige, die für centrale Expeditionen das erforderliche Zeug haben. Hier genügen Körperkräfte und genaue Lokalkenntniß nicht allein; hier müſſen Muth, Umblick, entſchiedene Beſonnenheit und vor allen Dingen Geiſtesgegenwart den übrigen obligatoriſchen Führer-Eigenſchaften beigeſellt ſein. Wehe dem, der, des Gebirges unkundig, an Schwindler geräth, die in der Höhe keinen Beſcheid wiſſen; er iſt ſo gut wie verlaſſen. Aber es giebt auch Führer, ihres Gewerbes Gemsjäger und Wildheuer, die durch lange Praxis ihren Ortsſinn ſo wunderbar ausgebildet haben, daß ſie an Alpen¬ ſtöcken fremder Gegenden, die nie zuvor ihr Fuß betrat, dennoch mit ſpähendem Scharfblick den Weg durch Felſenlabyrinthe und Eiswüſten herauszufinden wiſſen, der zum Ziele führt. Solch ein mit ſeltenem Orientirungstalent begabter Führer war Maduz von Matt im Glarner Kleinthal (eigentlich ein Schwabe), der bei offenem warmen Sinn für Naturſchönheiten, außerordentlich beſorgt um ſeine Klienten war und allenthalben Rath wußte. Als die Herren G. Studer von Bern und M. Ulrich von Zürich zum Erſtenmal den Monte Leone im Wallis, und Herr Prof. Oswald Heer von Zürich (bekannter Botaniker und Entomolog) zum Erſtenmal den Piz Linard

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/283
Zitationshilfe: Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 249. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/283>, abgerufen am 17.05.2024.