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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.

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Die Rüfe.
wachsene Almend-Weiden, im heißen Sommer dürr, kränkelnd und
verbrannt, die emporsteigende Ebene. Sie haben etwas Sammet¬
artiges, Anheimelndes im Frühjahr und nach lebenverjüngenden
Regenperioden; denn gerade die niedrigen Seggen-Arten, diese
freundlichen, bescheidenen Gräser-Zwerge, welche den pflanzlichen
Grundton dieser Wildwiesen angeben, besonders Carex alba mit den
feinen schlanken Stengelchen und den darum gruppirten hellgrünen
Frucht-Knötchen, dann Carex pulicaris, deren niedliche, kaum finger¬
lange Samen-Lanzen mit den schwärzlich verkohlten Körnerhülsen so
neugierig in die Welt hinausschauen, und die dichtrasigen Koelerien
mit den pfriem-ähnlichen, dünnen, kurzen Grashälmchen, geben dem
wellenförmigen Boden ein so einladend-weiches Ansehen, wie die
kurzen gedrängten Kräuter der höheren Regionen den Alpweiden.
Wirklich erinnert manch anderes Pflänzchen an die schwellenden
Polster unserer natürlichen Alpen-Divans, wo es sich so diogeneisch-
genügsam und seelenheiter ruhen und ins erblauende, tief drunten
liegende Menschenland hinabsinnen läßt. Dennoch ist so eine
Bündner Almend-Wiese vor und zwischen den Rüfen etwas ganz
Anderes als eine gewöhnliche Almend- oder Alp-Weide. Kurzes,
strammes Tannengesträuch, dicht gedrungen ineinander genadelt,
mitunter etwas legföhrenartig, schon recht alpin-gnomenhaft, und
zerstreute Fichten mit darunter gebetteten Steinblöcken, treten spora¬
disch darin auf. Nach und nach geht die Weide in aschgraue, von
Geschieben und Schwemmland bedeckte, sandige Wüsten über. Hier
ist mit Einemmal der botanische Charakter ein total veränderter.
Mannshohes Buschwerk fristet, bei abwechselndem Ueberfluß an
Feuchtigkeit und intermittirender brennender Trockenheit, seine Exi¬
stenz; es sind lauter zählebige Sträucher: der gemeine Sanddorn
(Hippophae rhamnoides), der Essigdorn oder Weinschöttling (Ber¬
beris vulgaris) mit den violett bethauten, rothleuchtenden Beeren-
Trauben und den scharf genadelten lederartigen Blättern, -- die dem
Sevenbaum ähnelnde, rosigblühende, deutsche Tamariske (Tamarix

Die Rüfe.
wachſene Almend-Weiden, im heißen Sommer dürr, kränkelnd und
verbrannt, die emporſteigende Ebene. Sie haben etwas Sammet¬
artiges, Anheimelndes im Frühjahr und nach lebenverjüngenden
Regenperioden; denn gerade die niedrigen Seggen-Arten, dieſe
freundlichen, beſcheidenen Gräſer-Zwerge, welche den pflanzlichen
Grundton dieſer Wildwieſen angeben, beſonders Carex alba mit den
feinen ſchlanken Stengelchen und den darum gruppirten hellgrünen
Frucht-Knötchen, dann Carex pulicaris, deren niedliche, kaum finger¬
lange Samen-Lanzen mit den ſchwärzlich verkohlten Körnerhülſen ſo
neugierig in die Welt hinausſchauen, und die dichtraſigen Koelerien
mit den pfriem-ähnlichen, dünnen, kurzen Grashälmchen, geben dem
wellenförmigen Boden ein ſo einladend-weiches Anſehen, wie die
kurzen gedrängten Kräuter der höheren Regionen den Alpweiden.
Wirklich erinnert manch anderes Pflänzchen an die ſchwellenden
Polſter unſerer natürlichen Alpen-Divans, wo es ſich ſo diogeneiſch-
genügſam und ſeelenheiter ruhen und ins erblauende, tief drunten
liegende Menſchenland hinabſinnen läßt. Dennoch iſt ſo eine
Bündner Almend-Wieſe vor und zwiſchen den Rüfen etwas ganz
Anderes als eine gewöhnliche Almend- oder Alp-Weide. Kurzes,
ſtrammes Tannengeſträuch, dicht gedrungen ineinander genadelt,
mitunter etwas legföhrenartig, ſchon recht alpin-gnomenhaft, und
zerſtreute Fichten mit darunter gebetteten Steinblöcken, treten ſpora¬
diſch darin auf. Nach und nach geht die Weide in aſchgraue, von
Geſchieben und Schwemmland bedeckte, ſandige Wüſten über. Hier
iſt mit Einemmal der botaniſche Charakter ein total veränderter.
Mannshohes Buſchwerk friſtet, bei abwechſelndem Ueberfluß an
Feuchtigkeit und intermittirender brennender Trockenheit, ſeine Exi¬
ſtenz; es ſind lauter zählebige Sträucher: der gemeine Sanddorn
(Hippophaë rhamnoides), der Eſſigdorn oder Weinſchöttling (Ber¬
beris vulgaris) mit den violett bethauten, rothleuchtenden Beeren-
Trauben und den ſcharf genadelten lederartigen Blättern, — die dem
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[185/0213] Die Rüfe. wachſene Almend-Weiden, im heißen Sommer dürr, kränkelnd und verbrannt, die emporſteigende Ebene. Sie haben etwas Sammet¬ artiges, Anheimelndes im Frühjahr und nach lebenverjüngenden Regenperioden; denn gerade die niedrigen Seggen-Arten, dieſe freundlichen, beſcheidenen Gräſer-Zwerge, welche den pflanzlichen Grundton dieſer Wildwieſen angeben, beſonders Carex alba mit den feinen ſchlanken Stengelchen und den darum gruppirten hellgrünen Frucht-Knötchen, dann Carex pulicaris, deren niedliche, kaum finger¬ lange Samen-Lanzen mit den ſchwärzlich verkohlten Körnerhülſen ſo neugierig in die Welt hinausſchauen, und die dichtraſigen Koelerien mit den pfriem-ähnlichen, dünnen, kurzen Grashälmchen, geben dem wellenförmigen Boden ein ſo einladend-weiches Anſehen, wie die kurzen gedrängten Kräuter der höheren Regionen den Alpweiden. Wirklich erinnert manch anderes Pflänzchen an die ſchwellenden Polſter unſerer natürlichen Alpen-Divans, wo es ſich ſo diogeneiſch- genügſam und ſeelenheiter ruhen und ins erblauende, tief drunten liegende Menſchenland hinabſinnen läßt. Dennoch iſt ſo eine Bündner Almend-Wieſe vor und zwiſchen den Rüfen etwas ganz Anderes als eine gewöhnliche Almend- oder Alp-Weide. Kurzes, ſtrammes Tannengeſträuch, dicht gedrungen ineinander genadelt, mitunter etwas legföhrenartig, ſchon recht alpin-gnomenhaft, und zerſtreute Fichten mit darunter gebetteten Steinblöcken, treten ſpora¬ diſch darin auf. Nach und nach geht die Weide in aſchgraue, von Geſchieben und Schwemmland bedeckte, ſandige Wüſten über. Hier iſt mit Einemmal der botaniſche Charakter ein total veränderter. Mannshohes Buſchwerk friſtet, bei abwechſelndem Ueberfluß an Feuchtigkeit und intermittirender brennender Trockenheit, ſeine Exi¬ ſtenz; es ſind lauter zählebige Sträucher: der gemeine Sanddorn (Hippophaë rhamnoides), der Eſſigdorn oder Weinſchöttling (Ber¬ beris vulgaris) mit den violett bethauten, rothleuchtenden Beeren- Trauben und den ſcharf genadelten lederartigen Blättern, — die dem Sevenbaum ähnelnde, roſigblühende, deutſche Tamariske (Tamarix

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Zitationshilfe: Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/213>, abgerufen am 05.05.2024.