Zerrüttung des Reiches in Verfall und erlosch wohl gänzlich nach der Zerstörung von Ayutia.
Die Geschichte des Constantin Phaulkon, seiner Beziehungen zu Ludwig XIV. und den französischen Jesuiten ist eine der merk- würdigsten Episoden im Verkehr des Westens mit indischen Völkern. Volle Klarheit lässt sich darüber nicht gewinnen; die Be- richte der Jesuiten sind stark gefärbt, die der Gesandten oberfläch- lich und ruhmredig. So viel liest man aber, obwohl die Missio- nare mit verdächtigem Eifer das Gegentheil beschwören, sehr deut- lich zwischen den Zeilen, dass Phaulkon mit Hülfe der Franzosen dem König Phra-Narai, der ohne männliche Erben war, zu succe- diren hoffte. Dabei liegt die Vermuthung nahe, dass Ludwig XIV. die Früchte seines Beistandes selbst zu ärnten, durch Gründung eines grossen christlichen Reiches in Hinter-Indien die geträumte Weltherrschaft zur That zu machen hoffte.
Phra-Narai's Geschichte giebt einen Begriff von der Erb- folge am siamesischen Hofe. Sein Vater Phra-Surivon, einer der Grossen des Reiches, mordete 1627 den König Phra-Tsao-Son-Tam, der nach Ermordung seines Neffen 1602 den Thron bestiegen hatte. Phra-Narai mordete 1655 seinen Bruder, den Surivon zum Erben einsetzte, mit Hülfe seines Oheims, mordete nach einigen Monaten auch diesen, der den Thron bestiegen hatte, und regierte seit 1656. Wenige Jahre darauf kam Constantin Phaulkon nach Siam. Nach den Berichten der Jesuiten hätte er, der Sohn eines venetianischen Gouverneurs von Kephalonia und einer Griechin, nach dem Tode seiner Eltern sein Glück auf der See gesucht, hätte auf einem eng- lischen Schiff auch Siam besucht, dort selbst ein Fahrzeug erwor- ben und Reisen nach den Nachbarländern gemacht. An der mala- barischen Küste strandend, hätte er einen aus Persien zurückkehrenden siamesischen Gesandten getroffen, dessen Schiff in demselben Sturm scheiterte, hätte mit seinem geretteten Gelde ein Fahrzeug gemiethet und den Siamesen nach seiner Heimath geführt. Von diesem em- pfohlen hätte Phaulkon schnell des Königs Vertrauen gewonnen und sich zur Würde eines Ministers aufgeschwungen. Sonderbar klingt die Angabe, dass der Sohn eines Venetianers und einer Griechin sich bis dahin zur anglicanischen Kirche bekannt und erst als siamesischer Minister den katholischen Glauben angenom- men habe. Darauf soll er eine japanische Christin geheirathet und in kurzer Zeit durch Begünstigung des fremden Handels grosse
XXI. Franzosen in Siam.
Zerrüttung des Reiches in Verfall und erlosch wohl gänzlich nach der Zerstörung von Ayutia.
Die Geschichte des Constantin Phaulkon, seiner Beziehungen zu Ludwig XIV. und den französischen Jesuiten ist eine der merk- würdigsten Episoden im Verkehr des Westens mit indischen Völkern. Volle Klarheit lässt sich darüber nicht gewinnen; die Be- richte der Jesuiten sind stark gefärbt, die der Gesandten oberfläch- lich und ruhmredig. So viel liest man aber, obwohl die Missio- nare mit verdächtigem Eifer das Gegentheil beschwören, sehr deut- lich zwischen den Zeilen, dass Phaulkon mit Hülfe der Franzosen dem König Phra-Narai, der ohne männliche Erben war, zu succe- diren hoffte. Dabei liegt die Vermuthung nahe, dass Ludwig XIV. die Früchte seines Beistandes selbst zu ärnten, durch Gründung eines grossen christlichen Reiches in Hinter-Indien die geträumte Weltherrschaft zur That zu machen hoffte.
Phra-Narai’s Geschichte giebt einen Begriff von der Erb- folge am siamesischen Hofe. Sein Vater Phra-Surivoṅ, einer der Grossen des Reiches, mordete 1627 den König Phra-Tšao-Soṅ-Tam, der nach Ermordung seines Neffen 1602 den Thron bestiegen hatte. Phra-Narai mordete 1655 seinen Bruder, den Surivoṅ zum Erben einsetzte, mit Hülfe seines Oheims, mordete nach einigen Monaten auch diesen, der den Thron bestiegen hatte, und regierte seit 1656. Wenige Jahre darauf kam Constantin Phaulkon nach Siam. Nach den Berichten der Jesuiten hätte er, der Sohn eines venetianischen Gouverneurs von Kephalonia und einer Griechin, nach dem Tode seiner Eltern sein Glück auf der See gesucht, hätte auf einem eng- lischen Schiff auch Siam besucht, dort selbst ein Fahrzeug erwor- ben und Reisen nach den Nachbarländern gemacht. An der mala- barischen Küste strandend, hätte er einen aus Persien zurückkehrenden siamesischen Gesandten getroffen, dessen Schiff in demselben Sturm scheiterte, hätte mit seinem geretteten Gelde ein Fahrzeug gemiethet und den Siamesen nach seiner Heimath geführt. Von diesem em- pfohlen hätte Phaulkon schnell des Königs Vertrauen gewonnen und sich zur Würde eines Ministers aufgeschwungen. Sonderbar klingt die Angabe, dass der Sohn eines Venetianers und einer Griechin sich bis dahin zur anglicanischen Kirche bekannt und erst als siamesischer Minister den katholischen Glauben angenom- men habe. Darauf soll er eine japanische Christin geheirathet und in kurzer Zeit durch Begünstigung des fremden Handels grosse
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[237/0251]
XXI. Franzosen in Siam.
Zerrüttung des Reiches in Verfall und erlosch wohl gänzlich nach
der Zerstörung von Ayutia.
Die Geschichte des Constantin Phaulkon, seiner Beziehungen
zu Ludwig XIV. und den französischen Jesuiten ist eine der merk-
würdigsten Episoden im Verkehr des Westens mit indischen
Völkern. Volle Klarheit lässt sich darüber nicht gewinnen; die Be-
richte der Jesuiten sind stark gefärbt, die der Gesandten oberfläch-
lich und ruhmredig. So viel liest man aber, obwohl die Missio-
nare mit verdächtigem Eifer das Gegentheil beschwören, sehr deut-
lich zwischen den Zeilen, dass Phaulkon mit Hülfe der Franzosen
dem König Phra-Narai, der ohne männliche Erben war, zu succe-
diren hoffte. Dabei liegt die Vermuthung nahe, dass Ludwig XIV.
die Früchte seines Beistandes selbst zu ärnten, durch Gründung
eines grossen christlichen Reiches in Hinter-Indien die geträumte
Weltherrschaft zur That zu machen hoffte.
Phra-Narai’s Geschichte giebt einen Begriff von der Erb-
folge am siamesischen Hofe. Sein Vater Phra-Surivoṅ, einer der
Grossen des Reiches, mordete 1627 den König Phra-Tšao-Soṅ-Tam,
der nach Ermordung seines Neffen 1602 den Thron bestiegen hatte.
Phra-Narai mordete 1655 seinen Bruder, den Surivoṅ zum Erben
einsetzte, mit Hülfe seines Oheims, mordete nach einigen Monaten
auch diesen, der den Thron bestiegen hatte, und regierte seit 1656.
Wenige Jahre darauf kam Constantin Phaulkon nach Siam. Nach
den Berichten der Jesuiten hätte er, der Sohn eines venetianischen
Gouverneurs von Kephalonia und einer Griechin, nach dem Tode
seiner Eltern sein Glück auf der See gesucht, hätte auf einem eng-
lischen Schiff auch Siam besucht, dort selbst ein Fahrzeug erwor-
ben und Reisen nach den Nachbarländern gemacht. An der mala-
barischen Küste strandend, hätte er einen aus Persien zurückkehrenden
siamesischen Gesandten getroffen, dessen Schiff in demselben Sturm
scheiterte, hätte mit seinem geretteten Gelde ein Fahrzeug gemiethet
und den Siamesen nach seiner Heimath geführt. Von diesem em-
pfohlen hätte Phaulkon schnell des Königs Vertrauen gewonnen
und sich zur Würde eines Ministers aufgeschwungen. Sonderbar
klingt die Angabe, dass der Sohn eines Venetianers und einer
Griechin sich bis dahin zur anglicanischen Kirche bekannt und
erst als siamesischer Minister den katholischen Glauben angenom-
men habe. Darauf soll er eine japanische Christin geheirathet und
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Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873, S. 237. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien04_1873/251>, abgerufen am 22.11.2024.
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