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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.

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Kastanienwald.
glattrindigen Buche und dem nervigen Habitus der rauh-rissigen
Sommereiche. Um und um ist Race und selbstständiger Halt in
der Erscheinung. So lange er jung ist, wird der Stamm von
einem saftigen, drall-anschließenden Rindenkleide umschlossen, dessen
olivengrünes Zellengewebe durchschimmert; durchaus ist dasselbe mit
weißen, linsengroßen Punkten (Lenticellen) übersäet, die ihm ein
jugendfrohes, heiteres Ansehen verleihen. Hat er dann die zwölf
ersten Jahre seiner Kindheit zurückgelegt und eine Höhe von etwa
20 Fuß erreicht, dann bekommt er einen buntgesprenkelten Ueber¬
wurf; grünlich-grau ist der Grundton des Rindengewandes, auf dem
sich helle Flecken silberfarben abheben, -- täuschend ähnlich wie
bei der deutschen Weißbuche. Bei beiden rührt diese Farbenver¬
änderung von Flechtenbildungen (Verrucaria epidermidis und
analepta) her, welche in reicher Verbreitung den Stamm über¬
ziehen. Nach abermals einem Jahresdutzend tritt der Baum ins
Mannesalter; die Rinde vertrocknet und mit dem Absterben der
unterliegenden Safthaut-Schichten ändert sich die Farbe nochmals.
Jetzt dehnt sich die Holzfülle in die Höhe und Breite, der Stamm¬
umfang nimmt bedeutend zu, die Borke reißt und Furchen durch¬
ziehen den nun dunkelgebräunten Stammpanzer.

Die Ast- und Zweig-Entfaltung beginnt bei der im Walde
stehenden Kastanie erst ziemlich hoch oben und greift in starken,
sperrigen Linien weit umher energisch aus, so daß die Nachbar¬
bäume in einander überragend, bei reicher Belaubung, ein dichtes
Blätterdach wölben. Dämmerig wie in unseren kompakten Nadel¬
forsten, gewährt der Kastanienwald in den drückend heißen Som¬
mermonaten eine heimlich kühle Zufluchtsstätte. Man bedarf solcher
in den kleinen südlichen Alpthälern. Die Sohle derselben ist oft
überraschend schmal; nur der holperige, allen gegebenen Kurven
sich sklavisch anschmiegende Weg und der krystallklare, wellen¬
hüpfende Bergbach haben Raum nebeneinander, dann gehts auf
beiden Seiten ziemlich steil in die Höhe. In diese schluchtartigen

Berlepsch, die Alpen. 8

Kaſtanienwald.
glattrindigen Buche und dem nervigen Habitus der rauh-riſſigen
Sommereiche. Um und um iſt Race und ſelbſtſtändiger Halt in
der Erſcheinung. So lange er jung iſt, wird der Stamm von
einem ſaftigen, drall-anſchließenden Rindenkleide umſchloſſen, deſſen
olivengrünes Zellengewebe durchſchimmert; durchaus iſt daſſelbe mit
weißen, linſengroßen Punkten (Lenticellen) überſäet, die ihm ein
jugendfrohes, heiteres Anſehen verleihen. Hat er dann die zwölf
erſten Jahre ſeiner Kindheit zurückgelegt und eine Höhe von etwa
20 Fuß erreicht, dann bekommt er einen buntgeſprenkelten Ueber¬
wurf; grünlich-grau iſt der Grundton des Rindengewandes, auf dem
ſich helle Flecken ſilberfarben abheben, — täuſchend ähnlich wie
bei der deutſchen Weißbuche. Bei beiden rührt dieſe Farbenver¬
änderung von Flechtenbildungen (Verrucaria epidermidis und
analepta) her, welche in reicher Verbreitung den Stamm über¬
ziehen. Nach abermals einem Jahresdutzend tritt der Baum ins
Mannesalter; die Rinde vertrocknet und mit dem Abſterben der
unterliegenden Safthaut-Schichten ändert ſich die Farbe nochmals.
Jetzt dehnt ſich die Holzfülle in die Höhe und Breite, der Stamm¬
umfang nimmt bedeutend zu, die Borke reißt und Furchen durch¬
ziehen den nun dunkelgebräunten Stammpanzer.

Die Aſt- und Zweig-Entfaltung beginnt bei der im Walde
ſtehenden Kaſtanie erſt ziemlich hoch oben und greift in ſtarken,
ſperrigen Linien weit umher energiſch aus, ſo daß die Nachbar¬
bäume in einander überragend, bei reicher Belaubung, ein dichtes
Blätterdach wölben. Dämmerig wie in unſeren kompakten Nadel¬
forſten, gewährt der Kaſtanienwald in den drückend heißen Som¬
mermonaten eine heimlich kühle Zufluchtsſtätte. Man bedarf ſolcher
in den kleinen ſüdlichen Alpthälern. Die Sohle derſelben iſt oft
überraſchend ſchmal; nur der holperige, allen gegebenen Kurven
ſich ſklaviſch anſchmiegende Weg und der kryſtallklare, wellen¬
hüpfende Bergbach haben Raum nebeneinander, dann gehts auf
beiden Seiten ziemlich ſteil in die Höhe. In dieſe ſchluchtartigen

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[113/0141] Kaſtanienwald. glattrindigen Buche und dem nervigen Habitus der rauh-riſſigen Sommereiche. Um und um iſt Race und ſelbſtſtändiger Halt in der Erſcheinung. So lange er jung iſt, wird der Stamm von einem ſaftigen, drall-anſchließenden Rindenkleide umſchloſſen, deſſen olivengrünes Zellengewebe durchſchimmert; durchaus iſt daſſelbe mit weißen, linſengroßen Punkten (Lenticellen) überſäet, die ihm ein jugendfrohes, heiteres Anſehen verleihen. Hat er dann die zwölf erſten Jahre ſeiner Kindheit zurückgelegt und eine Höhe von etwa 20 Fuß erreicht, dann bekommt er einen buntgeſprenkelten Ueber¬ wurf; grünlich-grau iſt der Grundton des Rindengewandes, auf dem ſich helle Flecken ſilberfarben abheben, — täuſchend ähnlich wie bei der deutſchen Weißbuche. Bei beiden rührt dieſe Farbenver¬ änderung von Flechtenbildungen (Verrucaria epidermidis und analepta) her, welche in reicher Verbreitung den Stamm über¬ ziehen. Nach abermals einem Jahresdutzend tritt der Baum ins Mannesalter; die Rinde vertrocknet und mit dem Abſterben der unterliegenden Safthaut-Schichten ändert ſich die Farbe nochmals. Jetzt dehnt ſich die Holzfülle in die Höhe und Breite, der Stamm¬ umfang nimmt bedeutend zu, die Borke reißt und Furchen durch¬ ziehen den nun dunkelgebräunten Stammpanzer. Die Aſt- und Zweig-Entfaltung beginnt bei der im Walde ſtehenden Kaſtanie erſt ziemlich hoch oben und greift in ſtarken, ſperrigen Linien weit umher energiſch aus, ſo daß die Nachbar¬ bäume in einander überragend, bei reicher Belaubung, ein dichtes Blätterdach wölben. Dämmerig wie in unſeren kompakten Nadel¬ forſten, gewährt der Kaſtanienwald in den drückend heißen Som¬ mermonaten eine heimlich kühle Zufluchtsſtätte. Man bedarf ſolcher in den kleinen ſüdlichen Alpthälern. Die Sohle derſelben iſt oft überraſchend ſchmal; nur der holperige, allen gegebenen Kurven ſich ſklaviſch anſchmiegende Weg und der kryſtallklare, wellen¬ hüpfende Bergbach haben Raum nebeneinander, dann gehts auf beiden Seiten ziemlich ſteil in die Höhe. In dieſe ſchluchtartigen Berlepſch, die Alpen. 8

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Zitationshilfe: Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/141>, abgerufen am 04.05.2024.