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Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873.

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XVII. Garnison von Pe-kin.
gewann er bei Pa-li-kao solchen Respect, dass er jede Erneuung
des Kampfes ganz offen für thöricht erklärte. Aehnlich muss
San-ko-lin-sin nach dem Tage von Tsan-kia-wan gedacht haben;
beide Feldherren vermieden bekanntlich jedes fernere Treffen. --
Wie sehr die Ansichten der Chinesen seit dem Herbst 1860, -- da
die temporäre Besetzung von Tien-tsin noch als unerträglich
schmachvoll und dem Throne gefährlich vor allen Bestimmungen
des Friedensvertrages angefochten wurde, -- sich änderten, beweist
der Umstand, dass im Herbst 1861 die kaiserliche Regierung der
Räumung von Tien-tsin und den Ta-ku-Forts mit der äussersten
Besorgniss entgegensah, und dass sie, als ihre Bitten um deren
Hinausschiebung nicht fruchteten, General Staveley um Einexer-
cirung chinesischer Soldaten nach englischem Muster bat. In der
That bedrohten damals die Rebellen von San-tun ernstlich die
Hauptstadt.

In die Garnison, welche neben der Miliz aus 10,000 Polizei-
Soldaten und etwa 70,000 Mann "Bannermännern" bestehen sollte,
schienen die Behörden in Pe-kin wenig Vertrauen zu setzen; und
doch bilden letztere den Kern des Heeres, die eigentliche Haus-
macht der Mandschu-Kaiser. Die Krieger dieser Streitmacht sind
theils Mandschu-, theils mongolische Tartaren, theils Han-kiu,
Abkömmlinge solcher Chinesen, welche bei der grossen Umwälzung
im 17. Jahrhundert gegen die Min gestritten haben. Nach Notizen
des Herrn Wade ist jede dieser Nationalitäten unter 8 Banner
geordnet, deren es also im Ganzen 24 giebt. Jedes Banner steht
unter einem Tu-tun oder General-Capitän, der zugleich als bürger-
liche und Militär-Behörde fungirt. Nicht alle Bannerleute sind Sol-
daten; diejenigen aber, welche weder im Civil- noch im Militär-
dienst angestellt sind, beziehen vom Staate kein Gehalt, sie müssten
denn den drei vornehmsten Bannern angehören. Die beiden ersten
-- gelb gerandet und ganz gelb, wohnen in Pe-kin nördlich von
der Gelben Stadt, die beiden weissen östlich, die rothen westlich,
die blauen südlich davon. An die 24 Banner scheint der Grund
und Boden der Hauptstadt nach der Einnahme ausgethan worden
zu sein. Ihr Stand ist erblich; sie bilden eine Art Adel, dessen
Mitglieder im Civil- und Militärdienst stark bevorzugt werden. --
Streng gesondert von dieser Hausmacht ist die Armee der "Grünen
Standarte", in welcher nur Chinesen dienen.

IV. 10

XVII. Garnison von Pe-kiṅ.
gewann er bei Pa-li-kao solchen Respect, dass er jede Erneuung
des Kampfes ganz offen für thöricht erklärte. Aehnlich muss
Saṅ-ko-lin-sin nach dem Tage von Tšaṅ-kia-wan gedacht haben;
beide Feldherren vermieden bekanntlich jedes fernere Treffen. —
Wie sehr die Ansichten der Chinesen seit dem Herbst 1860, — da
die temporäre Besetzung von Tien-tsin noch als unerträglich
schmachvoll und dem Throne gefährlich vor allen Bestimmungen
des Friedensvertrages angefochten wurde, — sich änderten, beweist
der Umstand, dass im Herbst 1861 die kaiserliche Regierung der
Räumung von Tien-tsin und den Ta-ku-Forts mit der äussersten
Besorgniss entgegensah, und dass sie, als ihre Bitten um deren
Hinausschiebung nicht fruchteten, General Staveley um Einexer-
cirung chinesischer Soldaten nach englischem Muster bat. In der
That bedrohten damals die Rebellen von Šan-tuṅ ernstlich die
Hauptstadt.

In die Garnison, welche neben der Miliz aus 10,000 Polizei-
Soldaten und etwa 70,000 Mann »Bannermännern« bestehen sollte,
schienen die Behörden in Pe-kiṅ wenig Vertrauen zu setzen; und
doch bilden letztere den Kern des Heeres, die eigentliche Haus-
macht der Mandschu-Kaiser. Die Krieger dieser Streitmacht sind
theils Mandschu-, theils mongolische Tartaren, theils Han-kiu,
Abkömmlinge solcher Chinesen, welche bei der grossen Umwälzung
im 17. Jahrhundert gegen die Miṅ gestritten haben. Nach Notizen
des Herrn Wade ist jede dieser Nationalitäten unter 8 Banner
geordnet, deren es also im Ganzen 24 giebt. Jedes Banner steht
unter einem Tu-tuṅ oder General-Capitän, der zugleich als bürger-
liche und Militär-Behörde fungirt. Nicht alle Bannerleute sind Sol-
daten; diejenigen aber, welche weder im Civil- noch im Militär-
dienst angestellt sind, beziehen vom Staate kein Gehalt, sie müssten
denn den drei vornehmsten Bannern angehören. Die beiden ersten
— gelb gerandet und ganz gelb, wohnen in Pe-kiṅ nördlich von
der Gelben Stadt, die beiden weissen östlich, die rothen westlich,
die blauen südlich davon. An die 24 Banner scheint der Grund
und Boden der Hauptstadt nach der Einnahme ausgethan worden
zu sein. Ihr Stand ist erblich; sie bilden eine Art Adel, dessen
Mitglieder im Civil- und Militärdienst stark bevorzugt werden. —
Streng gesondert von dieser Hausmacht ist die Armee der »Grünen
Standarte«, in welcher nur Chinesen dienen.

IV. 10
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[145/0159] XVII. Garnison von Pe-kiṅ. gewann er bei Pa-li-kao solchen Respect, dass er jede Erneuung des Kampfes ganz offen für thöricht erklärte. Aehnlich muss Saṅ-ko-lin-sin nach dem Tage von Tšaṅ-kia-wan gedacht haben; beide Feldherren vermieden bekanntlich jedes fernere Treffen. — Wie sehr die Ansichten der Chinesen seit dem Herbst 1860, — da die temporäre Besetzung von Tien-tsin noch als unerträglich schmachvoll und dem Throne gefährlich vor allen Bestimmungen des Friedensvertrages angefochten wurde, — sich änderten, beweist der Umstand, dass im Herbst 1861 die kaiserliche Regierung der Räumung von Tien-tsin und den Ta-ku-Forts mit der äussersten Besorgniss entgegensah, und dass sie, als ihre Bitten um deren Hinausschiebung nicht fruchteten, General Staveley um Einexer- cirung chinesischer Soldaten nach englischem Muster bat. In der That bedrohten damals die Rebellen von Šan-tuṅ ernstlich die Hauptstadt. In die Garnison, welche neben der Miliz aus 10,000 Polizei- Soldaten und etwa 70,000 Mann »Bannermännern« bestehen sollte, schienen die Behörden in Pe-kiṅ wenig Vertrauen zu setzen; und doch bilden letztere den Kern des Heeres, die eigentliche Haus- macht der Mandschu-Kaiser. Die Krieger dieser Streitmacht sind theils Mandschu-, theils mongolische Tartaren, theils Han-kiu, Abkömmlinge solcher Chinesen, welche bei der grossen Umwälzung im 17. Jahrhundert gegen die Miṅ gestritten haben. Nach Notizen des Herrn Wade ist jede dieser Nationalitäten unter 8 Banner geordnet, deren es also im Ganzen 24 giebt. Jedes Banner steht unter einem Tu-tuṅ oder General-Capitän, der zugleich als bürger- liche und Militär-Behörde fungirt. Nicht alle Bannerleute sind Sol- daten; diejenigen aber, welche weder im Civil- noch im Militär- dienst angestellt sind, beziehen vom Staate kein Gehalt, sie müssten denn den drei vornehmsten Bannern angehören. Die beiden ersten — gelb gerandet und ganz gelb, wohnen in Pe-kiṅ nördlich von der Gelben Stadt, die beiden weissen östlich, die rothen westlich, die blauen südlich davon. An die 24 Banner scheint der Grund und Boden der Hauptstadt nach der Einnahme ausgethan worden zu sein. Ihr Stand ist erblich; sie bilden eine Art Adel, dessen Mitglieder im Civil- und Militärdienst stark bevorzugt werden. — Streng gesondert von dieser Hausmacht ist die Armee der »Grünen Standarte«, in welcher nur Chinesen dienen. IV. 10

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Zitationshilfe: Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien04_1873/159>, abgerufen am 23.11.2024.