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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873.

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Kriegszustand.
der letzteren erschlagen. Die Behörden schoben die ganze Schuld
den Engländern zu und verlangten in der hergebrachten Weise die
Auslieferung eines Matrosen. Als dem nicht entsprochen wurde,
rückte Lin mit 2000 Mann gegen Macao und verlangte, dass das
englische Handelsgeschwader in den Fluss einliefe. Er liess auch
alle chinesischen Dienstboten aus der Stadt entfernen und die Zu-
fuhr abschneiden; der portugiesische Gouverneur erklärte sich un-
fähig, die englischen Unterthanen zu schützen. Um dieselbe Zeit
traf das erste von den Kriegsschiffen vor dem Perl-Flusse ein, um
welche Elliot den General-Gouverneur von Indien ersucht hatte.
Der Commandant des Volage bot sofort dem Gouverneur von Macao
Unterstützung zur Sicherung seiner Unabhängigkeit an; dieser
antwortete ablehnend, er glaube sich zu strenger Neutralität ver-
bunden. Sämmtliche Engländer verfügten sich nun an Bord der
vor Hong-kong ankernden Schiffe.

In den folgenden Wochen kam es in den Gewässern um
Hong-kong mehrfach zu blutigen Reibungen und Seegefechten. Chi-
nesen überfielen kleine englische Fahrzeuge und mordeten die Be-
satzung; englische Boote griffen die Zufuhr abschneidende Kriegs-
Dschunken an; so bildete sich allmälich ein Kriegszustand aus, ohne
dass der Krieg erklärt war. Ende October zeigte sich noch
eine Aussicht der friedlichen Lösung. Lin musste auf jede Weise
die Fortsetzung des erlaubten Handels wünschen, dessen Ausfall
in Kan-ton lebhaft gefühlt wurde. Er verständigte sich mit Elliot
dahin, dass bis auf Weiteres der Handelsverkehr ausserhalb der
Bocca Tigris erlaubt würde. Die englischen Kaufleute richteten
sich wieder in Macao ein, und die Schiffe löschten ihre Ladungen
bei Tsuen-pi. Elliot hatte sich bei diesem Abkommen ausdrück-
lich gegen Unterzeichnung jenes Reverses und Auslieferung eines
englischen Seemannes verwahrt, auf welche die Chinesen immer
noch bestanden, und es wäre bei dauernder Eintracht und Zähig-
keit vielleicht zu vollem Ausgleich gekommen; aber ein britischer
Schiffseigner lief, von Singapore kommend, ohne Hong-kong zu
berühren, direct in den Perl-Fluss ein, unterzeichnete an der Bocca
Tigris
den verrufenen Revers und erhielt sofort die Erlaubniss nach
Wam-poa zu gehen. Da trat Lin von dem getroffenen Abkommen
zurück und verlangte unter Androhung von Gewalt, dass die ganze
englische Handelsflotte unter denselben Bedingungen in den Fluss ein-
laufe oder binnen drei Tagen die chinesischen Gewässer verlasse.

Kriegszustand.
der letzteren erschlagen. Die Behörden schoben die ganze Schuld
den Engländern zu und verlangten in der hergebrachten Weise die
Auslieferung eines Matrosen. Als dem nicht entsprochen wurde,
rückte Lin mit 2000 Mann gegen Macao und verlangte, dass das
englische Handelsgeschwader in den Fluss einliefe. Er liess auch
alle chinesischen Dienstboten aus der Stadt entfernen und die Zu-
fuhr abschneiden; der portugiesische Gouverneur erklärte sich un-
fähig, die englischen Unterthanen zu schützen. Um dieselbe Zeit
traf das erste von den Kriegsschiffen vor dem Perl-Flusse ein, um
welche Elliot den General-Gouverneur von Indien ersucht hatte.
Der Commandant des Volage bot sofort dem Gouverneur von Macao
Unterstützung zur Sicherung seiner Unabhängigkeit an; dieser
antwortete ablehnend, er glaube sich zu strenger Neutralität ver-
bunden. Sämmtliche Engländer verfügten sich nun an Bord der
vor Hong-kong ankernden Schiffe.

In den folgenden Wochen kam es in den Gewässern um
Hong-kong mehrfach zu blutigen Reibungen und Seegefechten. Chi-
nesen überfielen kleine englische Fahrzeuge und mordeten die Be-
satzung; englische Boote griffen die Zufuhr abschneidende Kriegs-
Dschunken an; so bildete sich allmälich ein Kriegszustand aus, ohne
dass der Krieg erklärt war. Ende October zeigte sich noch
eine Aussicht der friedlichen Lösung. Lin musste auf jede Weise
die Fortsetzung des erlaubten Handels wünschen, dessen Ausfall
in Kan-ton lebhaft gefühlt wurde. Er verständigte sich mit Elliot
dahin, dass bis auf Weiteres der Handelsverkehr ausserhalb der
Bocca Tigris erlaubt würde. Die englischen Kaufleute richteten
sich wieder in Macao ein, und die Schiffe löschten ihre Ladungen
bei Tšuen-pi. Elliot hatte sich bei diesem Abkommen ausdrück-
lich gegen Unterzeichnung jenes Reverses und Auslieferung eines
englischen Seemannes verwahrt, auf welche die Chinesen immer
noch bestanden, und es wäre bei dauernder Eintracht und Zähig-
keit vielleicht zu vollem Ausgleich gekommen; aber ein britischer
Schiffseigner lief, von Singapore kommend, ohne Hong-kong zu
berühren, direct in den Perl-Fluss ein, unterzeichnete an der Bocca
Tigris
den verrufenen Revers und erhielt sofort die Erlaubniss nach
Wam-poa zu gehen. Da trat Lin von dem getroffenen Abkommen
zurück und verlangte unter Androhung von Gewalt, dass die ganze
englische Handelsflotte unter denselben Bedingungen in den Fluss ein-
laufe oder binnen drei Tagen die chinesischen Gewässer verlasse.

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[72/0094] Kriegszustand. der letzteren erschlagen. Die Behörden schoben die ganze Schuld den Engländern zu und verlangten in der hergebrachten Weise die Auslieferung eines Matrosen. Als dem nicht entsprochen wurde, rückte Lin mit 2000 Mann gegen Macao und verlangte, dass das englische Handelsgeschwader in den Fluss einliefe. Er liess auch alle chinesischen Dienstboten aus der Stadt entfernen und die Zu- fuhr abschneiden; der portugiesische Gouverneur erklärte sich un- fähig, die englischen Unterthanen zu schützen. Um dieselbe Zeit traf das erste von den Kriegsschiffen vor dem Perl-Flusse ein, um welche Elliot den General-Gouverneur von Indien ersucht hatte. Der Commandant des Volage bot sofort dem Gouverneur von Macao Unterstützung zur Sicherung seiner Unabhängigkeit an; dieser antwortete ablehnend, er glaube sich zu strenger Neutralität ver- bunden. Sämmtliche Engländer verfügten sich nun an Bord der vor Hong-kong ankernden Schiffe. In den folgenden Wochen kam es in den Gewässern um Hong-kong mehrfach zu blutigen Reibungen und Seegefechten. Chi- nesen überfielen kleine englische Fahrzeuge und mordeten die Be- satzung; englische Boote griffen die Zufuhr abschneidende Kriegs- Dschunken an; so bildete sich allmälich ein Kriegszustand aus, ohne dass der Krieg erklärt war. Ende October zeigte sich noch eine Aussicht der friedlichen Lösung. Lin musste auf jede Weise die Fortsetzung des erlaubten Handels wünschen, dessen Ausfall in Kan-ton lebhaft gefühlt wurde. Er verständigte sich mit Elliot dahin, dass bis auf Weiteres der Handelsverkehr ausserhalb der Bocca Tigris erlaubt würde. Die englischen Kaufleute richteten sich wieder in Macao ein, und die Schiffe löschten ihre Ladungen bei Tšuen-pi. Elliot hatte sich bei diesem Abkommen ausdrück- lich gegen Unterzeichnung jenes Reverses und Auslieferung eines englischen Seemannes verwahrt, auf welche die Chinesen immer noch bestanden, und es wäre bei dauernder Eintracht und Zähig- keit vielleicht zu vollem Ausgleich gekommen; aber ein britischer Schiffseigner lief, von Singapore kommend, ohne Hong-kong zu berühren, direct in den Perl-Fluss ein, unterzeichnete an der Bocca Tigris den verrufenen Revers und erhielt sofort die Erlaubniss nach Wam-poa zu gehen. Da trat Lin von dem getroffenen Abkommen zurück und verlangte unter Androhung von Gewalt, dass die ganze englische Handelsflotte unter denselben Bedingungen in den Fluss ein- laufe oder binnen drei Tagen die chinesischen Gewässer verlasse.

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien03_1873/94>, abgerufen am 27.11.2024.