Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.Südliche Alpenthäler. Süden her bergwärts empordringenden warmländischen Vegetation)da erschließen sich neue, ungeahnte, landschaftliche Bilder. Es sind schon noch die von hohen, felsigen Bergen begränzten Thäler, -- aber die wildkühne Schönheit, die trotzig herausfordernde Haltung ist gebändigt. Jener einheitliche, großartige Schnitt, der breite volle Wurf, die feste bestimmte Zeichnung, welche die nördlichen Alpenthäler so unverkennbar charakterisirt, ist verschwunden; gleich¬ sam tändelnd hat die Natur aus ihrem unerschöpflich reichen Schatze die Gegend verschwenderisch mit allerlei Schmuck über¬ hangen und geziert. Es liegt entschieden etwas Weibliches, Edel¬ gefallsüchtiges in ihnen gegenüber der ruhigen, männlichen Größe und dem stoischen Ernst derer am Nordhang. Ueppige, sinnliche Lebensfreude athmet die ganze Gegend, und tausend kleine kokette Gruppen fesseln hier den Blick. Neue Pflanzenformen nehmen die Aufmerksamkeit in Anspruch, Südliche Alpenthäler. Süden her bergwärts empordringenden warmländiſchen Vegetation)da erſchließen ſich neue, ungeahnte, landſchaftliche Bilder. Es ſind ſchon noch die von hohen, felſigen Bergen begränzten Thäler, — aber die wildkühne Schönheit, die trotzig herausfordernde Haltung iſt gebändigt. Jener einheitliche, großartige Schnitt, der breite volle Wurf, die feſte beſtimmte Zeichnung, welche die nördlichen Alpenthäler ſo unverkennbar charakteriſirt, iſt verſchwunden; gleich¬ ſam tändelnd hat die Natur aus ihrem unerſchöpflich reichen Schatze die Gegend verſchwenderiſch mit allerlei Schmuck über¬ hangen und geziert. Es liegt entſchieden etwas Weibliches, Edel¬ gefallſüchtiges in ihnen gegenüber der ruhigen, männlichen Größe und dem ſtoiſchen Ernſt derer am Nordhang. Ueppige, ſinnliche Lebensfreude athmet die ganze Gegend, und tauſend kleine kokette Gruppen feſſeln hier den Blick. Neue Pflanzenformen nehmen die Aufmerkſamkeit in Anſpruch, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0135" n="109"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#fr #g">Südliche Alpenthäler</hi>.<lb/></fw> Süden her bergwärts empordringenden warmländiſchen Vegetation)<lb/> da erſchließen ſich neue, ungeahnte, landſchaftliche Bilder. Es ſind<lb/> ſchon noch die von hohen, felſigen Bergen begränzten Thäler, —<lb/> aber die wildkühne Schönheit, die trotzig herausfordernde Haltung<lb/> iſt gebändigt. Jener einheitliche, großartige Schnitt, der breite<lb/> volle Wurf, die feſte beſtimmte Zeichnung, welche die nördlichen<lb/> Alpenthäler ſo unverkennbar charakteriſirt, iſt verſchwunden; gleich¬<lb/> ſam tändelnd hat die Natur aus ihrem unerſchöpflich reichen<lb/> Schatze die Gegend verſchwenderiſch mit allerlei Schmuck über¬<lb/> hangen und geziert. Es liegt entſchieden etwas Weibliches, Edel¬<lb/> gefallſüchtiges in ihnen gegenüber der ruhigen, männlichen Größe<lb/> und dem ſtoiſchen Ernſt derer am Nordhang. Ueppige, ſinnliche<lb/> Lebensfreude athmet die ganze Gegend, und tauſend kleine kokette<lb/> Gruppen feſſeln hier den Blick.</p><lb/> <p>Neue Pflanzenformen nehmen die Aufmerkſamkeit in Anſpruch,<lb/> — oder wo es alt-bekannte, längſt befreundete ſind, geben ſie ſich in<lb/> eleganterem Schwung. Zunächſt ſind es die ſtrotzend-ſaftigen,<lb/> mannshohen Maisſtengel mit den breit überhängenden, leuchtend¬<lb/> grünen, ſchilfartigen Blättern, Urbilder ſchwelgender Lebensfülle,<lb/> die weithin die Felder der Thalſohle bedecken. Das Türkenkorn<lb/> (<hi rendition="#aq">Zea</hi>, <hi rendition="#aq">Melgone</hi> im Teſſiner Italieniſch) muß faſt die Hälfte der<lb/> Getreidefrüchte hier erſetzen. Weizen und Roggen (<hi rendition="#aq">Biava</hi>), wäh¬<lb/> rend er in Deutſchland erſt in das erſterbende, abbleichende Grau¬<lb/> grün übergeht, ſteht hier ſchon ſchnittreif, leuchtend gelb. Das<lb/> Nadelholz iſt aus dem Thal verdrängt; hinauf an die Bergwände<lb/> hat es flüchten müſſen, — drunten pflegt ſich nur rundgewipfeltes<lb/> Laubholz. Der Nußbaum, die Weißeller (<hi rendition="#aq">Betula incana</hi>) und die<lb/> finſtere Ulme zeigen ſich in Menge. Letztere aber kann mit ihrer<lb/> Schwermuth die heitere Sorgloſigkeit der Landſchaft nicht verſtim¬<lb/> men. Ein übermüthiger Wildfang umſpinnt ſie mit ſeinem Blätter¬<lb/> netz und rankt voll Humor an dem düſteren Murrkopf hinauf.<lb/> Es iſt die fröhliche Weinrebe, die in ſorgloſem Leichtſinn empor¬<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [109/0135]
Südliche Alpenthäler.
Süden her bergwärts empordringenden warmländiſchen Vegetation)
da erſchließen ſich neue, ungeahnte, landſchaftliche Bilder. Es ſind
ſchon noch die von hohen, felſigen Bergen begränzten Thäler, —
aber die wildkühne Schönheit, die trotzig herausfordernde Haltung
iſt gebändigt. Jener einheitliche, großartige Schnitt, der breite
volle Wurf, die feſte beſtimmte Zeichnung, welche die nördlichen
Alpenthäler ſo unverkennbar charakteriſirt, iſt verſchwunden; gleich¬
ſam tändelnd hat die Natur aus ihrem unerſchöpflich reichen
Schatze die Gegend verſchwenderiſch mit allerlei Schmuck über¬
hangen und geziert. Es liegt entſchieden etwas Weibliches, Edel¬
gefallſüchtiges in ihnen gegenüber der ruhigen, männlichen Größe
und dem ſtoiſchen Ernſt derer am Nordhang. Ueppige, ſinnliche
Lebensfreude athmet die ganze Gegend, und tauſend kleine kokette
Gruppen feſſeln hier den Blick.
Neue Pflanzenformen nehmen die Aufmerkſamkeit in Anſpruch,
— oder wo es alt-bekannte, längſt befreundete ſind, geben ſie ſich in
eleganterem Schwung. Zunächſt ſind es die ſtrotzend-ſaftigen,
mannshohen Maisſtengel mit den breit überhängenden, leuchtend¬
grünen, ſchilfartigen Blättern, Urbilder ſchwelgender Lebensfülle,
die weithin die Felder der Thalſohle bedecken. Das Türkenkorn
(Zea, Melgone im Teſſiner Italieniſch) muß faſt die Hälfte der
Getreidefrüchte hier erſetzen. Weizen und Roggen (Biava), wäh¬
rend er in Deutſchland erſt in das erſterbende, abbleichende Grau¬
grün übergeht, ſteht hier ſchon ſchnittreif, leuchtend gelb. Das
Nadelholz iſt aus dem Thal verdrängt; hinauf an die Bergwände
hat es flüchten müſſen, — drunten pflegt ſich nur rundgewipfeltes
Laubholz. Der Nußbaum, die Weißeller (Betula incana) und die
finſtere Ulme zeigen ſich in Menge. Letztere aber kann mit ihrer
Schwermuth die heitere Sorgloſigkeit der Landſchaft nicht verſtim¬
men. Ein übermüthiger Wildfang umſpinnt ſie mit ſeinem Blätter¬
netz und rankt voll Humor an dem düſteren Murrkopf hinauf.
Es iſt die fröhliche Weinrebe, die in ſorgloſem Leichtſinn empor¬
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