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Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873.

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Nin-po genommen. Anh. IV.
Schussweite -- Anker geworfen, und schauten dem Geschützkampfe
zu. Als darauf Ebbe eintrat, sandte Capitän Dew ein Kanonenboot
hinab, sie heraufzuschleppen; Tsan betheuerte aber kein Pulver zu
haben und blieb standhaft auf seinem Ankerplatz. -- Capitän Dew
hatte gegen die 20,000 bis 30,000 Tae-pin über kaum 300 Mann
zu verfügen, beschloss aber, in chinesischer Kriegführung erfahren,
die Stadt zu stürmen. Der erste Anlauf scheiterte; die Besatzung
der Mauer warf Stinkkugeln, Feuertöpfe und Steine, und stiess mit
langen Spiessen die Sturmleitern um. Am zweiten Versuch be-
theiligten sich 20 französische Seeleute unter Lieutenant de
vaisseau Kenney, der, der erste auf der Mauer, durch die Lunge
geschossen wurde. Der vorderste Engländer fiel gleichfalls, durch
den Kopf geschossen. Capitän Dew fasste zuerst festen Fuss:
wenige Minuten darauf säuberte eine oben aufgepflanzte Haubitze
die nächsten Strassen. Einen weiteren Kampf auf der Stadtmauer
hemmte eine Granate des Encounter, welche die Esplanade vor
dem anstürmenden Feinde verschüttete. -- Unterdessen hatte eine
andere Abtheilung englischer und französischer Seeleute das Nord-
thor genommen, ein Kanonenboot die Schiffbrücke gesprengt, welche
das Vordringen der Kriegsschiffe hemmte. Nun landete auch Tsan.
Wie gierige Wölfe stürzten seine Leute durch das Nordthor in die
Stadt, während die Tae-pin durch das Westthor flohen; Hunderte
der letzteren wurden erdrückt oder von den Spiessen ihrer Came-
raden durchrannt. Erst bei Yu-yao, sechs Meilen von Nin-po,
machten die Flüchtigen Halt.

Die englischen und französischen Officiere zogen ihre Leute
aus der Stadt zurück; Capitän Dew übernahm jedoch auf dringen-
des Bitten des Tau-tae Tsan den Befehl über die Garnison, die
durch 400 Mann von Ward's Corps verstärkt wurde. Auf eine in
der Umgegend verbreitete Proclamation, in welcher die Alliirten die
Stadt zu schützen versprachen, kehrten die Bewohner zu Zehn-
tausenden heim, und der Handel blühte auf.77) Eine Bande frem-

77) Ueber den Zustand der Stadt schreibt Capitän Dew: "Ich hatte Nin-po in
seinen glänzenden Tagen gekannt, als es sich rühmte, eine der ersten Handelsstädte
des Reiches zu sein. Aber jetzt, an diesem 11. Mai, möchte man glauben, dass ein
Engel der Vernichtung in der Stadt und den Vorstädten gehaust hat. Letztere mit
ihren reichen Kaufhäusern und Tausenden von Wohngebäuden waren der Erde
gleich gemacht; in der Stadt selbst, einst der Heimath einer halben Million, war
keine Spur von einem Bewohner zu sehen. Es war eine Todtenstadt. Die reichen
schönen Meublements der Häuser waren als Brennstoff verbraucht oder zum Ge-

Niṅ-po genommen. Anh. IV.
Schussweite — Anker geworfen, und schauten dem Geschützkampfe
zu. Als darauf Ebbe eintrat, sandte Capitän Dew ein Kanonenboot
hinab, sie heraufzuschleppen; Tšaṅ betheuerte aber kein Pulver zu
haben und blieb standhaft auf seinem Ankerplatz. — Capitän Dew
hatte gegen die 20,000 bis 30,000 Tae-piṅ über kaum 300 Mann
zu verfügen, beschloss aber, in chinesischer Kriegführung erfahren,
die Stadt zu stürmen. Der erste Anlauf scheiterte; die Besatzung
der Mauer warf Stinkkugeln, Feuertöpfe und Steine, und stiess mit
langen Spiessen die Sturmleitern um. Am zweiten Versuch be-
theiligten sich 20 französische Seeleute unter Lieutenant de
vaisseau Kenney, der, der erste auf der Mauer, durch die Lunge
geschossen wurde. Der vorderste Engländer fiel gleichfalls, durch
den Kopf geschossen. Capitän Dew fasste zuerst festen Fuss:
wenige Minuten darauf säuberte eine oben aufgepflanzte Haubitze
die nächsten Strassen. Einen weiteren Kampf auf der Stadtmauer
hemmte eine Granate des Encounter, welche die Esplanade vor
dem anstürmenden Feinde verschüttete. — Unterdessen hatte eine
andere Abtheilung englischer und französischer Seeleute das Nord-
thor genommen, ein Kanonenboot die Schiffbrücke gesprengt, welche
das Vordringen der Kriegsschiffe hemmte. Nun landete auch Tšaṅ.
Wie gierige Wölfe stürzten seine Leute durch das Nordthor in die
Stadt, während die Tae-piṅ durch das Westthor flohen; Hunderte
der letzteren wurden erdrückt oder von den Spiessen ihrer Came-
raden durchrannt. Erst bei Yu-yao, sechs Meilen von Niṅ-po,
machten die Flüchtigen Halt.

Die englischen und französischen Officiere zogen ihre Leute
aus der Stadt zurück; Capitän Dew übernahm jedoch auf dringen-
des Bitten des Tau-tae Tšaṅ den Befehl über die Garnison, die
durch 400 Mann von Ward’s Corps verstärkt wurde. Auf eine in
der Umgegend verbreitete Proclamation, in welcher die Alliirten die
Stadt zu schützen versprachen, kehrten die Bewohner zu Zehn-
tausenden heim, und der Handel blühte auf.77) Eine Bande frem-

77) Ueber den Zustand der Stadt schreibt Capitän Dew: »Ich hatte Niṅ-po in
seinen glänzenden Tagen gekannt, als es sich rühmte, eine der ersten Handelsstädte
des Reiches zu sein. Aber jetzt, an diesem 11. Mai, möchte man glauben, dass ein
Engel der Vernichtung in der Stadt und den Vorstädten gehaust hat. Letztere mit
ihren reichen Kaufhäusern und Tausenden von Wohngebäuden waren der Erde
gleich gemacht; in der Stadt selbst, einst der Heimath einer halben Million, war
keine Spur von einem Bewohner zu sehen. Es war eine Todtenstadt. Die reichen
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[408/0422] Niṅ-po genommen. Anh. IV. Schussweite — Anker geworfen, und schauten dem Geschützkampfe zu. Als darauf Ebbe eintrat, sandte Capitän Dew ein Kanonenboot hinab, sie heraufzuschleppen; Tšaṅ betheuerte aber kein Pulver zu haben und blieb standhaft auf seinem Ankerplatz. — Capitän Dew hatte gegen die 20,000 bis 30,000 Tae-piṅ über kaum 300 Mann zu verfügen, beschloss aber, in chinesischer Kriegführung erfahren, die Stadt zu stürmen. Der erste Anlauf scheiterte; die Besatzung der Mauer warf Stinkkugeln, Feuertöpfe und Steine, und stiess mit langen Spiessen die Sturmleitern um. Am zweiten Versuch be- theiligten sich 20 französische Seeleute unter Lieutenant de vaisseau Kenney, der, der erste auf der Mauer, durch die Lunge geschossen wurde. Der vorderste Engländer fiel gleichfalls, durch den Kopf geschossen. Capitän Dew fasste zuerst festen Fuss: wenige Minuten darauf säuberte eine oben aufgepflanzte Haubitze die nächsten Strassen. Einen weiteren Kampf auf der Stadtmauer hemmte eine Granate des Encounter, welche die Esplanade vor dem anstürmenden Feinde verschüttete. — Unterdessen hatte eine andere Abtheilung englischer und französischer Seeleute das Nord- thor genommen, ein Kanonenboot die Schiffbrücke gesprengt, welche das Vordringen der Kriegsschiffe hemmte. Nun landete auch Tšaṅ. Wie gierige Wölfe stürzten seine Leute durch das Nordthor in die Stadt, während die Tae-piṅ durch das Westthor flohen; Hunderte der letzteren wurden erdrückt oder von den Spiessen ihrer Came- raden durchrannt. Erst bei Yu-yao, sechs Meilen von Niṅ-po, machten die Flüchtigen Halt. Die englischen und französischen Officiere zogen ihre Leute aus der Stadt zurück; Capitän Dew übernahm jedoch auf dringen- des Bitten des Tau-tae Tšaṅ den Befehl über die Garnison, die durch 400 Mann von Ward’s Corps verstärkt wurde. Auf eine in der Umgegend verbreitete Proclamation, in welcher die Alliirten die Stadt zu schützen versprachen, kehrten die Bewohner zu Zehn- tausenden heim, und der Handel blühte auf. 77) Eine Bande frem- 77) Ueber den Zustand der Stadt schreibt Capitän Dew: »Ich hatte Niṅ-po in seinen glänzenden Tagen gekannt, als es sich rühmte, eine der ersten Handelsstädte des Reiches zu sein. Aber jetzt, an diesem 11. Mai, möchte man glauben, dass ein Engel der Vernichtung in der Stadt und den Vorstädten gehaust hat. Letztere mit ihren reichen Kaufhäusern und Tausenden von Wohngebäuden waren der Erde gleich gemacht; in der Stadt selbst, einst der Heimath einer halben Million, war keine Spur von einem Bewohner zu sehen. Es war eine Todtenstadt. Die reichen schönen Meublements der Häuser waren als Brennstoff verbraucht oder zum Ge-

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Zitationshilfe: Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873, S. 408. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien04_1873/422>, abgerufen am 22.11.2024.