giebt grosse Summen aus, um die breiten Strassen und Plätze mit Bäumen zu bepflanzen; ihre chinesischen Unterthanen stehlen sie aber trotz aller Wachsamkeit der Polizei mit löblicher Ausdauer.
Am 20. November fuhr der Gesandte mit einigen seiner Be- gleiter auf dem Dampfer "Hankow" nach Kan-ton. Das Schiff ist in America gebaut, ein Flussdampfer der besten Art, einem schwim- menden Hause vergleichbar. Ein kühnes Wagstück muss es ge- wesen sein, das Fahrzeug über den Ocean zu bringen. -- Morgens um acht ging es von Hong-kong ab. Das untere Stockwerk wimmelte von Chinesen; das obere ist sehr elegant nur für westländische Reisende eingerichtet und enthält einen Speisesaal, Salon, Rauch- zimmer u. s. w. Die Maschine liegt grossentheils über dem schmalen scharfgebauten Rumpf; ihre Hebel ragen hoch über die Radkasten der ungeheuren Schaufelräder. -- Die Fahrt ist reizend. Zuerst saust das Schiff in fliegender Eile durch dichtgedrängte Dschunken; jeden Augenblick glaubt man anzurennen; aber vorn an der Spitze drehen zwei Chinesen, einander so gleich wie ein Ei dem anderen, mit unbeweglicher Miene das Steuerrad; wie aus einem Guss, von einem Willen gelenkt sind ihre Bewegungen, man glaubt denselben Menschen doppelt zu sehen. Der americanische Capitän leitet hinter ihnen stehend den Gang der Maschine; auf Zollbreite streift der Coloss an den Dschunken vorbei.
Ein Weilchen geht es darauf über freies Wasser, dann zwischen die Felseilande hinein. Oft scheint der Ausgang ver- sperrt; da schlüpft der Dampfer in scharfer Wendung durch einen engen Canal, den Niemand ahnte. Auch diese Inseln sind kahl: nur hier und da liegt ein Fischerdorf an heimlicher Bucht zwischen dichte Wipfel gebettet. -- Nochmals öffnet sich die breite Meeres- fläche, nach Süden unabsehbar. Dann läuft das Schiff in den Perl- Fluss, dessen weite Mündung von malerischen Fahrzeugen wimmelt: da kreuzen Lorchas mit fächerförmigen Mattensegeln, und tausend Fischerdschunken, denen ihre zum Trocknen über die Raaen ge- hängten Netze die abenteuerlichste Gestalt geben. Auf überflutheten Sandbänken waten einsame Fischer, ihre Netze stellend, bis an die Hüften im Wasser. Noch schwimmen die Ufer in nebliger Ferne.
Von Tsuen-pi und Ti-kok-to gewahrte man wenig; erst weiter hinauf verengt sich das Becken. Im Westen steigt die sonderbar geformte Felsengruppe auf, deren Umriss einem lie- genden Tiger verglichen wird; nach ihr nannten die Portugiesen
XIX. Fahrt nach Kan-ton.
giebt grosse Summen aus, um die breiten Strassen und Plätze mit Bäumen zu bepflanzen; ihre chinesischen Unterthanen stehlen sie aber trotz aller Wachsamkeit der Polizei mit löblicher Ausdauer.
Am 20. November fuhr der Gesandte mit einigen seiner Be- gleiter auf dem Dampfer »Hankow« nach Kan-ton. Das Schiff ist in America gebaut, ein Flussdampfer der besten Art, einem schwim- menden Hause vergleichbar. Ein kühnes Wagstück muss es ge- wesen sein, das Fahrzeug über den Ocean zu bringen. — Morgens um acht ging es von Hong-kong ab. Das untere Stockwerk wimmelte von Chinesen; das obere ist sehr elegant nur für westländische Reisende eingerichtet und enthält einen Speisesaal, Salon, Rauch- zimmer u. s. w. Die Maschine liegt grossentheils über dem schmalen scharfgebauten Rumpf; ihre Hebel ragen hoch über die Radkasten der ungeheuren Schaufelräder. — Die Fahrt ist reizend. Zuerst saust das Schiff in fliegender Eile durch dichtgedrängte Dschunken; jeden Augenblick glaubt man anzurennen; aber vorn an der Spitze drehen zwei Chinesen, einander so gleich wie ein Ei dem anderen, mit unbeweglicher Miene das Steuerrad; wie aus einem Guss, von einem Willen gelenkt sind ihre Bewegungen, man glaubt denselben Menschen doppelt zu sehen. Der americanische Capitän leitet hinter ihnen stehend den Gang der Maschine; auf Zollbreite streift der Coloss an den Dschunken vorbei.
Ein Weilchen geht es darauf über freies Wasser, dann zwischen die Felseilande hinein. Oft scheint der Ausgang ver- sperrt; da schlüpft der Dampfer in scharfer Wendung durch einen engen Canal, den Niemand ahnte. Auch diese Inseln sind kahl: nur hier und da liegt ein Fischerdorf an heimlicher Bucht zwischen dichte Wipfel gebettet. — Nochmals öffnet sich die breite Meeres- fläche, nach Süden unabsehbar. Dann läuft das Schiff in den Perl- Fluss, dessen weite Mündung von malerischen Fahrzeugen wimmelt: da kreuzen Lorchas mit fächerförmigen Mattensegeln, und tausend Fischerdschunken, denen ihre zum Trocknen über die Raaen ge- hängten Netze die abenteuerlichste Gestalt geben. Auf überflutheten Sandbänken waten einsame Fischer, ihre Netze stellend, bis an die Hüften im Wasser. Noch schwimmen die Ufer in nebliger Ferne.
Von Tšuen-pi und Ti-kok-to gewahrte man wenig; erst weiter hinauf verengt sich das Becken. Im Westen steigt die sonderbar geformte Felsengruppe auf, deren Umriss einem lie- genden Tiger verglichen wird; nach ihr nannten die Portugiesen
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0203"n="189"/><fwplace="top"type="header">XIX. Fahrt nach <hirendition="#k"><placeName>Kan-ton</placeName></hi>.</fw><lb/>
giebt grosse Summen aus, um die breiten Strassen und Plätze<lb/>
mit Bäumen zu bepflanzen; ihre chinesischen Unterthanen stehlen<lb/>
sie aber trotz aller Wachsamkeit der Polizei mit löblicher Ausdauer.</p><lb/><p>Am 20. November fuhr der Gesandte mit einigen seiner Be-<lb/>
gleiter auf dem Dampfer »Hankow« nach <hirendition="#k"><placeName>Kan-ton</placeName></hi>. Das Schiff ist<lb/>
in <placeName>America</placeName> gebaut, ein Flussdampfer der besten Art, einem schwim-<lb/>
menden Hause vergleichbar. Ein kühnes Wagstück muss es ge-<lb/>
wesen sein, das Fahrzeug über den Ocean zu bringen. — Morgens<lb/>
um acht ging es von <hirendition="#k"><placeName>Hong-kong</placeName></hi> ab. Das untere Stockwerk wimmelte<lb/>
von Chinesen; das obere ist sehr elegant nur für westländische<lb/>
Reisende eingerichtet und enthält einen Speisesaal, Salon, Rauch-<lb/>
zimmer u. s. w. Die Maschine liegt grossentheils über dem schmalen<lb/>
scharfgebauten Rumpf; ihre Hebel ragen hoch über die Radkasten<lb/>
der ungeheuren Schaufelräder. — Die Fahrt ist reizend. Zuerst<lb/>
saust das Schiff in fliegender Eile durch dichtgedrängte Dschunken;<lb/>
jeden Augenblick glaubt man anzurennen; aber vorn an der Spitze<lb/>
drehen zwei Chinesen, einander so gleich wie ein Ei dem anderen,<lb/>
mit unbeweglicher Miene das Steuerrad; wie aus einem Guss, von<lb/>
einem Willen gelenkt sind ihre Bewegungen, man glaubt denselben<lb/>
Menschen doppelt zu sehen. Der americanische Capitän leitet hinter<lb/>
ihnen stehend den Gang der Maschine; auf Zollbreite streift der<lb/>
Coloss an den Dschunken vorbei.</p><lb/><p>Ein Weilchen geht es darauf über freies Wasser, dann<lb/>
zwischen die Felseilande hinein. Oft scheint der Ausgang ver-<lb/>
sperrt; da schlüpft der Dampfer in scharfer Wendung durch einen<lb/>
engen Canal, den Niemand ahnte. Auch diese Inseln sind kahl:<lb/>
nur hier und da liegt ein Fischerdorf an heimlicher Bucht zwischen<lb/>
dichte Wipfel gebettet. — Nochmals öffnet sich die breite Meeres-<lb/>
fläche, nach Süden unabsehbar. Dann läuft das Schiff in den <placeName>Perl-<lb/>
Fluss</placeName>, dessen weite Mündung von malerischen Fahrzeugen wimmelt:<lb/>
da kreuzen Lorchas mit fächerförmigen Mattensegeln, und tausend<lb/>
Fischerdschunken, denen ihre zum Trocknen über die Raaen ge-<lb/>
hängten Netze die abenteuerlichste Gestalt geben. Auf überflutheten<lb/>
Sandbänken waten einsame Fischer, ihre Netze stellend, bis an die<lb/>
Hüften im Wasser. Noch schwimmen die Ufer in nebliger Ferne.</p><lb/><p>Von <hirendition="#k"><placeName>Tšuen-pi</placeName></hi> und <hirendition="#k"><placeName>Ti-kok-to</placeName></hi> gewahrte man wenig; erst<lb/>
weiter hinauf verengt sich das Becken. Im Westen steigt die<lb/>
sonderbar geformte Felsengruppe auf, deren Umriss einem lie-<lb/>
genden Tiger verglichen wird; nach ihr nannten die Portugiesen<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[189/0203]
XIX. Fahrt nach Kan-ton.
giebt grosse Summen aus, um die breiten Strassen und Plätze
mit Bäumen zu bepflanzen; ihre chinesischen Unterthanen stehlen
sie aber trotz aller Wachsamkeit der Polizei mit löblicher Ausdauer.
Am 20. November fuhr der Gesandte mit einigen seiner Be-
gleiter auf dem Dampfer »Hankow« nach Kan-ton. Das Schiff ist
in America gebaut, ein Flussdampfer der besten Art, einem schwim-
menden Hause vergleichbar. Ein kühnes Wagstück muss es ge-
wesen sein, das Fahrzeug über den Ocean zu bringen. — Morgens
um acht ging es von Hong-kong ab. Das untere Stockwerk wimmelte
von Chinesen; das obere ist sehr elegant nur für westländische
Reisende eingerichtet und enthält einen Speisesaal, Salon, Rauch-
zimmer u. s. w. Die Maschine liegt grossentheils über dem schmalen
scharfgebauten Rumpf; ihre Hebel ragen hoch über die Radkasten
der ungeheuren Schaufelräder. — Die Fahrt ist reizend. Zuerst
saust das Schiff in fliegender Eile durch dichtgedrängte Dschunken;
jeden Augenblick glaubt man anzurennen; aber vorn an der Spitze
drehen zwei Chinesen, einander so gleich wie ein Ei dem anderen,
mit unbeweglicher Miene das Steuerrad; wie aus einem Guss, von
einem Willen gelenkt sind ihre Bewegungen, man glaubt denselben
Menschen doppelt zu sehen. Der americanische Capitän leitet hinter
ihnen stehend den Gang der Maschine; auf Zollbreite streift der
Coloss an den Dschunken vorbei.
Ein Weilchen geht es darauf über freies Wasser, dann
zwischen die Felseilande hinein. Oft scheint der Ausgang ver-
sperrt; da schlüpft der Dampfer in scharfer Wendung durch einen
engen Canal, den Niemand ahnte. Auch diese Inseln sind kahl:
nur hier und da liegt ein Fischerdorf an heimlicher Bucht zwischen
dichte Wipfel gebettet. — Nochmals öffnet sich die breite Meeres-
fläche, nach Süden unabsehbar. Dann läuft das Schiff in den Perl-
Fluss, dessen weite Mündung von malerischen Fahrzeugen wimmelt:
da kreuzen Lorchas mit fächerförmigen Mattensegeln, und tausend
Fischerdschunken, denen ihre zum Trocknen über die Raaen ge-
hängten Netze die abenteuerlichste Gestalt geben. Auf überflutheten
Sandbänken waten einsame Fischer, ihre Netze stellend, bis an die
Hüften im Wasser. Noch schwimmen die Ufer in nebliger Ferne.
Von Tšuen-pi und Ti-kok-to gewahrte man wenig; erst
weiter hinauf verengt sich das Becken. Im Westen steigt die
sonderbar geformte Felsengruppe auf, deren Umriss einem lie-
genden Tiger verglichen wird; nach ihr nannten die Portugiesen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873, S. 189. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien04_1873/203>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.