Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.

Bild:
<< vorherige Seite

Der Wasserfall.
lich aus seinem luftigen Gleis nach einer Seite verweht, daß un¬
ten der Runs ohne Wasserschwall bleibt, -- der kleine Vorrath im
Kessel versiegend nach der Lütschine (in welche der Bach sich er¬
gießt) entschwindet, und die erschrockenen zahlreichen Fischchen in
ihren Spielen übereilt, nur kümmerlich in einzelnen Bachgrübchen
das Naß ihrer Existenzbedingung übrig finden. Dann eilen in
solchen Augenblicken jubelnde Kinderschaaren nach dem Strombette
und fangen in froher Emsigkeit die wehrlosen Forellen aus den
Vertiefungen, wo sie plätschern, in herbeigetragene Kübel und
Näpfe. Aber mitten in der lustigen Freibeuterei läßt der Wind¬
stoß droben nach, der Bach gewinnt unverweilt sein altes Bett,
und die geängsteten Fische schlüpfen pfeilschnell unter den Händen
der Kinder davon, während die muthwilligen Fischer, naß bis über
die Knöchel, in Hast an die beiderseitigen Ufer entspringen, eine
abermalige Repetition der Ebbe abwartend.

Dies sind die Metamorphosen des Staubbaches im Sommer
und bei guter Witterung. Ganz andere, nicht minder sehenswür¬
dige bietet der Winter, der Frühling und die Zeit zerstörender
Anschwellung nach einem Platzregen dar.

Im Winter, wenn Schnee ins Thal fällt, hängen sich die
Flocken an dem unteren Felsensatz der Staubbachwand an, gefrieren
bei zunehmender Kälte und durch das darüberfließende Wasser ge¬
sättiget zu Eis, das nun launenhaft modellirt, allerlei größere
oder kleinere Zapfen bildet. Prächtiger Glanz, der im Sonnen¬
schein völlig blendet, erfüllt das staunende Auge, und der Berg
scheint transparent hellbläulich glasirt zu sein. Tritt dann gelin¬
deres Wetter ein, oder löst warmer Föhnwind die winterlichen
Eisbande, dann stürzen große Stücken dieser unförmlichen Zapfen
unter krachendem Getöse in die Tiefe. Unten aber im Kessel häuft
sich die Eistrümmer-Masse, thürmt sich zu einem Splitterhügel em¬
por und gestaltet durch die darüber spritzenden, während der kalten
Nächte schnell anfrierenden Wassertropfen einen Miniatur-Gletscher

Der Waſſerfall.
lich aus ſeinem luftigen Gleis nach einer Seite verweht, daß un¬
ten der Runs ohne Waſſerſchwall bleibt, — der kleine Vorrath im
Keſſel verſiegend nach der Lütſchine (in welche der Bach ſich er¬
gießt) entſchwindet, und die erſchrockenen zahlreichen Fiſchchen in
ihren Spielen übereilt, nur kümmerlich in einzelnen Bachgrübchen
das Naß ihrer Exiſtenzbedingung übrig finden. Dann eilen in
ſolchen Augenblicken jubelnde Kinderſchaaren nach dem Strombette
und fangen in froher Emſigkeit die wehrloſen Forellen aus den
Vertiefungen, wo ſie plätſchern, in herbeigetragene Kübel und
Näpfe. Aber mitten in der luſtigen Freibeuterei läßt der Wind¬
ſtoß droben nach, der Bach gewinnt unverweilt ſein altes Bett,
und die geängſteten Fiſche ſchlüpfen pfeilſchnell unter den Händen
der Kinder davon, während die muthwilligen Fiſcher, naß bis über
die Knöchel, in Haſt an die beiderſeitigen Ufer entſpringen, eine
abermalige Repetition der Ebbe abwartend.

Dies ſind die Metamorphoſen des Staubbaches im Sommer
und bei guter Witterung. Ganz andere, nicht minder ſehenswür¬
dige bietet der Winter, der Frühling und die Zeit zerſtörender
Anſchwellung nach einem Platzregen dar.

Im Winter, wenn Schnee ins Thal fällt, hängen ſich die
Flocken an dem unteren Felſenſatz der Staubbachwand an, gefrieren
bei zunehmender Kälte und durch das darüberfließende Waſſer ge¬
ſättiget zu Eis, das nun launenhaft modellirt, allerlei größere
oder kleinere Zapfen bildet. Prächtiger Glanz, der im Sonnen¬
ſchein völlig blendet, erfüllt das ſtaunende Auge, und der Berg
ſcheint transparent hellbläulich glaſirt zu ſein. Tritt dann gelin¬
deres Wetter ein, oder löſt warmer Föhnwind die winterlichen
Eisbande, dann ſtürzen große Stücken dieſer unförmlichen Zapfen
unter krachendem Getöſe in die Tiefe. Unten aber im Keſſel häuft
ſich die Eistrümmer-Maſſe, thürmt ſich zu einem Splitterhügel em¬
por und geſtaltet durch die darüber ſpritzenden, während der kalten
Nächte ſchnell anfrierenden Waſſertropfen einen Miniatur-Gletſcher

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0181" n="153"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Der Wa&#x017F;&#x017F;erfall</hi>.<lb/></fw>lich aus &#x017F;einem luftigen Gleis nach einer Seite verweht, daß un¬<lb/>
ten der Runs ohne Wa&#x017F;&#x017F;er&#x017F;chwall bleibt, &#x2014; der kleine Vorrath im<lb/>
Ke&#x017F;&#x017F;el ver&#x017F;iegend nach der Lüt&#x017F;chine (in welche der Bach &#x017F;ich er¬<lb/>
gießt) ent&#x017F;chwindet, und die er&#x017F;chrockenen zahlreichen Fi&#x017F;chchen in<lb/>
ihren Spielen übereilt, nur kümmerlich in einzelnen Bachgrübchen<lb/>
das Naß ihrer Exi&#x017F;tenzbedingung übrig finden. Dann eilen in<lb/>
&#x017F;olchen Augenblicken jubelnde Kinder&#x017F;chaaren nach dem Strombette<lb/>
und fangen in froher Em&#x017F;igkeit die wehrlo&#x017F;en Forellen aus den<lb/>
Vertiefungen, wo &#x017F;ie plät&#x017F;chern, in herbeigetragene Kübel und<lb/>
Näpfe. Aber mitten in der lu&#x017F;tigen Freibeuterei läßt der Wind¬<lb/>
&#x017F;toß droben nach, der Bach gewinnt unverweilt &#x017F;ein altes Bett,<lb/>
und die geäng&#x017F;teten Fi&#x017F;che &#x017F;chlüpfen pfeil&#x017F;chnell unter den Händen<lb/>
der Kinder davon, während die muthwilligen Fi&#x017F;cher, naß bis über<lb/>
die Knöchel, in Ha&#x017F;t an die beider&#x017F;eitigen Ufer ent&#x017F;pringen, eine<lb/>
abermalige Repetition der Ebbe abwartend.</p><lb/>
        <p>Dies &#x017F;ind die Metamorpho&#x017F;en des Staubbaches im Sommer<lb/>
und bei guter Witterung. Ganz andere, nicht minder &#x017F;ehenswür¬<lb/>
dige bietet der Winter, der Frühling und die Zeit zer&#x017F;törender<lb/>
An&#x017F;chwellung nach einem Platzregen dar.</p><lb/>
        <p>Im Winter, wenn Schnee ins Thal fällt, hängen &#x017F;ich die<lb/>
Flocken an dem unteren Fel&#x017F;en&#x017F;atz der Staubbachwand an, gefrieren<lb/>
bei zunehmender Kälte und durch das darüberfließende Wa&#x017F;&#x017F;er ge¬<lb/>
&#x017F;ättiget zu Eis, das nun launenhaft modellirt, allerlei größere<lb/>
oder kleinere Zapfen bildet. Prächtiger Glanz, der im Sonnen¬<lb/>
&#x017F;chein völlig blendet, erfüllt das &#x017F;taunende Auge, und der Berg<lb/>
&#x017F;cheint transparent hellbläulich gla&#x017F;irt zu &#x017F;ein. Tritt dann gelin¬<lb/>
deres Wetter ein, oder lö&#x017F;t warmer Föhnwind die winterlichen<lb/>
Eisbande, dann &#x017F;türzen große Stücken die&#x017F;er unförmlichen Zapfen<lb/>
unter krachendem Getö&#x017F;e in die Tiefe. Unten aber im Ke&#x017F;&#x017F;el häuft<lb/>
&#x017F;ich die Eistrümmer-Ma&#x017F;&#x017F;e, thürmt &#x017F;ich zu einem Splitterhügel em¬<lb/>
por und ge&#x017F;taltet durch die darüber &#x017F;pritzenden, während der kalten<lb/>
Nächte &#x017F;chnell anfrierenden Wa&#x017F;&#x017F;ertropfen einen Miniatur-Glet&#x017F;cher<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[153/0181] Der Waſſerfall. lich aus ſeinem luftigen Gleis nach einer Seite verweht, daß un¬ ten der Runs ohne Waſſerſchwall bleibt, — der kleine Vorrath im Keſſel verſiegend nach der Lütſchine (in welche der Bach ſich er¬ gießt) entſchwindet, und die erſchrockenen zahlreichen Fiſchchen in ihren Spielen übereilt, nur kümmerlich in einzelnen Bachgrübchen das Naß ihrer Exiſtenzbedingung übrig finden. Dann eilen in ſolchen Augenblicken jubelnde Kinderſchaaren nach dem Strombette und fangen in froher Emſigkeit die wehrloſen Forellen aus den Vertiefungen, wo ſie plätſchern, in herbeigetragene Kübel und Näpfe. Aber mitten in der luſtigen Freibeuterei läßt der Wind¬ ſtoß droben nach, der Bach gewinnt unverweilt ſein altes Bett, und die geängſteten Fiſche ſchlüpfen pfeilſchnell unter den Händen der Kinder davon, während die muthwilligen Fiſcher, naß bis über die Knöchel, in Haſt an die beiderſeitigen Ufer entſpringen, eine abermalige Repetition der Ebbe abwartend. Dies ſind die Metamorphoſen des Staubbaches im Sommer und bei guter Witterung. Ganz andere, nicht minder ſehenswür¬ dige bietet der Winter, der Frühling und die Zeit zerſtörender Anſchwellung nach einem Platzregen dar. Im Winter, wenn Schnee ins Thal fällt, hängen ſich die Flocken an dem unteren Felſenſatz der Staubbachwand an, gefrieren bei zunehmender Kälte und durch das darüberfließende Waſſer ge¬ ſättiget zu Eis, das nun launenhaft modellirt, allerlei größere oder kleinere Zapfen bildet. Prächtiger Glanz, der im Sonnen¬ ſchein völlig blendet, erfüllt das ſtaunende Auge, und der Berg ſcheint transparent hellbläulich glaſirt zu ſein. Tritt dann gelin¬ deres Wetter ein, oder löſt warmer Föhnwind die winterlichen Eisbande, dann ſtürzen große Stücken dieſer unförmlichen Zapfen unter krachendem Getöſe in die Tiefe. Unten aber im Keſſel häuft ſich die Eistrümmer-Maſſe, thürmt ſich zu einem Splitterhügel em¬ por und geſtaltet durch die darüber ſpritzenden, während der kalten Nächte ſchnell anfrierenden Waſſertropfen einen Miniatur-Gletſcher

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/181
Zitationshilfe: Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/181>, abgerufen am 22.11.2024.