Ziele zu gelangen. Gesagt, gethan. Immer abschüssiger wurde unser Terrain, immer schwarzgrauer wurden Nebel und Nacht, im¬ mer unbehaglicher unsere Stimmung in der warmdunstenden, am Körper enganschließenden nassen Kleidung, -- und Regen floß, -- ach! fortwährend in überreichlichem Maße.
Wir mochten wohl wieder eine Viertelstunde oder auch nicht so lange gerutscht, geklettert, überhaupt weiter gekommen sein, als wir durch ein brausendes Geräusch wahrzunehmen glaubten, am Hongrinbache angelangt zu sein. Aber da gings steil wie über ein Kirchendach hinunter. Mehre Versuche zeigten, daß wir uns besser rechts halten mußten. Also wieder in dieser Richtung vor¬ wärts. Der Nebel hatte sich ein wenig gehoben, so daß wir, so weit es die Nacht zuließ, die Gegenstände in unserer näheren Um¬ gebung unterscheiden konnten. Noch ein paar Dutzend Schritte, und hell leuchtete der weiße Schaum des jagenden Gewässers durch die Dunkelheit zu uns herauf. Jetzt galt es, längs des Gebirgs¬ baches so lange fortzuklettern, bis wir zur Hongrinbrücke gelangen würden. Unter außergewöhnlichen Anstrengungen, durch wildes Gestrüpp und dorniges Gesträuch, das die Haut blutig ritzte und die Kleider zerfetzte, arbeiteten wir uns mühsam durch. Oft war das Terrain so jäh, daß wir bei jedem Schritt fürchten mußten, in den Strom zu stürzen oder den Hals zu brechen. Darum son¬ dirte mein Führer stets vorher mit dem Stock, wie weit wir trauen durften, denn sehen konnten wir kaum, wohin wir traten. Nach einer unter solchen Hindernissen zurückgelegten tüchtigen Strecke war uns plötzlich das Weiterkommen aufs Neue abgeschnitten; denn links herab, in einer Runse, schäumte ein Wildwasser, meiner Berechnung nach 6 bis 8 Schritt breit, welches sich in den Hongrin¬ bach ergoß. Wollten wir nicht wieder den eben unter unsäglichen Mühen überwundenen Abhang hinaufklimmen, um droben nicht um ein Haarbreit weiter oder besser daran zu sein als hier, so blieb uns nichts Anderes übrig, als das schießende Wasser zu
Eine Nebel-Novelle.
Ziele zu gelangen. Geſagt, gethan. Immer abſchüſſiger wurde unſer Terrain, immer ſchwarzgrauer wurden Nebel und Nacht, im¬ mer unbehaglicher unſere Stimmung in der warmdunſtenden, am Körper enganſchließenden naſſen Kleidung, — und Regen floß, — ach! fortwährend in überreichlichem Maße.
Wir mochten wohl wieder eine Viertelſtunde oder auch nicht ſo lange gerutſcht, geklettert, überhaupt weiter gekommen ſein, als wir durch ein brauſendes Geräuſch wahrzunehmen glaubten, am Hongrinbache angelangt zu ſein. Aber da gings ſteil wie über ein Kirchendach hinunter. Mehre Verſuche zeigten, daß wir uns beſſer rechts halten mußten. Alſo wieder in dieſer Richtung vor¬ wärts. Der Nebel hatte ſich ein wenig gehoben, ſo daß wir, ſo weit es die Nacht zuließ, die Gegenſtände in unſerer näheren Um¬ gebung unterſcheiden konnten. Noch ein paar Dutzend Schritte, und hell leuchtete der weiße Schaum des jagenden Gewäſſers durch die Dunkelheit zu uns herauf. Jetzt galt es, längs des Gebirgs¬ baches ſo lange fortzuklettern, bis wir zur Hongrinbrücke gelangen würden. Unter außergewöhnlichen Anſtrengungen, durch wildes Geſtrüpp und dorniges Geſträuch, das die Haut blutig ritzte und die Kleider zerfetzte, arbeiteten wir uns mühſam durch. Oft war das Terrain ſo jäh, daß wir bei jedem Schritt fürchten mußten, in den Strom zu ſtürzen oder den Hals zu brechen. Darum ſon¬ dirte mein Führer ſtets vorher mit dem Stock, wie weit wir trauen durften, denn ſehen konnten wir kaum, wohin wir traten. Nach einer unter ſolchen Hinderniſſen zurückgelegten tüchtigen Strecke war uns plötzlich das Weiterkommen aufs Neue abgeſchnitten; denn links herab, in einer Runſe, ſchäumte ein Wildwaſſer, meiner Berechnung nach 6 bis 8 Schritt breit, welches ſich in den Hongrin¬ bach ergoß. Wollten wir nicht wieder den eben unter unſäglichen Mühen überwundenen Abhang hinaufklimmen, um droben nicht um ein Haarbreit weiter oder beſſer daran zu ſein als hier, ſo blieb uns nichts Anderes übrig, als das ſchießende Waſſer zu
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0156"n="128"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#fr #g">Eine Nebel-Novelle</hi>.<lb/></fw>Ziele zu gelangen. Geſagt, gethan. Immer abſchüſſiger wurde<lb/>
unſer Terrain, immer ſchwarzgrauer wurden Nebel und Nacht, im¬<lb/>
mer unbehaglicher unſere Stimmung in der warmdunſtenden, am<lb/>
Körper enganſchließenden naſſen Kleidung, — und Regen floß, —<lb/>
ach! fortwährend in überreichlichem Maße.</p><lb/><p>Wir mochten wohl wieder eine Viertelſtunde oder auch nicht<lb/>ſo lange gerutſcht, geklettert, überhaupt weiter gekommen ſein, als<lb/>
wir durch ein brauſendes Geräuſch wahrzunehmen glaubten, am<lb/>
Hongrinbache angelangt zu ſein. Aber da gings ſteil wie über<lb/>
ein Kirchendach hinunter. Mehre Verſuche zeigten, daß wir uns<lb/>
beſſer rechts halten mußten. Alſo wieder in dieſer Richtung vor¬<lb/>
wärts. Der Nebel hatte ſich ein wenig gehoben, ſo daß wir, ſo<lb/>
weit es die Nacht zuließ, die Gegenſtände in unſerer näheren Um¬<lb/>
gebung unterſcheiden konnten. Noch ein paar Dutzend Schritte,<lb/>
und hell leuchtete der weiße Schaum des jagenden Gewäſſers durch<lb/>
die Dunkelheit zu uns herauf. Jetzt galt es, längs des Gebirgs¬<lb/>
baches ſo lange fortzuklettern, bis wir zur Hongrinbrücke gelangen<lb/>
würden. Unter außergewöhnlichen Anſtrengungen, durch wildes<lb/>
Geſtrüpp und dorniges Geſträuch, das die Haut blutig ritzte und<lb/>
die Kleider zerfetzte, arbeiteten wir uns mühſam durch. Oft war<lb/>
das Terrain ſo jäh, daß wir bei jedem Schritt fürchten mußten,<lb/>
in den Strom zu ſtürzen oder den Hals zu brechen. Darum ſon¬<lb/>
dirte mein Führer ſtets vorher mit dem Stock, wie weit wir trauen<lb/>
durften, denn ſehen konnten wir kaum, wohin wir traten. Nach<lb/>
einer unter ſolchen Hinderniſſen zurückgelegten tüchtigen Strecke<lb/>
war uns plötzlich das Weiterkommen aufs Neue abgeſchnitten;<lb/>
denn links herab, in einer Runſe, ſchäumte ein Wildwaſſer, meiner<lb/>
Berechnung nach 6 bis 8 Schritt breit, welches ſich in den Hongrin¬<lb/>
bach ergoß. Wollten wir nicht wieder den eben unter unſäglichen<lb/>
Mühen überwundenen Abhang hinaufklimmen, um droben nicht<lb/>
um ein Haarbreit weiter oder beſſer daran zu ſein als hier, ſo<lb/>
blieb uns nichts Anderes übrig, als das ſchießende Waſſer zu<lb/></p></div></body></text></TEI>
[128/0156]
Eine Nebel-Novelle.
Ziele zu gelangen. Geſagt, gethan. Immer abſchüſſiger wurde
unſer Terrain, immer ſchwarzgrauer wurden Nebel und Nacht, im¬
mer unbehaglicher unſere Stimmung in der warmdunſtenden, am
Körper enganſchließenden naſſen Kleidung, — und Regen floß, —
ach! fortwährend in überreichlichem Maße.
Wir mochten wohl wieder eine Viertelſtunde oder auch nicht
ſo lange gerutſcht, geklettert, überhaupt weiter gekommen ſein, als
wir durch ein brauſendes Geräuſch wahrzunehmen glaubten, am
Hongrinbache angelangt zu ſein. Aber da gings ſteil wie über
ein Kirchendach hinunter. Mehre Verſuche zeigten, daß wir uns
beſſer rechts halten mußten. Alſo wieder in dieſer Richtung vor¬
wärts. Der Nebel hatte ſich ein wenig gehoben, ſo daß wir, ſo
weit es die Nacht zuließ, die Gegenſtände in unſerer näheren Um¬
gebung unterſcheiden konnten. Noch ein paar Dutzend Schritte,
und hell leuchtete der weiße Schaum des jagenden Gewäſſers durch
die Dunkelheit zu uns herauf. Jetzt galt es, längs des Gebirgs¬
baches ſo lange fortzuklettern, bis wir zur Hongrinbrücke gelangen
würden. Unter außergewöhnlichen Anſtrengungen, durch wildes
Geſtrüpp und dorniges Geſträuch, das die Haut blutig ritzte und
die Kleider zerfetzte, arbeiteten wir uns mühſam durch. Oft war
das Terrain ſo jäh, daß wir bei jedem Schritt fürchten mußten,
in den Strom zu ſtürzen oder den Hals zu brechen. Darum ſon¬
dirte mein Führer ſtets vorher mit dem Stock, wie weit wir trauen
durften, denn ſehen konnten wir kaum, wohin wir traten. Nach
einer unter ſolchen Hinderniſſen zurückgelegten tüchtigen Strecke
war uns plötzlich das Weiterkommen aufs Neue abgeſchnitten;
denn links herab, in einer Runſe, ſchäumte ein Wildwaſſer, meiner
Berechnung nach 6 bis 8 Schritt breit, welches ſich in den Hongrin¬
bach ergoß. Wollten wir nicht wieder den eben unter unſäglichen
Mühen überwundenen Abhang hinaufklimmen, um droben nicht
um ein Haarbreit weiter oder beſſer daran zu ſein als hier, ſo
blieb uns nichts Anderes übrig, als das ſchießende Waſſer zu
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/156>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.