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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873.

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Zunahme des Opiumhandels.

In Kan-ton wurden alle chinesischen Kaufleute und Laden-
besitzer, die ohne ausdrückliche Ermächtigung mit den Fremden
gehandelt hatten28), entfernt, ihre Strassen gesperrt, die Factoreien
mit Palisaden eingefriedigt, Terrassen eingerissen, und die Fremden
gleichsam zu Gefangenen in ihren eigenen Wohnungen gemacht.
Die Americaner liessen diese Beschränkungen über sich ergehen;
die Engländer berührten sie nicht, denn Elliot hatte seine Schutz-
befohlenen angewiesen, sich ausserhalb des Perl-Flusses zu begeben,
wenn sie nicht auf eigene Gefahr in Kan-ton bleiben wollten. Er
verbot auch die Unterzeichnung eines von allen in die Fluss-
mündung einlaufenden Schiffen geforderten, mit jenem ersten fast
identischen Reverses, durch welchen die Fremden ihr Leben und
Eigenthum in die Hand der chinesischen Justiz und der kaiserlichen
Beamten geben sollten. Lin verweilte noch in Kan-ton, denn seine
Aufgabe war nicht eher gelöst, bis nicht nur der Schleichhandel
ausgerottet, sondern auch der gesetzliche Handel in seine alte Bahn
zurückgeführt wäre. Sein dringendes Verlangen danach spricht
aus mehreren an die Engländer gerichteten Aeusserungen. Aber
auch auf den Schleichhandel übte seine Strenge nicht die erwartete
Wirkung. Trotz der auf den Gebrauch des Opium gesetzten Todes-
strafe stieg die Nachfrage in unerhörtem Maasse. Der Schleich-
handel wendete sich nach den Küsten östlich von Kan-ton, wo
ein Labyrinth von Inseln und Buchten jede wirksame Beaufsichti-
gung vereitelt. Mit dem Preise des Opium steigerte sich auch die
Anfuhr aus Indien; der Schleichhandel artete in die wildeste See-
räuberei aus, welcher die englische Regierung ruhig zusah. Es ist
kaum zu verwundern, wenn die Chinesen, ohnmächtig, diesem Un-
wesen zu steuern, als Repressalie den gesetzlichen Handel der
Fremden drückten.

Die meisten Engländer hatten sich in Macao nieder-
gelassen29); auf der sicheren Rhede von Hong-kong, einer damals
fast unbewohnten Felsen-Insel, ankerte das zahlreiche Geschwader
der englischen Kauffahrtei-Schiffe. Dort wurde in einem Zusammen-
stoss britischer und americanischer Matrosen mit Chinesen einer

28) Die fremden Kaufleute, welche in ausgedehnter Geschäftsverbindung mit jenen
standen, kamen dadurch sehr zu Schaden.
29) Die Portugiesen hatten alle ihr Opium nach Manila eingeschifft; Lin bestand
aber auf Herausgabe eines gewissen Quantums und drohte im Weigerungsfalle die
Festungswerke von Macao besetzen zu lassen.
Zunahme des Opiumhandels.

In Kan-ton wurden alle chinesischen Kaufleute und Laden-
besitzer, die ohne ausdrückliche Ermächtigung mit den Fremden
gehandelt hatten28), entfernt, ihre Strassen gesperrt, die Factoreien
mit Palisaden eingefriedigt, Terrassen eingerissen, und die Fremden
gleichsam zu Gefangenen in ihren eigenen Wohnungen gemacht.
Die Americaner liessen diese Beschränkungen über sich ergehen;
die Engländer berührten sie nicht, denn Elliot hatte seine Schutz-
befohlenen angewiesen, sich ausserhalb des Perl-Flusses zu begeben,
wenn sie nicht auf eigene Gefahr in Kan-ton bleiben wollten. Er
verbot auch die Unterzeichnung eines von allen in die Fluss-
mündung einlaufenden Schiffen geforderten, mit jenem ersten fast
identischen Reverses, durch welchen die Fremden ihr Leben und
Eigenthum in die Hand der chinesischen Justiz und der kaiserlichen
Beamten geben sollten. Lin verweilte noch in Kan-ton, denn seine
Aufgabe war nicht eher gelöst, bis nicht nur der Schleichhandel
ausgerottet, sondern auch der gesetzliche Handel in seine alte Bahn
zurückgeführt wäre. Sein dringendes Verlangen danach spricht
aus mehreren an die Engländer gerichteten Aeusserungen. Aber
auch auf den Schleichhandel übte seine Strenge nicht die erwartete
Wirkung. Trotz der auf den Gebrauch des Opium gesetzten Todes-
strafe stieg die Nachfrage in unerhörtem Maasse. Der Schleich-
handel wendete sich nach den Küsten östlich von Kan-ton, wo
ein Labyrinth von Inseln und Buchten jede wirksame Beaufsichti-
gung vereitelt. Mit dem Preise des Opium steigerte sich auch die
Anfuhr aus Indien; der Schleichhandel artete in die wildeste See-
räuberei aus, welcher die englische Regierung ruhig zusah. Es ist
kaum zu verwundern, wenn die Chinesen, ohnmächtig, diesem Un-
wesen zu steuern, als Repressalie den gesetzlichen Handel der
Fremden drückten.

Die meisten Engländer hatten sich in Macao nieder-
gelassen29); auf der sicheren Rhede von Hong-kong, einer damals
fast unbewohnten Felsen-Insel, ankerte das zahlreiche Geschwader
der englischen Kauffahrtei-Schiffe. Dort wurde in einem Zusammen-
stoss britischer und americanischer Matrosen mit Chinesen einer

28) Die fremden Kaufleute, welche in ausgedehnter Geschäftsverbindung mit jenen
standen, kamen dadurch sehr zu Schaden.
29) Die Portugiesen hatten alle ihr Opium nach Manila eingeschifft; Lin bestand
aber auf Herausgabe eines gewissen Quantums und drohte im Weigerungsfalle die
Festungswerke von Macao besetzen zu lassen.
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[71/0093] Zunahme des Opiumhandels. In Kan-ton wurden alle chinesischen Kaufleute und Laden- besitzer, die ohne ausdrückliche Ermächtigung mit den Fremden gehandelt hatten 28), entfernt, ihre Strassen gesperrt, die Factoreien mit Palisaden eingefriedigt, Terrassen eingerissen, und die Fremden gleichsam zu Gefangenen in ihren eigenen Wohnungen gemacht. Die Americaner liessen diese Beschränkungen über sich ergehen; die Engländer berührten sie nicht, denn Elliot hatte seine Schutz- befohlenen angewiesen, sich ausserhalb des Perl-Flusses zu begeben, wenn sie nicht auf eigene Gefahr in Kan-ton bleiben wollten. Er verbot auch die Unterzeichnung eines von allen in die Fluss- mündung einlaufenden Schiffen geforderten, mit jenem ersten fast identischen Reverses, durch welchen die Fremden ihr Leben und Eigenthum in die Hand der chinesischen Justiz und der kaiserlichen Beamten geben sollten. Lin verweilte noch in Kan-ton, denn seine Aufgabe war nicht eher gelöst, bis nicht nur der Schleichhandel ausgerottet, sondern auch der gesetzliche Handel in seine alte Bahn zurückgeführt wäre. Sein dringendes Verlangen danach spricht aus mehreren an die Engländer gerichteten Aeusserungen. Aber auch auf den Schleichhandel übte seine Strenge nicht die erwartete Wirkung. Trotz der auf den Gebrauch des Opium gesetzten Todes- strafe stieg die Nachfrage in unerhörtem Maasse. Der Schleich- handel wendete sich nach den Küsten östlich von Kan-ton, wo ein Labyrinth von Inseln und Buchten jede wirksame Beaufsichti- gung vereitelt. Mit dem Preise des Opium steigerte sich auch die Anfuhr aus Indien; der Schleichhandel artete in die wildeste See- räuberei aus, welcher die englische Regierung ruhig zusah. Es ist kaum zu verwundern, wenn die Chinesen, ohnmächtig, diesem Un- wesen zu steuern, als Repressalie den gesetzlichen Handel der Fremden drückten. Die meisten Engländer hatten sich in Macao nieder- gelassen 29); auf der sicheren Rhede von Hong-kong, einer damals fast unbewohnten Felsen-Insel, ankerte das zahlreiche Geschwader der englischen Kauffahrtei-Schiffe. Dort wurde in einem Zusammen- stoss britischer und americanischer Matrosen mit Chinesen einer 28) Die fremden Kaufleute, welche in ausgedehnter Geschäftsverbindung mit jenen standen, kamen dadurch sehr zu Schaden. 29) Die Portugiesen hatten alle ihr Opium nach Manila eingeschifft; Lin bestand aber auf Herausgabe eines gewissen Quantums und drohte im Weigerungsfalle die Festungswerke von Macao besetzen zu lassen.

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien03_1873/93>, abgerufen am 27.04.2024.