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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873.

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Todtschlag in Kan-ton.
die Einrichtungen waren für die Mandarinen und Hon-Kaufleute
zu vortheilhaft, um so leicht aufgegeben zu werden, und die Frem-
den müssen trotz denselben grossen Gewinn aus dem Handel ge-
zogen haben.

Der Vorfall, welcher 1807 die Beziehungen trübte, war an1807.
sich unerheblich, aber bezeichnend für die Verhältnisse durch
seinen Ausgang. Matrosen vom englischen Schiffe Neptune hatten
sich in einem Schnapsladen der an die Factoreien grenzenden
Gassen betrunken und eine Schlägerei mit Chinesen angefangen --
das war ein alltägliches Ereigniss. Die Officiere des Neptune sam-
melten ihre Leute und brachten sie in die englische Factorei; der
chinesische Pöbel aber begann die verrammelten Thore mit Steinen
zu bombardiren; die aufgeregten Seeleute brachen durch Schloss
und Riegel und fielen über den Pöbel her, der schnell auseinander-
stob. Dabei erhielt ein Chinese einen Hieb über den Schädel und
starb daran. -- Bei der an Bord des Neptune angestellten Unter-
suchung konnte der Thäter nicht ermittelt werden; die Mandarinen
verlangten aber peremtorisch dessen Auslieferung und sperrten den
Handel. Ihrer Forderung, dass die Untersuchung in der chine-
sischen Stadt geführt werde, entsprach man nicht, sondern
verstand sich nur dazu, das Verhör in der englischen Factorei vor
dem Ausschuss-Comite derselben und den chinesischen Richtern
in Gegenwart des Capitän Rolles vom englischen Kriegsschiffe Lion
stattfinden zu lassen. Seesoldaten mit aufgestecktem Bajonet hielten
dabei Wache. In dem Tumult waren so viele Streiche gefallen, dass
der des Todtschlages schuldige Matrose sich nicht ermitteln liess;
um die Chinesen aber zu beschwichtigen, beschloss das Comite,
einen, der besonders heftig um sich gehauen hatte, in Gewahrsam
zu behalten. Es wurde abgemacht, dass eine Geldbusse an die
Verwandten des Gefallenen erlegt werden solle. Als aber das
Ausschuss-Comite zur gewohnten Jahreszeit nach Macao über-
siedeln wollte, verlangten die Mandarinen, dass der verhaftete
Matrose in Kan-ton zurückbleibe. Nun erklärte Capitän Rolles,
er werde denselben an Bord seines Schiffes nehmen; die Man-
darinen fügten sich nach einigem Sträuben. Sie waren, wie bei
jedem ernsthaften Widerstande, in arger Verlegenheit. Nach
Pe-kin mussten derartige Vorfälle berichtet werden; den Handel
wollte man nicht missen; so erfanden sie denn eine Erzählung, die
den Angeklagten, dessen sie nicht habhaft werden konnten, schuldlos

Todtschlag in Kan-ton.
die Einrichtungen waren für die Mandarinen und Hoṅ-Kaufleute
zu vortheilhaft, um so leicht aufgegeben zu werden, und die Frem-
den müssen trotz denselben grossen Gewinn aus dem Handel ge-
zogen haben.

Der Vorfall, welcher 1807 die Beziehungen trübte, war an1807.
sich unerheblich, aber bezeichnend für die Verhältnisse durch
seinen Ausgang. Matrosen vom englischen Schiffe Neptune hatten
sich in einem Schnapsladen der an die Factoreien grenzenden
Gassen betrunken und eine Schlägerei mit Chinesen angefangen —
das war ein alltägliches Ereigniss. Die Officiere des Neptune sam-
melten ihre Leute und brachten sie in die englische Factorei; der
chinesische Pöbel aber begann die verrammelten Thore mit Steinen
zu bombardiren; die aufgeregten Seeleute brachen durch Schloss
und Riegel und fielen über den Pöbel her, der schnell auseinander-
stob. Dabei erhielt ein Chinese einen Hieb über den Schädel und
starb daran. — Bei der an Bord des Neptune angestellten Unter-
suchung konnte der Thäter nicht ermittelt werden; die Mandarinen
verlangten aber peremtorisch dessen Auslieferung und sperrten den
Handel. Ihrer Forderung, dass die Untersuchung in der chine-
sischen Stadt geführt werde, entsprach man nicht, sondern
verstand sich nur dazu, das Verhör in der englischen Factorei vor
dem Ausschuss-Comité derselben und den chinesischen Richtern
in Gegenwart des Capitän Rolles vom englischen Kriegsschiffe Lion
stattfinden zu lassen. Seesoldaten mit aufgestecktem Bajonet hielten
dabei Wache. In dem Tumult waren so viele Streiche gefallen, dass
der des Todtschlages schuldige Matrose sich nicht ermitteln liess;
um die Chinesen aber zu beschwichtigen, beschloss das Comité,
einen, der besonders heftig um sich gehauen hatte, in Gewahrsam
zu behalten. Es wurde abgemacht, dass eine Geldbusse an die
Verwandten des Gefallenen erlegt werden solle. Als aber das
Ausschuss-Comité zur gewohnten Jahreszeit nach Macao über-
siedeln wollte, verlangten die Mandarinen, dass der verhaftete
Matrose in Kan-ton zurückbleibe. Nun erklärte Capitän Rolles,
er werde denselben an Bord seines Schiffes nehmen; die Man-
darinen fügten sich nach einigem Sträuben. Sie waren, wie bei
jedem ernsthaften Widerstande, in arger Verlegenheit. Nach
Pe-kiṅ mussten derartige Vorfälle berichtet werden; den Handel
wollte man nicht missen; so erfanden sie denn eine Erzählung, die
den Angeklagten, dessen sie nicht habhaft werden konnten, schuldlos

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[41/0063] Todtschlag in Kan-ton. die Einrichtungen waren für die Mandarinen und Hoṅ-Kaufleute zu vortheilhaft, um so leicht aufgegeben zu werden, und die Frem- den müssen trotz denselben grossen Gewinn aus dem Handel ge- zogen haben. Der Vorfall, welcher 1807 die Beziehungen trübte, war an sich unerheblich, aber bezeichnend für die Verhältnisse durch seinen Ausgang. Matrosen vom englischen Schiffe Neptune hatten sich in einem Schnapsladen der an die Factoreien grenzenden Gassen betrunken und eine Schlägerei mit Chinesen angefangen — das war ein alltägliches Ereigniss. Die Officiere des Neptune sam- melten ihre Leute und brachten sie in die englische Factorei; der chinesische Pöbel aber begann die verrammelten Thore mit Steinen zu bombardiren; die aufgeregten Seeleute brachen durch Schloss und Riegel und fielen über den Pöbel her, der schnell auseinander- stob. Dabei erhielt ein Chinese einen Hieb über den Schädel und starb daran. — Bei der an Bord des Neptune angestellten Unter- suchung konnte der Thäter nicht ermittelt werden; die Mandarinen verlangten aber peremtorisch dessen Auslieferung und sperrten den Handel. Ihrer Forderung, dass die Untersuchung in der chine- sischen Stadt geführt werde, entsprach man nicht, sondern verstand sich nur dazu, das Verhör in der englischen Factorei vor dem Ausschuss-Comité derselben und den chinesischen Richtern in Gegenwart des Capitän Rolles vom englischen Kriegsschiffe Lion stattfinden zu lassen. Seesoldaten mit aufgestecktem Bajonet hielten dabei Wache. In dem Tumult waren so viele Streiche gefallen, dass der des Todtschlages schuldige Matrose sich nicht ermitteln liess; um die Chinesen aber zu beschwichtigen, beschloss das Comité, einen, der besonders heftig um sich gehauen hatte, in Gewahrsam zu behalten. Es wurde abgemacht, dass eine Geldbusse an die Verwandten des Gefallenen erlegt werden solle. Als aber das Ausschuss-Comité zur gewohnten Jahreszeit nach Macao über- siedeln wollte, verlangten die Mandarinen, dass der verhaftete Matrose in Kan-ton zurückbleibe. Nun erklärte Capitän Rolles, er werde denselben an Bord seines Schiffes nehmen; die Man- darinen fügten sich nach einigem Sträuben. Sie waren, wie bei jedem ernsthaften Widerstande, in arger Verlegenheit. Nach Pe-kiṅ mussten derartige Vorfälle berichtet werden; den Handel wollte man nicht missen; so erfanden sie denn eine Erzählung, die den Angeklagten, dessen sie nicht habhaft werden konnten, schuldlos 1807.

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien03_1873/63>, abgerufen am 28.04.2024.