schaftliche Untersuchungen konstruirten Apparaten ausgerüstet, unter¬ nahm nun eine Entdeckungsreise ins Reich dieser kleinsten Eis¬ thierchen und förderte auffallende Resultate zu Tage. Die schwei¬ zerischen Naturforscher Desor und Karl Vogt setzten die Forschungen, mit vergleichenden Untersuchungen über verwandte Infusorien am Neuenburger See, fort und so ist heute durch die Erkenntnisse der exakten Wissenschaften jener Zauber der Alpengeister und verbann¬ ten Säumer-Seelen endgültig für alle Zeiten gelöst.
Die Hauptmasse des rothen Schnees wird von einem Infuso¬ rien-Geschlechte (Disceraea nivalis) gebildet, welches sich durch einen rundlichen oder eiförmigen Kieselpanzer auszeichnet, der nur wenig vom Thiere absteht, aber hell und durchsichtig ist; mitunter schließt er jedoch auch so enge an, daß seine Gegenwart durchaus nicht zu erkennen ist, besonders wenn das Thier sich bewegt. An dem spitzeren Ende des minutiösen Thierchens unterscheidet man bei hinreichender Vergrößerung zwei orangegelbe Lippen, von denen zwei lange fadenähnliche Rüssel ausgehen, die wohl die doppelte Körperlänge haben mögen. Während das Thierchen sich bewegt, sind sie in fortwährender Vibration und scheinen also seine rudern¬ den Arme zu sein, da es keine Wimperorgane um den Mund hat, wie die meisten anderen Infusorien. Hält es in seiner Ruder- Promenade inne, so zieht es die beiden Rüssel mit einer ruckenden Bewegung ein, und bei völlig ruhenden Thieren sind sie gar nicht wahrzunehmen. Die erwachsenen Thiere sind meist gänzlich un¬ durchsichtig.
Eben so merkwürdig wie die körperliche Organisation und Lebensweise dieses, nur in einer Kältetemperatur von mindestens Null-Grad existenzfähigen, unendlich kleinen Geschöpfchens ist, eben so wunderbar ist die Art seiner Vermehrung. Dieselbe erfolgt nach noch unbekannten Gesetzen und Bedingungen bald durch Thei¬ lung, so daß das Thier sich in 2, 3, 4, 6 oder 8 Stückchen spal¬ tet, von denen jedes nun ein eigenes selbstständiges Individuum
Rother Schnee.
ſchaftliche Unterſuchungen konſtruirten Apparaten ausgerüſtet, unter¬ nahm nun eine Entdeckungsreiſe ins Reich dieſer kleinſten Eis¬ thierchen und förderte auffallende Reſultate zu Tage. Die ſchwei¬ zeriſchen Naturforſcher Deſor und Karl Vogt ſetzten die Forſchungen, mit vergleichenden Unterſuchungen über verwandte Infuſorien am Neuenburger See, fort und ſo iſt heute durch die Erkenntniſſe der exakten Wiſſenſchaften jener Zauber der Alpengeiſter und verbann¬ ten Säumer-Seelen endgültig für alle Zeiten gelöſt.
Die Hauptmaſſe des rothen Schnees wird von einem Infuſo¬ rien-Geſchlechte (Disceraea nivalis) gebildet, welches ſich durch einen rundlichen oder eiförmigen Kieſelpanzer auszeichnet, der nur wenig vom Thiere abſteht, aber hell und durchſichtig iſt; mitunter ſchließt er jedoch auch ſo enge an, daß ſeine Gegenwart durchaus nicht zu erkennen iſt, beſonders wenn das Thier ſich bewegt. An dem ſpitzeren Ende des minutiöſen Thierchens unterſcheidet man bei hinreichender Vergrößerung zwei orangegelbe Lippen, von denen zwei lange fadenähnliche Rüſſel ausgehen, die wohl die doppelte Körperlänge haben mögen. Während das Thierchen ſich bewegt, ſind ſie in fortwährender Vibration und ſcheinen alſo ſeine rudern¬ den Arme zu ſein, da es keine Wimperorgane um den Mund hat, wie die meiſten anderen Infuſorien. Hält es in ſeiner Ruder- Promenade inne, ſo zieht es die beiden Rüſſel mit einer ruckenden Bewegung ein, und bei völlig ruhenden Thieren ſind ſie gar nicht wahrzunehmen. Die erwachſenen Thiere ſind meiſt gänzlich un¬ durchſichtig.
Eben ſo merkwürdig wie die körperliche Organiſation und Lebensweiſe dieſes, nur in einer Kältetemperatur von mindeſtens Null-Grad exiſtenzfähigen, unendlich kleinen Geſchöpfchens iſt, eben ſo wunderbar iſt die Art ſeiner Vermehrung. Dieſelbe erfolgt nach noch unbekannten Geſetzen und Bedingungen bald durch Thei¬ lung, ſo daß das Thier ſich in 2, 3, 4, 6 oder 8 Stückchen ſpal¬ tet, von denen jedes nun ein eigenes ſelbſtſtändiges Individuum
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Rother Schnee.
ſchaftliche Unterſuchungen konſtruirten Apparaten ausgerüſtet, unter¬
nahm nun eine Entdeckungsreiſe ins Reich dieſer kleinſten Eis¬
thierchen und förderte auffallende Reſultate zu Tage. Die ſchwei¬
zeriſchen Naturforſcher Deſor und Karl Vogt ſetzten die Forſchungen,
mit vergleichenden Unterſuchungen über verwandte Infuſorien am
Neuenburger See, fort und ſo iſt heute durch die Erkenntniſſe der
exakten Wiſſenſchaften jener Zauber der Alpengeiſter und verbann¬
ten Säumer-Seelen endgültig für alle Zeiten gelöſt.
Die Hauptmaſſe des rothen Schnees wird von einem Infuſo¬
rien-Geſchlechte (Disceraea nivalis) gebildet, welches ſich durch
einen rundlichen oder eiförmigen Kieſelpanzer auszeichnet, der nur
wenig vom Thiere abſteht, aber hell und durchſichtig iſt; mitunter
ſchließt er jedoch auch ſo enge an, daß ſeine Gegenwart durchaus
nicht zu erkennen iſt, beſonders wenn das Thier ſich bewegt. An
dem ſpitzeren Ende des minutiöſen Thierchens unterſcheidet man
bei hinreichender Vergrößerung zwei orangegelbe Lippen, von denen
zwei lange fadenähnliche Rüſſel ausgehen, die wohl die doppelte
Körperlänge haben mögen. Während das Thierchen ſich bewegt,
ſind ſie in fortwährender Vibration und ſcheinen alſo ſeine rudern¬
den Arme zu ſein, da es keine Wimperorgane um den Mund hat,
wie die meiſten anderen Infuſorien. Hält es in ſeiner Ruder-
Promenade inne, ſo zieht es die beiden Rüſſel mit einer ruckenden
Bewegung ein, und bei völlig ruhenden Thieren ſind ſie gar nicht
wahrzunehmen. Die erwachſenen Thiere ſind meiſt gänzlich un¬
durchſichtig.
Eben ſo merkwürdig wie die körperliche Organiſation und
Lebensweiſe dieſes, nur in einer Kältetemperatur von mindeſtens
Null-Grad exiſtenzfähigen, unendlich kleinen Geſchöpfchens iſt, eben
ſo wunderbar iſt die Art ſeiner Vermehrung. Dieſelbe erfolgt
nach noch unbekannten Geſetzen und Bedingungen bald durch Thei¬
lung, ſo daß das Thier ſich in 2, 3, 4, 6 oder 8 Stückchen ſpal¬
tet, von denen jedes nun ein eigenes ſelbſtſtändiges Individuum
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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/208>, abgerufen am 16.07.2024.
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