Unter sehr erschwerenden Umständen, aber bei völliger Wind¬ stille und glockenreiner Atmosphäre hatten Herr Coaz, der ihn be¬ gleitende Ingenieur und der Führer den 9158 par. F. über dem Meere erhabenen Gipfel erstiegen und die beabsichtigten Beobach¬ tungen für trigonometrische Messungen bald beendet. Da zog ein vom Fuße des Piz Curver gegen das Oberhalbstein abfallendes wildes Gebirgsthälchen besonders die Aufmerksamkeit der Berggäste auf sich. Da drunten rauschte und donnerte es fast ununterbrochen; eine Lauine weckte die andere und stürzte von den schroffen, felsigen Seitenwänden in die Tiefe des Thales, wo oft mehre vereint in einem breiten, gewaltigen Silberstrome sich langsam zur Ruhe wälzten. "So Schlag auf Schlag, so voll Leben, so glänzend," sagt Herr Coaz, "war mir noch auf keiner meiner Gebirgsfahrten dieses großartige Schauspiel zu sehen vergönnt. Noch folgte mein Auge einer der letzten Lauinen, die allmählig in immer größeren Zwischenzeiten stürzten, als ich über derselben einen schwachen Ne¬ bel sich bilden sah. Auch den Felsen, an denen sich die feuchtge¬ wordene Atmosphäre abkühlte, entquollen Nebelhaufen, zogen schlei¬ chend einander entgegen und zerflossen in kurzer Zeit in einen wal¬ lenden grauen Nebelsee, der die Tiefe des Thales verhüllte. Aus unsichtbaren Quellen genährt, wogte dieser See immer höher her¬ auf, schwoll bis zu meinen Füßen heran und trat endlich als dunkler Nebelschleier empor. Und in diesem ineinandertreibenden Gewölk bildeten sich, anfänglich schwach und zerfließend, aber immer wieder und immer kräftiger erscheinend, die Farben des Regenbogens. Sie vereinten sich endlich zu einem brillanten, kreisrunden Bande; ein zweites umsäumte in etwas schwächerem Glanze ersteres und fand sich bald selbst concentrisch von einem noch lichteren dritten umfangen. Der innerste Ring erschien in einem Durchmesser von circa 3 Fuß bei einer Entfernung von ungefähr 30 bis 40 Fuß. Entzückt von dieser Erscheinung sprang ich auf, ward aber eben so plötzlich zur Säule; denn siehe! mitten im Regenbogen sprang mit
Nebelbilder.
Unter ſehr erſchwerenden Umſtänden, aber bei völliger Wind¬ ſtille und glockenreiner Atmoſphäre hatten Herr Coaz, der ihn be¬ gleitende Ingenieur und der Führer den 9158 par. F. über dem Meere erhabenen Gipfel erſtiegen und die beabſichtigten Beobach¬ tungen für trigonometriſche Meſſungen bald beendet. Da zog ein vom Fuße des Piz Curvêr gegen das Oberhalbſtein abfallendes wildes Gebirgsthälchen beſonders die Aufmerkſamkeit der Berggäſte auf ſich. Da drunten rauſchte und donnerte es faſt ununterbrochen; eine Lauine weckte die andere und ſtürzte von den ſchroffen, felſigen Seitenwänden in die Tiefe des Thales, wo oft mehre vereint in einem breiten, gewaltigen Silberſtrome ſich langſam zur Ruhe wälzten. „So Schlag auf Schlag, ſo voll Leben, ſo glänzend,“ ſagt Herr Coaz, „war mir noch auf keiner meiner Gebirgsfahrten dieſes großartige Schauſpiel zu ſehen vergönnt. Noch folgte mein Auge einer der letzten Lauinen, die allmählig in immer größeren Zwiſchenzeiten ſtürzten, als ich über derſelben einen ſchwachen Ne¬ bel ſich bilden ſah. Auch den Felſen, an denen ſich die feuchtge¬ wordene Atmoſphäre abkühlte, entquollen Nebelhaufen, zogen ſchlei¬ chend einander entgegen und zerfloſſen in kurzer Zeit in einen wal¬ lenden grauen Nebelſee, der die Tiefe des Thales verhüllte. Aus unſichtbaren Quellen genährt, wogte dieſer See immer höher her¬ auf, ſchwoll bis zu meinen Füßen heran und trat endlich als dunkler Nebelſchleier empor. Und in dieſem ineinandertreibenden Gewölk bildeten ſich, anfänglich ſchwach und zerfließend, aber immer wieder und immer kräftiger erſcheinend, die Farben des Regenbogens. Sie vereinten ſich endlich zu einem brillanten, kreisrunden Bande; ein zweites umſäumte in etwas ſchwächerem Glanze erſteres und fand ſich bald ſelbſt concentriſch von einem noch lichteren dritten umfangen. Der innerſte Ring erſchien in einem Durchmeſſer von circa 3 Fuß bei einer Entfernung von ungefähr 30 bis 40 Fuß. Entzückt von dieſer Erſcheinung ſprang ich auf, ward aber eben ſo plötzlich zur Säule; denn ſiehe! mitten im Regenbogen ſprang mit
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Nebelbilder.
Unter ſehr erſchwerenden Umſtänden, aber bei völliger Wind¬
ſtille und glockenreiner Atmoſphäre hatten Herr Coaz, der ihn be¬
gleitende Ingenieur und der Führer den 9158 par. F. über dem
Meere erhabenen Gipfel erſtiegen und die beabſichtigten Beobach¬
tungen für trigonometriſche Meſſungen bald beendet. Da zog ein
vom Fuße des Piz Curvêr gegen das Oberhalbſtein abfallendes
wildes Gebirgsthälchen beſonders die Aufmerkſamkeit der Berggäſte
auf ſich. Da drunten rauſchte und donnerte es faſt ununterbrochen;
eine Lauine weckte die andere und ſtürzte von den ſchroffen, felſigen
Seitenwänden in die Tiefe des Thales, wo oft mehre vereint in
einem breiten, gewaltigen Silberſtrome ſich langſam zur Ruhe
wälzten. „So Schlag auf Schlag, ſo voll Leben, ſo glänzend,“
ſagt Herr Coaz, „war mir noch auf keiner meiner Gebirgsfahrten
dieſes großartige Schauſpiel zu ſehen vergönnt. Noch folgte mein
Auge einer der letzten Lauinen, die allmählig in immer größeren
Zwiſchenzeiten ſtürzten, als ich über derſelben einen ſchwachen Ne¬
bel ſich bilden ſah. Auch den Felſen, an denen ſich die feuchtge¬
wordene Atmoſphäre abkühlte, entquollen Nebelhaufen, zogen ſchlei¬
chend einander entgegen und zerfloſſen in kurzer Zeit in einen wal¬
lenden grauen Nebelſee, der die Tiefe des Thales verhüllte. Aus
unſichtbaren Quellen genährt, wogte dieſer See immer höher her¬
auf, ſchwoll bis zu meinen Füßen heran und trat endlich als
dunkler Nebelſchleier empor. Und in dieſem ineinandertreibenden
Gewölk bildeten ſich, anfänglich ſchwach und zerfließend, aber immer
wieder und immer kräftiger erſcheinend, die Farben des Regenbogens.
Sie vereinten ſich endlich zu einem brillanten, kreisrunden Bande;
ein zweites umſäumte in etwas ſchwächerem Glanze erſteres und
fand ſich bald ſelbſt concentriſch von einem noch lichteren dritten
umfangen. Der innerſte Ring erſchien in einem Durchmeſſer von
circa 3 Fuß bei einer Entfernung von ungefähr 30 bis 40 Fuß.
Entzückt von dieſer Erſcheinung ſprang ich auf, ward aber eben ſo
plötzlich zur Säule; denn ſiehe! mitten im Regenbogen ſprang mit
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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/161>, abgerufen am 22.11.2024.
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