Die europäischen Strassen laufen vielfach zwischen Garten- mauern, über welche die Wohngebäude fortblicken; eine gleicht der anderen. Zuweilen trabt ein Reiter auf englischem, australischem oder arabischem Ross durch die todten Gassen; hin und wieder begegnet man langen Zügen von Kuli's,125) die je zwei an schwankem Bambus aufgehängte Seidenballen in tactmässigem Laufschritt nach dem Bund tragen. Dort lärmen dichte Haufen fremder und be- zopfter Matrosen. Nah der Chinesen-Stadt bedeckten damals den Wu-son-Fluss, in lange Gassen geordnet, die unzähligen Boote der geflüchteten Canalbevölkerung von Su-tsau, das die Tae-pin noch immer besetzt hielten. Vor der Ansiedlung ankerten male- rische Dschunken, fremde Dampfer, Schooner, Barkschiffe und Ka- nonenboote, noch weiter flussabwärts die grösseren Kriegs- und Handelsschiffe. -- Bei schönem Wetter ging Nachmittags die ganze europäische Bevölkerung auf dem Bund spazieren, wo zuweilen das Musikcorps der Arkona spielte. Man ahnt hier Shang-hae's gross- artigen Handel, welcher in seinen besten Jahren den achtzehnten Theil des Werthes der gesammten englischen Einfuhr geliefert ha- ben soll. Hunderte von Seidenballen lagern, der Einschiffung har- rend, am Bund, jeder Ballen wohl 1000 Dollars werth. In den Gewinn dieses Handels theilten sich damals wenige deutsche, eng- lische, französische und americanische Häuser von ungeschminkter Opulenz: die Einrichtungen prächtig, auf den Tafeln die Lecker- bissen aller Länder, in den Küchen berühmte französische Köche, in den Ställen die edelsten Pferde. Die wenigen Kaufläden führten europäische Artikel aller Art; neben kostbaren pariser Broncen und Toiletten lagen Yorkshire-Schinken, Streichhölzer und Stiefeln neben Goldschmuck und Diamanten. Der ansässige Kaufmann ver- schmäht fast nach dem Preise zu fragen: zu Neujahr kommt die Rechnung. Klein Geld giebt es kaum; denn die chinesischen Kupfer- und Eisenmünzen cursiren nur unter den Eingebornen. Selten sieht man englische Drei- und Sechs-Pence-Stücke; die gangbare Klein-Münze ist der englische Shilling, der als Viertel- Dollar gilt. Da es aber auch daran mangelt, so zerhaut man die mexicanischen Dollars in vier Theile. Die Schiffsmannschaften, welche ihren Sold in dieser Münze beziehen, haben nun das
125) Der Ausdruck Kuli, Coolie bezeichnet bei den Fremden in China die grosse Classe des Proletariates, die ohne bestimmtes Gewerbe auf jede Weise ihren Lebens- unterhalt zu verdienen sucht; also Tagelöhner, Lastträger u. s. w.
XIII. Die europäische Niederlassung.
Die europäischen Strassen laufen vielfach zwischen Garten- mauern, über welche die Wohngebäude fortblicken; eine gleicht der anderen. Zuweilen trabt ein Reiter auf englischem, australischem oder arabischem Ross durch die todten Gassen; hin und wieder begegnet man langen Zügen von Kuli’s,125) die je zwei an schwankem Bambus aufgehängte Seidenballen in tactmässigem Laufschritt nach dem Bund tragen. Dort lärmen dichte Haufen fremder und be- zopfter Matrosen. Nah der Chinesen-Stadt bedeckten damals den Wu-soṅ-Fluss, in lange Gassen geordnet, die unzähligen Boote der geflüchteten Canalbevölkerung von Su-tšau, das die Tae-piṅ noch immer besetzt hielten. Vor der Ansiedlung ankerten male- rische Dschunken, fremde Dampfer, Schooner, Barkschiffe und Ka- nonenboote, noch weiter flussabwärts die grösseren Kriegs- und Handelsschiffe. — Bei schönem Wetter ging Nachmittags die ganze europäische Bevölkerung auf dem Bund spazieren, wo zuweilen das Musikcorps der Arkona spielte. Man ahnt hier Shang-hae’s gross- artigen Handel, welcher in seinen besten Jahren den achtzehnten Theil des Werthes der gesammten englischen Einfuhr geliefert ha- ben soll. Hunderte von Seidenballen lagern, der Einschiffung har- rend, am Bund, jeder Ballen wohl 1000 Dollars werth. In den Gewinn dieses Handels theilten sich damals wenige deutsche, eng- lische, französische und americanische Häuser von ungeschminkter Opulenz: die Einrichtungen prächtig, auf den Tafeln die Lecker- bissen aller Länder, in den Küchen berühmte französische Köche, in den Ställen die edelsten Pferde. Die wenigen Kaufläden führten europäische Artikel aller Art; neben kostbaren pariser Broncen und Toiletten lagen Yorkshire-Schinken, Streichhölzer und Stiefeln neben Goldschmuck und Diamanten. Der ansässige Kaufmann ver- schmäht fast nach dem Preise zu fragen: zu Neujahr kommt die Rechnung. Klein Geld giebt es kaum; denn die chinesischen Kupfer- und Eisenmünzen cursiren nur unter den Eingebornen. Selten sieht man englische Drei- und Sechs-Pence-Stücke; die gangbare Klein-Münze ist der englische Shilling, der als Viertel- Dollar gilt. Da es aber auch daran mangelt, so zerhaut man die mexicanischen Dollars in vier Theile. Die Schiffsmannschaften, welche ihren Sold in dieser Münze beziehen, haben nun das
125) Der Ausdruck Kuli, Coolie bezeichnet bei den Fremden in China die grosse Classe des Proletariates, die ohne bestimmtes Gewerbe auf jede Weise ihren Lebens- unterhalt zu verdienen sucht; also Tagelöhner, Lastträger u. s. w.
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XIII. Die europäische Niederlassung.
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mauern, über welche die Wohngebäude fortblicken; eine gleicht der
anderen. Zuweilen trabt ein Reiter auf englischem, australischem
oder arabischem Ross durch die todten Gassen; hin und wieder
begegnet man langen Zügen von Kuli’s, 125) die je zwei an schwankem
Bambus aufgehängte Seidenballen in tactmässigem Laufschritt nach
dem Bund tragen. Dort lärmen dichte Haufen fremder und be-
zopfter Matrosen. Nah der Chinesen-Stadt bedeckten damals den
Wu-soṅ-Fluss, in lange Gassen geordnet, die unzähligen Boote
der geflüchteten Canalbevölkerung von Su-tšau, das die Tae-piṅ
noch immer besetzt hielten. Vor der Ansiedlung ankerten male-
rische Dschunken, fremde Dampfer, Schooner, Barkschiffe und Ka-
nonenboote, noch weiter flussabwärts die grösseren Kriegs- und
Handelsschiffe. — Bei schönem Wetter ging Nachmittags die ganze
europäische Bevölkerung auf dem Bund spazieren, wo zuweilen das
Musikcorps der Arkona spielte. Man ahnt hier Shang-hae’s gross-
artigen Handel, welcher in seinen besten Jahren den achtzehnten
Theil des Werthes der gesammten englischen Einfuhr geliefert ha-
ben soll. Hunderte von Seidenballen lagern, der Einschiffung har-
rend, am Bund, jeder Ballen wohl 1000 Dollars werth. In den
Gewinn dieses Handels theilten sich damals wenige deutsche, eng-
lische, französische und americanische Häuser von ungeschminkter
Opulenz: die Einrichtungen prächtig, auf den Tafeln die Lecker-
bissen aller Länder, in den Küchen berühmte französische Köche,
in den Ställen die edelsten Pferde. Die wenigen Kaufläden führten
europäische Artikel aller Art; neben kostbaren pariser Broncen und
Toiletten lagen Yorkshire-Schinken, Streichhölzer und Stiefeln
neben Goldschmuck und Diamanten. Der ansässige Kaufmann ver-
schmäht fast nach dem Preise zu fragen: zu Neujahr kommt die
Rechnung. Klein Geld giebt es kaum; denn die chinesischen
Kupfer- und Eisenmünzen cursiren nur unter den Eingebornen.
Selten sieht man englische Drei- und Sechs-Pence-Stücke; die
gangbare Klein-Münze ist der englische Shilling, der als Viertel-
Dollar gilt. Da es aber auch daran mangelt, so zerhaut man die
mexicanischen Dollars in vier Theile. Die Schiffsmannschaften,
welche ihren Sold in dieser Münze beziehen, haben nun das
125) Der Ausdruck Kuli, Coolie bezeichnet bei den Fremden in China die grosse
Classe des Proletariates, die ohne bestimmtes Gewerbe auf jede Weise ihren Lebens-
unterhalt zu verdienen sucht; also Tagelöhner, Lastträger u. s. w.
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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873, S. 377. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien03_1873/399>, abgerufen am 22.11.2024.
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