Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.Die Lauine. der gleichen Wuth und Kraft jenes wilden Thieres über die Felsen¬wände ins Thal hinabsetze. Hält man den einfachen Volksausdruck fest, so hat man wohl auch das Wurzelwort "lau" rasch gefunden; mit der Bezeichnung "Laue" oder "Lauine" wollte der sprach¬ ökonomische Bergbewohner kurz die ganze Erscheinung zusammen¬ fassen und benennen, die sich ihm bei der Wiederkehr der "lauen" Lüfte in jedem Frühjahre zeigt. Die Lauine ist die Milchschwester der Rüfe, gleichsam das Aber sie ist ungleich mannigfaltiger als die Rüfe, weil sie Es ist eine, im Nicht-Alpenlande beinahe stereotyp gewordene Die Lauine. der gleichen Wuth und Kraft jenes wilden Thieres über die Felſen¬wände ins Thal hinabſetze. Hält man den einfachen Volksausdruck feſt, ſo hat man wohl auch das Wurzelwort „lau“ raſch gefunden; mit der Bezeichnung „Laue“ oder „Lauine“ wollte der ſprach¬ ökonomiſche Bergbewohner kurz die ganze Erſcheinung zuſammen¬ faſſen und benennen, die ſich ihm bei der Wiederkehr der „lauen“ Lüfte in jedem Frühjahre zeigt. Die Lauine iſt die Milchſchweſter der Rüfe, gleichſam das Aber ſie iſt ungleich mannigfaltiger als die Rüfe, weil ſie Es iſt eine, im Nicht-Alpenlande beinahe ſtereotyp gewordene <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0226" n="196"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#fr #g">Die Lauine</hi>.<lb/></fw> der gleichen Wuth und Kraft jenes wilden Thieres über die Felſen¬<lb/> wände ins Thal hinabſetze. Hält man den einfachen Volksausdruck<lb/> feſt, ſo hat man wohl auch das Wurzelwort „lau“ raſch gefunden;<lb/> mit der Bezeichnung „Laue“ oder „Lauine“ wollte der ſprach¬<lb/> ökonomiſche Bergbewohner kurz die ganze Erſcheinung zuſammen¬<lb/> faſſen und benennen, die ſich ihm bei der Wiederkehr der „lauen“<lb/> Lüfte in jedem Frühjahre zeigt.</p><lb/> <p>Die Lauine iſt die Milchſchweſter der Rüfe, gleichſam das<lb/> winterliche Ebenbild dieſes im Sommer ſo ungeberdig tobend aus<lb/> den Höhen hereinbrechenden Unholdes. Wie bei jener iſt es ein<lb/> Abſchüttelungs-Proceß des Uebermaßes deſſen, was die Höhen nicht<lb/> zu bergen vermögen, — wie jene, tritt auch die Lauine ſchrecken¬<lb/> erregend in dräuender Wildheit, donnernd und weithin durch die<lb/> Thäler widerhallend einher, — wie jene, hat ſie ihre trümmer¬<lb/> bedeckten Sturzbahnen, über welche ſie furchtbar herniederrauſcht, —<lb/> wie jene, richtet ſie im bewohnten Kulturlande alljährlich viel Unheil<lb/> an und iſt der gefürchtetſte Gaſt jedes Alpthales.</p><lb/> <p>Aber ſie iſt ungleich mannigfaltiger als die Rüfe, weil ſie<lb/> viel öfter und faſt allenthalben im Hochgebirge wiederkehrt. Kaum<lb/> mag es einen bedeutenden Gebirgszug geben, der nicht ſeine all¬<lb/> jährlich regelmäßigen Lauinenſtürze hat. Hier hängts dann begreif¬<lb/> lich von der Figuration der Berge und Felſenwände, von ihrer<lb/> mehr oder minder dem Schneefall, der Schneeanhäufung aus¬<lb/> geſetzten Lage ab, wie groß, ſtark und heftig die Lauine wird —<lb/> und je nach ihrem früheren oder ſpäteren Auftreten, der Dichtheit<lb/> ihres Materials, der Urſache ihrer Entſtehung und dem Effekt<lb/> ihrer Wirkung unterſcheidet der Aelpler verſchiedene Arten.</p><lb/> <p>Es iſt eine, im Nicht-Alpenlande beinahe ſtereotyp gewordene<lb/> Meinung, daß irgend eine unbedeutende, äußere Veranlaſſung, z. B.<lb/> das Schneekörnchen, welches der Fittigſchlag eines Vogels in<lb/> rollende Bewegung ſetzt, die Lufterſchütterung, welche durch Geräuſch,<lb/> durch das Knallen einer Peitſche, das Klingeln einer Saumroß-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [196/0226]
Die Lauine.
der gleichen Wuth und Kraft jenes wilden Thieres über die Felſen¬
wände ins Thal hinabſetze. Hält man den einfachen Volksausdruck
feſt, ſo hat man wohl auch das Wurzelwort „lau“ raſch gefunden;
mit der Bezeichnung „Laue“ oder „Lauine“ wollte der ſprach¬
ökonomiſche Bergbewohner kurz die ganze Erſcheinung zuſammen¬
faſſen und benennen, die ſich ihm bei der Wiederkehr der „lauen“
Lüfte in jedem Frühjahre zeigt.
Die Lauine iſt die Milchſchweſter der Rüfe, gleichſam das
winterliche Ebenbild dieſes im Sommer ſo ungeberdig tobend aus
den Höhen hereinbrechenden Unholdes. Wie bei jener iſt es ein
Abſchüttelungs-Proceß des Uebermaßes deſſen, was die Höhen nicht
zu bergen vermögen, — wie jene, tritt auch die Lauine ſchrecken¬
erregend in dräuender Wildheit, donnernd und weithin durch die
Thäler widerhallend einher, — wie jene, hat ſie ihre trümmer¬
bedeckten Sturzbahnen, über welche ſie furchtbar herniederrauſcht, —
wie jene, richtet ſie im bewohnten Kulturlande alljährlich viel Unheil
an und iſt der gefürchtetſte Gaſt jedes Alpthales.
Aber ſie iſt ungleich mannigfaltiger als die Rüfe, weil ſie
viel öfter und faſt allenthalben im Hochgebirge wiederkehrt. Kaum
mag es einen bedeutenden Gebirgszug geben, der nicht ſeine all¬
jährlich regelmäßigen Lauinenſtürze hat. Hier hängts dann begreif¬
lich von der Figuration der Berge und Felſenwände, von ihrer
mehr oder minder dem Schneefall, der Schneeanhäufung aus¬
geſetzten Lage ab, wie groß, ſtark und heftig die Lauine wird —
und je nach ihrem früheren oder ſpäteren Auftreten, der Dichtheit
ihres Materials, der Urſache ihrer Entſtehung und dem Effekt
ihrer Wirkung unterſcheidet der Aelpler verſchiedene Arten.
Es iſt eine, im Nicht-Alpenlande beinahe ſtereotyp gewordene
Meinung, daß irgend eine unbedeutende, äußere Veranlaſſung, z. B.
das Schneekörnchen, welches der Fittigſchlag eines Vogels in
rollende Bewegung ſetzt, die Lufterſchütterung, welche durch Geräuſch,
durch das Knallen einer Peitſche, das Klingeln einer Saumroß-
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