Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873.

Bild:
<< vorherige Seite

Mr. Roberts in Nan-kin. XIII.
muss mit Herrn Roberts schwierige Fälle untersuchen und zu end-
gültiger Entscheidung an mich berichten. Er soll Unter-Staatssecretär
sein, und der Titel auf seinem Siegel sei Generalissimus der neun
Thore, Richter für auswärtige Angelegenheiten unter der himmlischen
Dynastie, die da ist das Reich Gottes. Die Beamten des Ministeriums
der Staatsämter sollen die Siegel anfertigen für den Minister des Aus-
wärtigen, die Richter und die Consuln."

Dessen bedurfte es nun wohl nicht; denn in Nan-kin, -
das die kaiserliche Regierung im Vertrage von Tien-tsin freigegeben
hatte, -- war unter des Tien-wan-Herrschaft aller Handel ver-
boten. Mit dem "Staatssecretär" Roberts scheinen die Engländer
kaum in Berührung gekommen zu sein; sie hörten, dass der Tien-
wan
ihn mit vier Frauen beglücken wolle, aber zuweilen ohne
Subsistenzmittel lasse. Trotzdem blieb der Baptisten-Missionar
noch bis Januar 1862 in Nan-kin. Folgendes Schreiben beleuchtet
seine Stellung und den Grund seines Scheidens:

"Da ich 1847 Religionslehrer des Hun-siu-tsuen gewesen war,
und glaubte, dass aus seiner Erhebung dem Volke in religiöser, com-
mercieller und politischer Beziehung Gutes erwachsen werde, so bin
ich bis jetzt ein Freund seiner revolutionären Bestrebungen gewesen
und habe sie mit Wort und That unterstützt, so weit ein Missionar
das füglich konnte, ohne seine höhere Eigenschaft als Gesandter Christi
zu verletzen. Nachdem ich aber funfzehn Jahre unter ihnen gelebt
und ihre politischen, commerciellen und religiösen Maassregeln genau
beobachtet, habe ich ein ganz neues Blatt aufgeschlagen, und bin, ich
meine aus guten Gründen, denselben jetzt eben so abhold, als ich
ihnen jemals günstig war. Nicht, dass ich persönlich etwas gegen
Hun-siu-tsuen hätte; er war immer ausnehmend gütig gegen mich.
Aber ich glaube, dass er irrsinnig und ganz unfähig ist, ohne organi-
sirte Regierung zu herrschen; auch ist er mit seinen Kuli-Königen
nicht im Stande, eine Staatsverwaltung zu organisiren, die auch nur
so vortheilhaft für das Volk wäre, wie die alte kaiserliche Regierung.
Er ist heftiger Gemüthsart und lässt seinen Zorn schwer auf das Volk
fallen, indem er Mann und Weib "für ein Wort zu Verbrechern
macht" und augenblicks hinmorden lässt ohne Richter und Gericht.
Er ist dem Handel abgeneigt und liess, seitdem ich hier bin, über ein
Dutzend seiner eigenen Leute morden für kein anderes Verbrechen,
als dass sie in der Stadt Handel getrieben; auch wies er unbedingt
jeden Versuch von Fremden zurück, hier unter ihnen einen redlichen
Handelsverkehr einzurichten, sowohl innerhalb als ausserhalb der
Stadt. Jetzt zeigt sich, dass seine religiöse Toleranz und die Menge

Mr. Roberts in Nan-kiṅ. XIII.
muss mit Herrn Roberts schwierige Fälle untersuchen und zu end-
gültiger Entscheidung an mich berichten. Er soll Unter-Staatssecretär
sein, und der Titel auf seinem Siegel sei Generalissimus der neun
Thore, Richter für auswärtige Angelegenheiten unter der himmlischen
Dynastie, die da ist das Reich Gottes. Die Beamten des Ministeriums
der Staatsämter sollen die Siegel anfertigen für den Minister des Aus-
wärtigen, die Richter und die Consuln.«

Dessen bedurfte es nun wohl nicht; denn in Nan-kiṅ, ‒
das die kaiserliche Regierung im Vertrage von Tien-tsin freigegeben
hatte, — war unter des Tien-waṅ-Herrschaft aller Handel ver-
boten. Mit dem »Staatssecretär« Roberts scheinen die Engländer
kaum in Berührung gekommen zu sein; sie hörten, dass der Tien-
waṅ
ihn mit vier Frauen beglücken wolle, aber zuweilen ohne
Subsistenzmittel lasse. Trotzdem blieb der Baptisten-Missionar
noch bis Januar 1862 in Nan-kiṅ. Folgendes Schreiben beleuchtet
seine Stellung und den Grund seines Scheidens:

»Da ich 1847 Religionslehrer des Huṅ-siu-tsuen gewesen war,
und glaubte, dass aus seiner Erhebung dem Volke in religiöser, com-
mercieller und politischer Beziehung Gutes erwachsen werde, so bin
ich bis jetzt ein Freund seiner revolutionären Bestrebungen gewesen
und habe sie mit Wort und That unterstützt, so weit ein Missionar
das füglich konnte, ohne seine höhere Eigenschaft als Gesandter Christi
zu verletzen. Nachdem ich aber funfzehn Jahre unter ihnen gelebt
und ihre politischen, commerciellen und religiösen Maassregeln genau
beobachtet, habe ich ein ganz neues Blatt aufgeschlagen, und bin, ich
meine aus guten Gründen, denselben jetzt eben so abhold, als ich
ihnen jemals günstig war. Nicht, dass ich persönlich etwas gegen
Huṅ-siu-tsuen hätte; er war immer ausnehmend gütig gegen mich.
Aber ich glaube, dass er irrsinnig und ganz unfähig ist, ohne organi-
sirte Regierung zu herrschen; auch ist er mit seinen Kuli-Königen
nicht im Stande, eine Staatsverwaltung zu organisiren, die auch nur
so vortheilhaft für das Volk wäre, wie die alte kaiserliche Regierung.
Er ist heftiger Gemüthsart und lässt seinen Zorn schwer auf das Volk
fallen, indem er Mann und Weib »für ein Wort zu Verbrechern
macht« und augenblicks hinmorden lässt ohne Richter und Gericht.
Er ist dem Handel abgeneigt und liess, seitdem ich hier bin, über ein
Dutzend seiner eigenen Leute morden für kein anderes Verbrechen,
als dass sie in der Stadt Handel getrieben; auch wies er unbedingt
jeden Versuch von Fremden zurück, hier unter ihnen einen redlichen
Handelsverkehr einzurichten, sowohl innerhalb als ausserhalb der
Stadt. Jetzt zeigt sich, dass seine religiöse Toleranz und die Menge

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p>
            <pb facs="#f0438" n="416"/>
            <fw place="top" type="header">Mr. <persName ref="http://id.loc.gov/authorities/names/no2007052574">Roberts</persName> in <hi rendition="#k"><placeName>Nan-kin&#x0307;</placeName></hi>. XIII.</fw><lb/> <hi rendition="#et">muss mit Herrn <persName ref="http://id.loc.gov/authorities/names/no2007052574">Roberts</persName> schwierige Fälle untersuchen und zu end-<lb/>
gültiger Entscheidung an mich berichten. Er soll Unter-Staatssecretär<lb/>
sein, und der Titel auf seinem Siegel sei Generalissimus der neun<lb/>
Thore, Richter für auswärtige Angelegenheiten unter der himmlischen<lb/>
Dynastie, die da ist das Reich Gottes. Die Beamten des Ministeriums<lb/>
der Staatsämter sollen die Siegel anfertigen für den Minister des Aus-<lb/>
wärtigen, die Richter und die Consuln.«</hi> </p><lb/>
          <p>Dessen bedurfte es nun wohl nicht; denn in <hi rendition="#k"><placeName>Nan-kin&#x0307;</placeName></hi>, &#x2012;<lb/>
das die kaiserliche Regierung im Vertrage von <hi rendition="#k"><placeName>Tien-tsin</placeName></hi> freigegeben<lb/>
hatte, &#x2014; war unter des <hi rendition="#k">Tien-wan&#x0307;</hi>-Herrschaft aller Handel ver-<lb/>
boten. Mit dem »Staatssecretär« <persName ref="http://id.loc.gov/authorities/names/no2007052574">Roberts</persName> scheinen die Engländer<lb/>
kaum in Berührung gekommen zu sein; sie hörten, dass der <hi rendition="#k"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/118967266">Tien-<lb/>
wan&#x0307;</persName></hi> ihn mit vier Frauen beglücken wolle, aber zuweilen ohne<lb/>
Subsistenzmittel lasse. Trotzdem blieb der Baptisten-Missionar<lb/>
noch bis Januar 1862 in <hi rendition="#k"><placeName>Nan-kin&#x0307;</placeName></hi>. Folgendes Schreiben beleuchtet<lb/>
seine Stellung und den Grund seines Scheidens:</p><lb/>
          <p> <hi rendition="#et">»Da ich 1847 Religionslehrer des <hi rendition="#k"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/118967266">Hun&#x0307;-siu-tsuen</persName></hi> gewesen war,<lb/>
und glaubte, dass aus seiner Erhebung dem Volke in religiöser, com-<lb/>
mercieller und politischer Beziehung Gutes erwachsen werde, so bin<lb/>
ich bis jetzt ein Freund seiner revolutionären Bestrebungen gewesen<lb/>
und habe sie mit Wort und That unterstützt, so weit ein Missionar<lb/>
das füglich konnte, ohne seine höhere Eigenschaft als Gesandter <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118557513">Christi</persName><lb/>
zu verletzen. Nachdem ich aber funfzehn Jahre unter ihnen gelebt<lb/>
und ihre politischen, commerciellen und religiösen Maassregeln genau<lb/>
beobachtet, habe ich ein ganz neues Blatt aufgeschlagen, und bin, ich<lb/>
meine aus guten Gründen, denselben jetzt eben so abhold, als ich<lb/>
ihnen jemals günstig war. Nicht, dass ich persönlich etwas gegen<lb/><hi rendition="#k"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/118967266">Hun&#x0307;-siu-tsuen</persName></hi> hätte; er war immer ausnehmend gütig gegen mich.<lb/>
Aber ich glaube, dass er irrsinnig und ganz unfähig ist, ohne organi-<lb/>
sirte Regierung zu herrschen; auch ist er mit seinen Kuli-Königen<lb/>
nicht im Stande, eine Staatsverwaltung zu organisiren, die auch nur<lb/>
so vortheilhaft für das Volk wäre, wie die alte kaiserliche Regierung.<lb/>
Er ist heftiger Gemüthsart und lässt seinen Zorn schwer auf das Volk<lb/>
fallen, indem er Mann und Weib »für ein Wort zu Verbrechern<lb/>
macht« und augenblicks hinmorden lässt ohne Richter und Gericht.<lb/>
Er ist dem Handel abgeneigt und liess, seitdem ich hier bin, über ein<lb/>
Dutzend seiner eigenen Leute morden für kein anderes Verbrechen,<lb/>
als dass sie in der Stadt Handel getrieben; auch wies er unbedingt<lb/>
jeden Versuch von Fremden zurück, hier unter ihnen einen redlichen<lb/>
Handelsverkehr einzurichten, sowohl innerhalb als ausserhalb der<lb/>
Stadt. Jetzt zeigt sich, dass seine religiöse Toleranz und die Menge</hi><lb/>
          </p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[416/0438] Mr. Roberts in Nan-kiṅ. XIII. muss mit Herrn Roberts schwierige Fälle untersuchen und zu end- gültiger Entscheidung an mich berichten. Er soll Unter-Staatssecretär sein, und der Titel auf seinem Siegel sei Generalissimus der neun Thore, Richter für auswärtige Angelegenheiten unter der himmlischen Dynastie, die da ist das Reich Gottes. Die Beamten des Ministeriums der Staatsämter sollen die Siegel anfertigen für den Minister des Aus- wärtigen, die Richter und die Consuln.« Dessen bedurfte es nun wohl nicht; denn in Nan-kiṅ, ‒ das die kaiserliche Regierung im Vertrage von Tien-tsin freigegeben hatte, — war unter des Tien-waṅ-Herrschaft aller Handel ver- boten. Mit dem »Staatssecretär« Roberts scheinen die Engländer kaum in Berührung gekommen zu sein; sie hörten, dass der Tien- waṅ ihn mit vier Frauen beglücken wolle, aber zuweilen ohne Subsistenzmittel lasse. Trotzdem blieb der Baptisten-Missionar noch bis Januar 1862 in Nan-kiṅ. Folgendes Schreiben beleuchtet seine Stellung und den Grund seines Scheidens: »Da ich 1847 Religionslehrer des Huṅ-siu-tsuen gewesen war, und glaubte, dass aus seiner Erhebung dem Volke in religiöser, com- mercieller und politischer Beziehung Gutes erwachsen werde, so bin ich bis jetzt ein Freund seiner revolutionären Bestrebungen gewesen und habe sie mit Wort und That unterstützt, so weit ein Missionar das füglich konnte, ohne seine höhere Eigenschaft als Gesandter Christi zu verletzen. Nachdem ich aber funfzehn Jahre unter ihnen gelebt und ihre politischen, commerciellen und religiösen Maassregeln genau beobachtet, habe ich ein ganz neues Blatt aufgeschlagen, und bin, ich meine aus guten Gründen, denselben jetzt eben so abhold, als ich ihnen jemals günstig war. Nicht, dass ich persönlich etwas gegen Huṅ-siu-tsuen hätte; er war immer ausnehmend gütig gegen mich. Aber ich glaube, dass er irrsinnig und ganz unfähig ist, ohne organi- sirte Regierung zu herrschen; auch ist er mit seinen Kuli-Königen nicht im Stande, eine Staatsverwaltung zu organisiren, die auch nur so vortheilhaft für das Volk wäre, wie die alte kaiserliche Regierung. Er ist heftiger Gemüthsart und lässt seinen Zorn schwer auf das Volk fallen, indem er Mann und Weib »für ein Wort zu Verbrechern macht« und augenblicks hinmorden lässt ohne Richter und Gericht. Er ist dem Handel abgeneigt und liess, seitdem ich hier bin, über ein Dutzend seiner eigenen Leute morden für kein anderes Verbrechen, als dass sie in der Stadt Handel getrieben; auch wies er unbedingt jeden Versuch von Fremden zurück, hier unter ihnen einen redlichen Handelsverkehr einzurichten, sowohl innerhalb als ausserhalb der Stadt. Jetzt zeigt sich, dass seine religiöse Toleranz und die Menge

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien03_1873
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien03_1873/438
Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873, S. 416. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien03_1873/438>, abgerufen am 07.05.2024.