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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873.

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Politische Anschauungen der Chinesen.
sandten nach Pe-kin gingen, um feste Zugeständnisse zu erlangen:
keinem scheint eingefallen zu sein, dass jeder Vertrag bei den chi-
nesischen Herrschern das Bewusstsein der Gleichberechtigung an-
derer Souveräne voraussetzte, ein Bewusstsein, das ihnen nicht
durch reiche Geschenke und prächtige Aufzüge, sondern nur da-
durch einzupflanzen war, dass ihre Macht einmal angesichts der
Hauptstadt und des ganzen Reiches gebrochen, ihre Dynastie be-
droht wurde. Das geschah erst 1860. Alle früheren Gesandt-
schaften hatten gar keinen, die Kriege nur geringen Erfolg, gleich
localen Aufständen, die den Thron nicht bedrohten. Die Gesandten
wurden, mochten sie sich den von der chinesischen Etiquette ge-
forderten bedeutsamen Formen der Unterthänigkeit fügen oder nicht,
ohne jedes Zugeständniss eines Rechtes und höchstens mit gnädigen
Redensarten fortgeschickt, alle Verträge abgelehnt. Die Kriege
betrachtete man in Pe-kin als Rebellionen gegen die Statthalter; die
erzwungenen Verträge wurden nicht gehalten. Denn wer durfte dem
Willen des Himmelssohnes Gesetze vorschreiben? Der Uebergang
zu vertragsmässigen Beziehungen mit China war kaum ein anderer,
als der Uebergang vom Absolutismus zur Verfassung im Leben
europäischer Staaten; der Herrscher entäussert sich zu Gunsten des
Volkes eines Theiles der Rechte, welche seine Vorgänger durch
alle Zeitläufte besessen haben; das Volk, das früher rechtlos seinem
Willen unterworfen war, soll ihm nun in einem Vertragsverhält-
nisse gegenüberstehen. So entäussert sich der Himmelssohn durch
jeden Vertrag mit fremden Fürsten der angestammten Oberhoheit.

In China ist das Bewusstsein von der Berechtigung der un-
umschränkten Macht des Kaisers, nicht nur über das eigene Reich
sondern über die ganze Welt, eng und unzertrennlich verwachsen
mit der auf zweitausendjähriger Entwickelung fussenden, tief ein-
gewurzelten Weltanschauung des Volkes. Das Reich der Mitte ist
so gross, seine Gesittung so ausgeprägt, dass alles ausserhalb
Liegende nur Zubehör, alle fremde Cultur nur mangelhaft sein kann.
Von den wirklichen Verhältnissen der Raumvertheilung hatte man
ebensowenig eine Ahnung als von der Bildung anderer Völker.
China ist die Welt, an deren äussersten Grenzen in rauher nebliger
Ferne Barbarenstämme hausen, welche die Sonne nur düster be-
leuchtet. Weit weniger als wir Europäer den Papua, sahen die
Söhne der blumigen Erde den Fremdling aus dem Westen für
Ihresgleichen an; in der öden Ferne, an den Grenzen der Natur

2*

Politische Anschauungen der Chinesen.
sandten nach Pe-kiṅ gingen, um feste Zugeständnisse zu erlangen:
keinem scheint eingefallen zu sein, dass jeder Vertrag bei den chi-
nesischen Herrschern das Bewusstsein der Gleichberechtigung an-
derer Souveräne voraussetzte, ein Bewusstsein, das ihnen nicht
durch reiche Geschenke und prächtige Aufzüge, sondern nur da-
durch einzupflanzen war, dass ihre Macht einmal angesichts der
Hauptstadt und des ganzen Reiches gebrochen, ihre Dynastie be-
droht wurde. Das geschah erst 1860. Alle früheren Gesandt-
schaften hatten gar keinen, die Kriege nur geringen Erfolg, gleich
localen Aufständen, die den Thron nicht bedrohten. Die Gesandten
wurden, mochten sie sich den von der chinesischen Etiquette ge-
forderten bedeutsamen Formen der Unterthänigkeit fügen oder nicht,
ohne jedes Zugeständniss eines Rechtes und höchstens mit gnädigen
Redensarten fortgeschickt, alle Verträge abgelehnt. Die Kriege
betrachtete man in Pe-kiṅ als Rebellionen gegen die Statthalter; die
erzwungenen Verträge wurden nicht gehalten. Denn wer durfte dem
Willen des Himmelssohnes Gesetze vorschreiben? Der Uebergang
zu vertragsmässigen Beziehungen mit China war kaum ein anderer,
als der Uebergang vom Absolutismus zur Verfassung im Leben
europäischer Staaten; der Herrscher entäussert sich zu Gunsten des
Volkes eines Theiles der Rechte, welche seine Vorgänger durch
alle Zeitläufte besessen haben; das Volk, das früher rechtlos seinem
Willen unterworfen war, soll ihm nun in einem Vertragsverhält-
nisse gegenüberstehen. So entäussert sich der Himmelssohn durch
jeden Vertrag mit fremden Fürsten der angestammten Oberhoheit.

In China ist das Bewusstsein von der Berechtigung der un-
umschränkten Macht des Kaisers, nicht nur über das eigene Reich
sondern über die ganze Welt, eng und unzertrennlich verwachsen
mit der auf zweitausendjähriger Entwickelung fussenden, tief ein-
gewurzelten Weltanschauung des Volkes. Das Reich der Mitte ist
so gross, seine Gesittung so ausgeprägt, dass alles ausserhalb
Liegende nur Zubehör, alle fremde Cultur nur mangelhaft sein kann.
Von den wirklichen Verhältnissen der Raumvertheilung hatte man
ebensowenig eine Ahnung als von der Bildung anderer Völker.
China ist die Welt, an deren äussersten Grenzen in rauher nebliger
Ferne Barbarenstämme hausen, welche die Sonne nur düster be-
leuchtet. Weit weniger als wir Europäer den Papua, sahen die
Söhne der blumigen Erde den Fremdling aus dem Westen für
Ihresgleichen an; in der öden Ferne, an den Grenzen der Natur

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[19/0041] Politische Anschauungen der Chinesen. sandten nach Pe-kiṅ gingen, um feste Zugeständnisse zu erlangen: keinem scheint eingefallen zu sein, dass jeder Vertrag bei den chi- nesischen Herrschern das Bewusstsein der Gleichberechtigung an- derer Souveräne voraussetzte, ein Bewusstsein, das ihnen nicht durch reiche Geschenke und prächtige Aufzüge, sondern nur da- durch einzupflanzen war, dass ihre Macht einmal angesichts der Hauptstadt und des ganzen Reiches gebrochen, ihre Dynastie be- droht wurde. Das geschah erst 1860. Alle früheren Gesandt- schaften hatten gar keinen, die Kriege nur geringen Erfolg, gleich localen Aufständen, die den Thron nicht bedrohten. Die Gesandten wurden, mochten sie sich den von der chinesischen Etiquette ge- forderten bedeutsamen Formen der Unterthänigkeit fügen oder nicht, ohne jedes Zugeständniss eines Rechtes und höchstens mit gnädigen Redensarten fortgeschickt, alle Verträge abgelehnt. Die Kriege betrachtete man in Pe-kiṅ als Rebellionen gegen die Statthalter; die erzwungenen Verträge wurden nicht gehalten. Denn wer durfte dem Willen des Himmelssohnes Gesetze vorschreiben? Der Uebergang zu vertragsmässigen Beziehungen mit China war kaum ein anderer, als der Uebergang vom Absolutismus zur Verfassung im Leben europäischer Staaten; der Herrscher entäussert sich zu Gunsten des Volkes eines Theiles der Rechte, welche seine Vorgänger durch alle Zeitläufte besessen haben; das Volk, das früher rechtlos seinem Willen unterworfen war, soll ihm nun in einem Vertragsverhält- nisse gegenüberstehen. So entäussert sich der Himmelssohn durch jeden Vertrag mit fremden Fürsten der angestammten Oberhoheit. In China ist das Bewusstsein von der Berechtigung der un- umschränkten Macht des Kaisers, nicht nur über das eigene Reich sondern über die ganze Welt, eng und unzertrennlich verwachsen mit der auf zweitausendjähriger Entwickelung fussenden, tief ein- gewurzelten Weltanschauung des Volkes. Das Reich der Mitte ist so gross, seine Gesittung so ausgeprägt, dass alles ausserhalb Liegende nur Zubehör, alle fremde Cultur nur mangelhaft sein kann. Von den wirklichen Verhältnissen der Raumvertheilung hatte man ebensowenig eine Ahnung als von der Bildung anderer Völker. China ist die Welt, an deren äussersten Grenzen in rauher nebliger Ferne Barbarenstämme hausen, welche die Sonne nur düster be- leuchtet. Weit weniger als wir Europäer den Papua, sahen die Söhne der blumigen Erde den Fremdling aus dem Westen für Ihresgleichen an; in der öden Ferne, an den Grenzen der Natur 2*

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien03_1873/41>, abgerufen am 28.03.2024.