Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.Der Wasserfall. lich aus seinem luftigen Gleis nach einer Seite verweht, daß un¬ten der Runs ohne Wasserschwall bleibt, -- der kleine Vorrath im Kessel versiegend nach der Lütschine (in welche der Bach sich er¬ gießt) entschwindet, und die erschrockenen zahlreichen Fischchen in ihren Spielen übereilt, nur kümmerlich in einzelnen Bachgrübchen das Naß ihrer Existenzbedingung übrig finden. Dann eilen in solchen Augenblicken jubelnde Kinderschaaren nach dem Strombette und fangen in froher Emsigkeit die wehrlosen Forellen aus den Vertiefungen, wo sie plätschern, in herbeigetragene Kübel und Näpfe. Aber mitten in der lustigen Freibeuterei läßt der Wind¬ stoß droben nach, der Bach gewinnt unverweilt sein altes Bett, und die geängsteten Fische schlüpfen pfeilschnell unter den Händen der Kinder davon, während die muthwilligen Fischer, naß bis über die Knöchel, in Hast an die beiderseitigen Ufer entspringen, eine abermalige Repetition der Ebbe abwartend. Dies sind die Metamorphosen des Staubbaches im Sommer Im Winter, wenn Schnee ins Thal fällt, hängen sich die Der Waſſerfall. lich aus ſeinem luftigen Gleis nach einer Seite verweht, daß un¬ten der Runs ohne Waſſerſchwall bleibt, — der kleine Vorrath im Keſſel verſiegend nach der Lütſchine (in welche der Bach ſich er¬ gießt) entſchwindet, und die erſchrockenen zahlreichen Fiſchchen in ihren Spielen übereilt, nur kümmerlich in einzelnen Bachgrübchen das Naß ihrer Exiſtenzbedingung übrig finden. Dann eilen in ſolchen Augenblicken jubelnde Kinderſchaaren nach dem Strombette und fangen in froher Emſigkeit die wehrloſen Forellen aus den Vertiefungen, wo ſie plätſchern, in herbeigetragene Kübel und Näpfe. Aber mitten in der luſtigen Freibeuterei läßt der Wind¬ ſtoß droben nach, der Bach gewinnt unverweilt ſein altes Bett, und die geängſteten Fiſche ſchlüpfen pfeilſchnell unter den Händen der Kinder davon, während die muthwilligen Fiſcher, naß bis über die Knöchel, in Haſt an die beiderſeitigen Ufer entſpringen, eine abermalige Repetition der Ebbe abwartend. Dies ſind die Metamorphoſen des Staubbaches im Sommer Im Winter, wenn Schnee ins Thal fällt, hängen ſich die <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0181" n="153"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Der Waſſerfall</hi>.<lb/></fw>lich aus ſeinem luftigen Gleis nach einer Seite verweht, daß un¬<lb/> ten der Runs ohne Waſſerſchwall bleibt, — der kleine Vorrath im<lb/> Keſſel verſiegend nach der Lütſchine (in welche der Bach ſich er¬<lb/> gießt) entſchwindet, und die erſchrockenen zahlreichen Fiſchchen in<lb/> ihren Spielen übereilt, nur kümmerlich in einzelnen Bachgrübchen<lb/> das Naß ihrer Exiſtenzbedingung übrig finden. Dann eilen in<lb/> ſolchen Augenblicken jubelnde Kinderſchaaren nach dem Strombette<lb/> und fangen in froher Emſigkeit die wehrloſen Forellen aus den<lb/> Vertiefungen, wo ſie plätſchern, in herbeigetragene Kübel und<lb/> Näpfe. Aber mitten in der luſtigen Freibeuterei läßt der Wind¬<lb/> ſtoß droben nach, der Bach gewinnt unverweilt ſein altes Bett,<lb/> und die geängſteten Fiſche ſchlüpfen pfeilſchnell unter den Händen<lb/> der Kinder davon, während die muthwilligen Fiſcher, naß bis über<lb/> die Knöchel, in Haſt an die beiderſeitigen Ufer entſpringen, eine<lb/> abermalige Repetition der Ebbe abwartend.</p><lb/> <p>Dies ſind die Metamorphoſen des Staubbaches im Sommer<lb/> und bei guter Witterung. Ganz andere, nicht minder ſehenswür¬<lb/> dige bietet der Winter, der Frühling und die Zeit zerſtörender<lb/> Anſchwellung nach einem Platzregen dar.</p><lb/> <p>Im Winter, wenn Schnee ins Thal fällt, hängen ſich die<lb/> Flocken an dem unteren Felſenſatz der Staubbachwand an, gefrieren<lb/> bei zunehmender Kälte und durch das darüberfließende Waſſer ge¬<lb/> ſättiget zu Eis, das nun launenhaft modellirt, allerlei größere<lb/> oder kleinere Zapfen bildet. Prächtiger Glanz, der im Sonnen¬<lb/> ſchein völlig blendet, erfüllt das ſtaunende Auge, und der Berg<lb/> ſcheint transparent hellbläulich glaſirt zu ſein. Tritt dann gelin¬<lb/> deres Wetter ein, oder löſt warmer Föhnwind die winterlichen<lb/> Eisbande, dann ſtürzen große Stücken dieſer unförmlichen Zapfen<lb/> unter krachendem Getöſe in die Tiefe. Unten aber im Keſſel häuft<lb/> ſich die Eistrümmer-Maſſe, thürmt ſich zu einem Splitterhügel em¬<lb/> por und geſtaltet durch die darüber ſpritzenden, während der kalten<lb/> Nächte ſchnell anfrierenden Waſſertropfen einen Miniatur-Gletſcher<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [153/0181]
Der Waſſerfall.
lich aus ſeinem luftigen Gleis nach einer Seite verweht, daß un¬
ten der Runs ohne Waſſerſchwall bleibt, — der kleine Vorrath im
Keſſel verſiegend nach der Lütſchine (in welche der Bach ſich er¬
gießt) entſchwindet, und die erſchrockenen zahlreichen Fiſchchen in
ihren Spielen übereilt, nur kümmerlich in einzelnen Bachgrübchen
das Naß ihrer Exiſtenzbedingung übrig finden. Dann eilen in
ſolchen Augenblicken jubelnde Kinderſchaaren nach dem Strombette
und fangen in froher Emſigkeit die wehrloſen Forellen aus den
Vertiefungen, wo ſie plätſchern, in herbeigetragene Kübel und
Näpfe. Aber mitten in der luſtigen Freibeuterei läßt der Wind¬
ſtoß droben nach, der Bach gewinnt unverweilt ſein altes Bett,
und die geängſteten Fiſche ſchlüpfen pfeilſchnell unter den Händen
der Kinder davon, während die muthwilligen Fiſcher, naß bis über
die Knöchel, in Haſt an die beiderſeitigen Ufer entſpringen, eine
abermalige Repetition der Ebbe abwartend.
Dies ſind die Metamorphoſen des Staubbaches im Sommer
und bei guter Witterung. Ganz andere, nicht minder ſehenswür¬
dige bietet der Winter, der Frühling und die Zeit zerſtörender
Anſchwellung nach einem Platzregen dar.
Im Winter, wenn Schnee ins Thal fällt, hängen ſich die
Flocken an dem unteren Felſenſatz der Staubbachwand an, gefrieren
bei zunehmender Kälte und durch das darüberfließende Waſſer ge¬
ſättiget zu Eis, das nun launenhaft modellirt, allerlei größere
oder kleinere Zapfen bildet. Prächtiger Glanz, der im Sonnen¬
ſchein völlig blendet, erfüllt das ſtaunende Auge, und der Berg
ſcheint transparent hellbläulich glaſirt zu ſein. Tritt dann gelin¬
deres Wetter ein, oder löſt warmer Föhnwind die winterlichen
Eisbande, dann ſtürzen große Stücken dieſer unförmlichen Zapfen
unter krachendem Getöſe in die Tiefe. Unten aber im Keſſel häuft
ſich die Eistrümmer-Maſſe, thürmt ſich zu einem Splitterhügel em¬
por und geſtaltet durch die darüber ſpritzenden, während der kalten
Nächte ſchnell anfrierenden Waſſertropfen einen Miniatur-Gletſcher
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