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Martens, Eduard von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Zoologischer Teil. Erster Band. Berlin, 1876.

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Aasgeier bei Bangkok.
einen Wiedehopf, wie es mir schien, nicht von der europäischen
Art verschieden.

Wie diese Gattung, so sind auch die Geier von Europa und
Afrika bis Siam verbreitet, ohne auf die Inseln des indischen
Archipels überzugehen. Weder auf diesen, noch in China oder
Japan hatte ich Geier gesehen. Die Buddhisten verbrennen die
Leichen, in Bangkok ist eine eigene geräumige Tempelanlage, Wat-
Saket, dafür bestimmt. Aber dieses Verbrennen ist mit Sporteln
an die Priester verknüpft und wenn solche nicht bezahlt werden,
wie in der Regel bei armen Leuten, bleibt die Leiche unbeerdigt
liegen, den Naturkräften zur endgültigen Besorgung überlassen.
Diese stellen sich denn auch alsbald in Gestalt von herrenlosen
Hunden, Raben und Geiern ein; von allen dreien ist eine ansehnliche
Menge in Wat-Saket angesiedelt, hinreichend, um ihren Dienst
mit einer gewissen Regelmässigkeit und Promptheit zu thun. Aus-
einandergerissene Skelete und einzelne Knochen findet man in den
etwas abgelegneren Stellen von Wat-Saket daher in Menge umher-
liegend, und die Hunde knappern in Ermanglung neuen Stoffes noch
lange daran. Einmal sah ich aber auch eine frische angefressene
Menschenleiche, die eine Hälfte von Gesicht und Brust noch so
wenig verändert, als ob der Mensch schliefe, die andere schon bis
an die Knochen abgefressen, ein Anblick, der auch den an anato-
mische Zergliederung Gewöhnten durchschauern kann. Die Geier
sassen, so lange keine Beschäftigung für sie war, klumpenweise
beisammen auf den Dächern der kleinen Heiligthümer, anscheinend
gleichgültig, aber doch stets Wache haltend. Ein angeschossener
suchte durch Sprünge uns zu entkommen und vertheidigte sich,
eingeholt, mit Schnabel und Krallen nachdrücklich und respekt-
erregend bis zum letzten Augenblick. Es war Vultur leuconotus
Gray, grösser und heller gefärbt als der südeuropäische röthlich-
fahle Gänsegeier, V. fulvus, sonst demselben sehr ähnlich. Alle,
die ich in Wat-Saket gesehen, schienen derselben Art anzugehören.
Sein siamesischer Name ist ren.

Schwärme graublauer Tauben, unsern zahmen sehr ähnlich,
Columba intermedia Strickl., beleben die grosse in einen Buddha-
tempel umgewandelte Höhle bei Petshaburi.

Die wilden Hühner bilden bekanntlich einen bezeichnenden
Zug der indischen Länder, aber da sie mehr in Wäldern, als in
bewohnten Gegenden leben, hat der Reisende weniger Gelegenheit

Aasgeier bei Bangkok.
einen Wiedehopf, wie es mir schien, nicht von der europäischen
Art verschieden.

Wie diese Gattung, so sind auch die Geier von Europa und
Afrika bis Siam verbreitet, ohne auf die Inseln des indischen
Archipels überzugehen. Weder auf diesen, noch in China oder
Japan hatte ich Geier gesehen. Die Buddhisten verbrennen die
Leichen, in Bangkok ist eine eigene geräumige Tempelanlage, Wat-
Saket, dafür bestimmt. Aber dieses Verbrennen ist mit Sporteln
an die Priester verknüpft und wenn solche nicht bezahlt werden,
wie in der Regel bei armen Leuten, bleibt die Leiche unbeerdigt
liegen, den Naturkräften zur endgültigen Besorgung überlassen.
Diese stellen sich denn auch alsbald in Gestalt von herrenlosen
Hunden, Raben und Geiern ein; von allen dreien ist eine ansehnliche
Menge in Wat-Saket angesiedelt, hinreichend, um ihren Dienst
mit einer gewissen Regelmässigkeit und Promptheit zu thun. Aus-
einandergerissene Skelete und einzelne Knochen findet man in den
etwas abgelegneren Stellen von Wat-Saket daher in Menge umher-
liegend, und die Hunde knappern in Ermanglung neuen Stoffes noch
lange daran. Einmal sah ich aber auch eine frische angefressene
Menschenleiche, die eine Hälfte von Gesicht und Brust noch so
wenig verändert, als ob der Mensch schliefe, die andere schon bis
an die Knochen abgefressen, ein Anblick, der auch den an anato-
mische Zergliederung Gewöhnten durchschauern kann. Die Geier
sassen, so lange keine Beschäftigung für sie war, klumpenweise
beisammen auf den Dächern der kleinen Heiligthümer, anscheinend
gleichgültig, aber doch stets Wache haltend. Ein angeschossener
suchte durch Sprünge uns zu entkommen und vertheidigte sich,
eingeholt, mit Schnabel und Krallen nachdrücklich und respekt-
erregend bis zum letzten Augenblick. Es war Vultur leuconotus
Gray, grösser und heller gefärbt als der südeuropäische röthlich-
fahle Gänsegeier, V. fulvus, sonst demselben sehr ähnlich. Alle,
die ich in Wat-Saket gesehen, schienen derselben Art anzugehören.
Sein siamesischer Name ist ren.

Schwärme graublauer Tauben, unsern zahmen sehr ähnlich,
Columba intermedia Strickl., beleben die grosse in einen Buddha-
tempel umgewandelte Höhle bei Petshaburi.

Die wilden Hühner bilden bekanntlich einen bezeichnenden
Zug der indischen Länder, aber da sie mehr in Wäldern, als in
bewohnten Gegenden leben, hat der Reisende weniger Gelegenheit

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[216/0234] Aasgeier bei Bangkok. einen Wiedehopf, wie es mir schien, nicht von der europäischen Art verschieden. Wie diese Gattung, so sind auch die Geier von Europa und Afrika bis Siam verbreitet, ohne auf die Inseln des indischen Archipels überzugehen. Weder auf diesen, noch in China oder Japan hatte ich Geier gesehen. Die Buddhisten verbrennen die Leichen, in Bangkok ist eine eigene geräumige Tempelanlage, Wat- Saket, dafür bestimmt. Aber dieses Verbrennen ist mit Sporteln an die Priester verknüpft und wenn solche nicht bezahlt werden, wie in der Regel bei armen Leuten, bleibt die Leiche unbeerdigt liegen, den Naturkräften zur endgültigen Besorgung überlassen. Diese stellen sich denn auch alsbald in Gestalt von herrenlosen Hunden, Raben und Geiern ein; von allen dreien ist eine ansehnliche Menge in Wat-Saket angesiedelt, hinreichend, um ihren Dienst mit einer gewissen Regelmässigkeit und Promptheit zu thun. Aus- einandergerissene Skelete und einzelne Knochen findet man in den etwas abgelegneren Stellen von Wat-Saket daher in Menge umher- liegend, und die Hunde knappern in Ermanglung neuen Stoffes noch lange daran. Einmal sah ich aber auch eine frische angefressene Menschenleiche, die eine Hälfte von Gesicht und Brust noch so wenig verändert, als ob der Mensch schliefe, die andere schon bis an die Knochen abgefressen, ein Anblick, der auch den an anato- mische Zergliederung Gewöhnten durchschauern kann. Die Geier sassen, so lange keine Beschäftigung für sie war, klumpenweise beisammen auf den Dächern der kleinen Heiligthümer, anscheinend gleichgültig, aber doch stets Wache haltend. Ein angeschossener suchte durch Sprünge uns zu entkommen und vertheidigte sich, eingeholt, mit Schnabel und Krallen nachdrücklich und respekt- erregend bis zum letzten Augenblick. Es war Vultur leuconotus Gray, grösser und heller gefärbt als der südeuropäische röthlich- fahle Gänsegeier, V. fulvus, sonst demselben sehr ähnlich. Alle, die ich in Wat-Saket gesehen, schienen derselben Art anzugehören. Sein siamesischer Name ist ren. Schwärme graublauer Tauben, unsern zahmen sehr ähnlich, Columba intermedia Strickl., beleben die grosse in einen Buddha- tempel umgewandelte Höhle bei Petshaburi. Die wilden Hühner bilden bekanntlich einen bezeichnenden Zug der indischen Länder, aber da sie mehr in Wäldern, als in bewohnten Gegenden leben, hat der Reisende weniger Gelegenheit

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Zitationshilfe: Martens, Eduard von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Zoologischer Teil. Erster Band. Berlin, 1876, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasienzoologie01_1876/234>, abgerufen am 03.05.2024.