Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Rüfe.
stellende Asplenium trichomanes, die beide ihre Samen auf den
Rückseiten der Blätter tragen.

Der Weinbau ist auf diesen Felsenschutt-Terrassen, namentlich
drunten bei Jenins und Malans, vortrefflich im Schwunge. Hier
wird ein feuriger, dunkelrother, sehr schwerer Wein gebaut, der nach
agrikultur-chemischen Untersuchungen seinen bedeutenden Gerbstoff¬
gehalt hauptsächlich von dem Feldspath bekommen soll, der dem
Boden in Menge beigemischt ist. Ueberall glimmerts und glitzerts,
blendendweiß, lecker und appetitlich, wie Marzipan von diesen Feld¬
spathstückchen. Unser Weg geht noch weiter hinauf, in den Wald.
Ein Anflug junger Tannen, dazwischen dornumstarrte Steinhalden,
nimmt uns auf. Der Weg ist sand-wüst, aber eine Wildniß
wuchernder Waldkräuter umgiebt uns.

Hinein! in den sonndurchflimmerten Tann!
Das ist eine Lust im grünen Hag,
Es blüht, was immer nur blühen mag.
Blauglöcklein schwingen die vollen Becher
Und gravitätisch entfaltet den Fächer
Die Duenna der Blumen, das Farrenkraut.
Erdbeeren breiten die süßen Rubine
Zur Schau aufs Moos, und mit Kennermiene
Die ernste Aglei den Kram beschaut
Und nickt verneinend, will nicht ganz glauben
Dem funkelnden Schein, doch die Blüthentrauben
Der Berberis lachen sie heimlich aus.
Corrodi.

Durch solches Tändelspiel unterhalten, sind wir unvermerkt
im dichten, immer dunkler werdenden Walde hinauf gestiegen. Da
lichtet sich's; noch wenig Schritte und wir stehen an der Uferwand
der wilden Rüfe. Das ist kein Waldbachbett, nicht das Rinnsal
eines versiegten Bergstromes; das ist ein leibhaftiger Steintrümmer-
Gletscher, der mitten durch den stolzen Forst in beträchtlicher Breite
sich Bahn gebrochen hat. Wie eine ungeheuere Schlange windet
das graue, grausenhafte Chaos sich hinab, -- wir können das
Ende desselben nicht erblicken. Nichts als scharfkantige Schiefer¬

Die Rüfe.
ſtellende Asplenium trichomanes, die beide ihre Samen auf den
Rückſeiten der Blätter tragen.

Der Weinbau iſt auf dieſen Felſenſchutt-Terraſſen, namentlich
drunten bei Jenins und Malans, vortrefflich im Schwunge. Hier
wird ein feuriger, dunkelrother, ſehr ſchwerer Wein gebaut, der nach
agrikultur-chemiſchen Unterſuchungen ſeinen bedeutenden Gerbſtoff¬
gehalt hauptſächlich von dem Feldſpath bekommen ſoll, der dem
Boden in Menge beigemiſcht iſt. Ueberall glimmerts und glitzerts,
blendendweiß, lecker und appetitlich, wie Marzipan von dieſen Feld¬
ſpathſtückchen. Unſer Weg geht noch weiter hinauf, in den Wald.
Ein Anflug junger Tannen, dazwiſchen dornumſtarrte Steinhalden,
nimmt uns auf. Der Weg iſt ſand-wüſt, aber eine Wildniß
wuchernder Waldkräuter umgiebt uns.

Hinein! in den ſonndurchflimmerten Tann!
Das iſt eine Luſt im grünen Hag,
Es blüht, was immer nur blühen mag.
Blauglöcklein ſchwingen die vollen Becher
Und gravitätiſch entfaltet den Fächer
Die Duenna der Blumen, das Farrenkraut.
Erdbeeren breiten die ſüßen Rubine
Zur Schau aufs Moos, und mit Kennermiene
Die ernſte Aglei den Kram beſchaut
Und nickt verneinend, will nicht ganz glauben
Dem funkelnden Schein, doch die Blüthentrauben
Der Berberis lachen ſie heimlich aus.
Corrodi.

Durch ſolches Tändelſpiel unterhalten, ſind wir unvermerkt
im dichten, immer dunkler werdenden Walde hinauf geſtiegen. Da
lichtet ſich's; noch wenig Schritte und wir ſtehen an der Uferwand
der wilden Rüfe. Das iſt kein Waldbachbett, nicht das Rinnſal
eines verſiegten Bergſtromes; das iſt ein leibhaftiger Steintrümmer-
Gletſcher, der mitten durch den ſtolzen Forſt in beträchtlicher Breite
ſich Bahn gebrochen hat. Wie eine ungeheuere Schlange windet
das graue, grauſenhafte Chaos ſich hinab, — wir können das
Ende deſſelben nicht erblicken. Nichts als ſcharfkantige Schiefer¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0217" n="189"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#fr #g">Die Rüfe</hi>.<lb/></fw> &#x017F;tellende <hi rendition="#aq">Asplenium trichomanes</hi>, die beide ihre Samen auf den<lb/>
Rück&#x017F;eiten der Blätter tragen.</p><lb/>
        <p>Der Weinbau i&#x017F;t auf die&#x017F;en Fel&#x017F;en&#x017F;chutt-Terra&#x017F;&#x017F;en, namentlich<lb/>
drunten bei Jenins und Malans, vortrefflich im Schwunge. Hier<lb/>
wird ein feuriger, dunkelrother, &#x017F;ehr &#x017F;chwerer Wein gebaut, der nach<lb/>
agrikultur-chemi&#x017F;chen Unter&#x017F;uchungen &#x017F;einen bedeutenden Gerb&#x017F;toff¬<lb/>
gehalt haupt&#x017F;ächlich von dem Feld&#x017F;path bekommen &#x017F;oll, der dem<lb/>
Boden in Menge beigemi&#x017F;cht i&#x017F;t. Ueberall glimmerts und glitzerts,<lb/>
blendendweiß, lecker und appetitlich, wie Marzipan von die&#x017F;en Feld¬<lb/>
&#x017F;path&#x017F;tückchen. Un&#x017F;er Weg geht noch weiter hinauf, in den Wald.<lb/>
Ein Anflug junger Tannen, dazwi&#x017F;chen dornum&#x017F;tarrte Steinhalden,<lb/>
nimmt uns auf. Der Weg i&#x017F;t &#x017F;and-wü&#x017F;t, aber eine Wildniß<lb/>
wuchernder Waldkräuter umgiebt uns.</p><lb/>
        <cit>
          <quote>
            <lg type="poem">
              <l>Hinein! in den &#x017F;onndurchflimmerten Tann!<lb/></l>
              <l>Das i&#x017F;t eine Lu&#x017F;t im grünen Hag,<lb/></l>
              <l>Es blüht, was immer nur blühen mag.<lb/></l>
              <l>Blauglöcklein &#x017F;chwingen die vollen Becher<lb/></l>
              <l>Und gravitäti&#x017F;ch entfaltet den Fächer<lb/></l>
              <l>Die Duenna der Blumen, das Farrenkraut.<lb/></l>
              <l>Erdbeeren breiten die &#x017F;üßen Rubine<lb/></l>
              <l>Zur Schau aufs Moos, und mit Kennermiene<lb/></l>
              <l>Die ern&#x017F;te Aglei den Kram be&#x017F;chaut<lb/></l>
              <l>Und nickt verneinend, will nicht ganz glauben<lb/></l>
              <l>Dem funkelnden Schein, doch die Blüthentrauben<lb/></l>
              <l>Der Berberis lachen &#x017F;ie heimlich aus.<lb/></l>
            </lg>
          </quote>
          <bibl rendition="#right"><hi rendition="#g">Corrodi</hi>.<lb/></bibl>
        </cit>
        <p>Durch &#x017F;olches Tändel&#x017F;piel unterhalten, &#x017F;ind wir unvermerkt<lb/>
im dichten, immer dunkler werdenden Walde hinauf ge&#x017F;tiegen. Da<lb/>
lichtet &#x017F;ich's; noch wenig Schritte und wir &#x017F;tehen an der Uferwand<lb/>
der wilden Rüfe. Das i&#x017F;t kein Waldbachbett, nicht das Rinn&#x017F;al<lb/>
eines ver&#x017F;iegten Berg&#x017F;tromes; das i&#x017F;t ein leibhaftiger Steintrümmer-<lb/>
Glet&#x017F;cher, der mitten durch den &#x017F;tolzen For&#x017F;t in beträchtlicher Breite<lb/>
&#x017F;ich Bahn gebrochen hat. Wie eine ungeheuere Schlange windet<lb/>
das graue, grau&#x017F;enhafte Chaos &#x017F;ich hinab, &#x2014; wir können das<lb/>
Ende de&#x017F;&#x017F;elben nicht erblicken. Nichts als &#x017F;charfkantige Schiefer¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[189/0217] Die Rüfe. ſtellende Asplenium trichomanes, die beide ihre Samen auf den Rückſeiten der Blätter tragen. Der Weinbau iſt auf dieſen Felſenſchutt-Terraſſen, namentlich drunten bei Jenins und Malans, vortrefflich im Schwunge. Hier wird ein feuriger, dunkelrother, ſehr ſchwerer Wein gebaut, der nach agrikultur-chemiſchen Unterſuchungen ſeinen bedeutenden Gerbſtoff¬ gehalt hauptſächlich von dem Feldſpath bekommen ſoll, der dem Boden in Menge beigemiſcht iſt. Ueberall glimmerts und glitzerts, blendendweiß, lecker und appetitlich, wie Marzipan von dieſen Feld¬ ſpathſtückchen. Unſer Weg geht noch weiter hinauf, in den Wald. Ein Anflug junger Tannen, dazwiſchen dornumſtarrte Steinhalden, nimmt uns auf. Der Weg iſt ſand-wüſt, aber eine Wildniß wuchernder Waldkräuter umgiebt uns. Hinein! in den ſonndurchflimmerten Tann! Das iſt eine Luſt im grünen Hag, Es blüht, was immer nur blühen mag. Blauglöcklein ſchwingen die vollen Becher Und gravitätiſch entfaltet den Fächer Die Duenna der Blumen, das Farrenkraut. Erdbeeren breiten die ſüßen Rubine Zur Schau aufs Moos, und mit Kennermiene Die ernſte Aglei den Kram beſchaut Und nickt verneinend, will nicht ganz glauben Dem funkelnden Schein, doch die Blüthentrauben Der Berberis lachen ſie heimlich aus. Corrodi. Durch ſolches Tändelſpiel unterhalten, ſind wir unvermerkt im dichten, immer dunkler werdenden Walde hinauf geſtiegen. Da lichtet ſich's; noch wenig Schritte und wir ſtehen an der Uferwand der wilden Rüfe. Das iſt kein Waldbachbett, nicht das Rinnſal eines verſiegten Bergſtromes; das iſt ein leibhaftiger Steintrümmer- Gletſcher, der mitten durch den ſtolzen Forſt in beträchtlicher Breite ſich Bahn gebrochen hat. Wie eine ungeheuere Schlange windet das graue, grauſenhafte Chaos ſich hinab, — wir können das Ende deſſelben nicht erblicken. Nichts als ſcharfkantige Schiefer¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/217
Zitationshilfe: Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 189. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/217>, abgerufen am 05.05.2024.