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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873.

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Die Gefangenen im Kao-miao-Tempel.
wieder Verhaltungsbefehle einholen. -- Bald kam er wieder; wenn
Parkes schriftlich erkläre, dass der Prinz ausnehmend gütig gegen
ihn gewesen und ein Mann von hoher Begabung und Weisheit sei,
so möge auch Herr Loch das Gefängniss verlassen. Dessen wei-
gerte sich Herr Parkes: er verlange keine Gunst, sondern Gerechtig-
keit; des Prinzen Fähigkeiten könne er nicht beurtheilen und von
seiner Güte habe er keinen Beweis, so lange er im Kerker sitze
und nicht als Kriegsgefangener behandelt werde, sondern als Ver-
brecher. Auf angemessenen Vortrag werde der Prinz ihn sicher aus
der schimpflichen Lage befreien.

Der listige Han-ki bemühte sich auch ferner vergebens.
Am 29. September brachte er die Weisung, Parkes und Loch
aus dem Kerker zu ziehen und nach dem Kao-miao-Tempel in
der Nähe des nordöstlichen Thores, Gan-tin-men zu bringen. Das
geschah in zwei Karren, unter starker Bedeckung. Ihr Gemach im
Tempel war zwanzig Fuss lang und zehn breit, mit Ausgang auf
einen Hof von vierzig Fuss im Geviert, den sie benutzen durften.
"Zu ihrer Bedienung" wohnten im Vorzimmer acht Schliesser aus
dem Gefängniss; am Eingang und rings um das Gebäude hielten
Soldaten Wache. Man versah die Gefangenen mit allen Bequem-
lichkeiten, guter Nahrung, sogar mit Handtüchern, Seife und Schreib-
material. Parkes stellte darauf folgendes Zeugniss aus:

"Herr Loch und ich werden von den chinesischen Behörden
jetzt gut behandelt; man sagt uns, dass es auf Befehl des Prinzen
von Kun geschieht. Man sagt uns auch, dass Seine Hoheit ein
Mann von grosser Entschlossenheit und Klugheit ist, und ich meine,
dass unter diesen Umständen die Feindseligkeiten eine Weile suspen-
dirt werden können, um Gelegenheit zu Unterhandlungen zu geben."

Han-ki und andere Würdenträger kamen nun täglich: Krieg
und Frieden, Recht und Unrecht. Verrath und Treue, Barbarei und
Cultur wurden eingehend besprochen. Die Invasion eines Landes
und das Anrücken auf die Hauptstadt, meinten die Chinesen, streite
gegen Recht und Vernunft; nähmen die Alliirten Pe-kin, so wür-
den die Vicekönige der Provinzen gegen sie zu Felde ziehen. Herr
Parkes erinnerte sie dagegen an die Invasion der Mandschu und
den Aufstand im Süden. -- Am 1. October verlangte Han-ki, er
möge Lord Elgin schriftlich ersuchen, die Armee der Verbündeten
10 oder 20 Li zurückzuziehen und Verhandlungen auf neutralem
Gebiet einzuleiten. Herr Parkes verstand sich nur zu dem zweiten

Die Gefangenen im Kao-miao-Tempel.
wieder Verhaltungsbefehle einholen. — Bald kam er wieder; wenn
Parkes schriftlich erkläre, dass der Prinz ausnehmend gütig gegen
ihn gewesen und ein Mann von hoher Begabung und Weisheit sei,
so möge auch Herr Loch das Gefängniss verlassen. Dessen wei-
gerte sich Herr Parkes: er verlange keine Gunst, sondern Gerechtig-
keit; des Prinzen Fähigkeiten könne er nicht beurtheilen und von
seiner Güte habe er keinen Beweis, so lange er im Kerker sitze
und nicht als Kriegsgefangener behandelt werde, sondern als Ver-
brecher. Auf angemessenen Vortrag werde der Prinz ihn sicher aus
der schimpflichen Lage befreien.

Der listige Haṅ-ki bemühte sich auch ferner vergebens.
Am 29. September brachte er die Weisung, Parkes und Loch
aus dem Kerker zu ziehen und nach dem Kao-miao-Tempel in
der Nähe des nordöstlichen Thores, Gan-tiṅ-men zu bringen. Das
geschah in zwei Karren, unter starker Bedeckung. Ihr Gemach im
Tempel war zwanzig Fuss lang und zehn breit, mit Ausgang auf
einen Hof von vierzig Fuss im Geviert, den sie benutzen durften.
»Zu ihrer Bedienung« wohnten im Vorzimmer acht Schliesser aus
dem Gefängniss; am Eingang und rings um das Gebäude hielten
Soldaten Wache. Man versah die Gefangenen mit allen Bequem-
lichkeiten, guter Nahrung, sogar mit Handtüchern, Seife und Schreib-
material. Parkes stellte darauf folgendes Zeugniss aus:

»Herr Loch und ich werden von den chinesischen Behörden
jetzt gut behandelt; man sagt uns, dass es auf Befehl des Prinzen
von Kuṅ geschieht. Man sagt uns auch, dass Seine Hoheit ein
Mann von grosser Entschlossenheit und Klugheit ist, und ich meine,
dass unter diesen Umständen die Feindseligkeiten eine Weile suspen-
dirt werden können, um Gelegenheit zu Unterhandlungen zu geben.«

Haṅ-ki und andere Würdenträger kamen nun täglich: Krieg
und Frieden, Recht und Unrecht. Verrath und Treue, Barbarei und
Cultur wurden eingehend besprochen. Die Invasion eines Landes
und das Anrücken auf die Hauptstadt, meinten die Chinesen, streite
gegen Recht und Vernunft; nähmen die Alliirten Pe-kiṅ, so wür-
den die Vicekönige der Provinzen gegen sie zu Felde ziehen. Herr
Parkes erinnerte sie dagegen an die Invasion der Mandschu und
den Aufstand im Süden. — Am 1. October verlangte Haṅ-ki, er
möge Lord Elgin schriftlich ersuchen, die Armee der Verbündeten
10 oder 20 Li zurückzuziehen und Verhandlungen auf neutralem
Gebiet einzuleiten. Herr Parkes verstand sich nur zu dem zweiten

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[356/0378] Die Gefangenen im Kao-miao-Tempel. wieder Verhaltungsbefehle einholen. — Bald kam er wieder; wenn Parkes schriftlich erkläre, dass der Prinz ausnehmend gütig gegen ihn gewesen und ein Mann von hoher Begabung und Weisheit sei, so möge auch Herr Loch das Gefängniss verlassen. Dessen wei- gerte sich Herr Parkes: er verlange keine Gunst, sondern Gerechtig- keit; des Prinzen Fähigkeiten könne er nicht beurtheilen und von seiner Güte habe er keinen Beweis, so lange er im Kerker sitze und nicht als Kriegsgefangener behandelt werde, sondern als Ver- brecher. Auf angemessenen Vortrag werde der Prinz ihn sicher aus der schimpflichen Lage befreien. Der listige Haṅ-ki bemühte sich auch ferner vergebens. Am 29. September brachte er die Weisung, Parkes und Loch aus dem Kerker zu ziehen und nach dem Kao-miao-Tempel in der Nähe des nordöstlichen Thores, Gan-tiṅ-men zu bringen. Das geschah in zwei Karren, unter starker Bedeckung. Ihr Gemach im Tempel war zwanzig Fuss lang und zehn breit, mit Ausgang auf einen Hof von vierzig Fuss im Geviert, den sie benutzen durften. »Zu ihrer Bedienung« wohnten im Vorzimmer acht Schliesser aus dem Gefängniss; am Eingang und rings um das Gebäude hielten Soldaten Wache. Man versah die Gefangenen mit allen Bequem- lichkeiten, guter Nahrung, sogar mit Handtüchern, Seife und Schreib- material. Parkes stellte darauf folgendes Zeugniss aus: »Herr Loch und ich werden von den chinesischen Behörden jetzt gut behandelt; man sagt uns, dass es auf Befehl des Prinzen von Kuṅ geschieht. Man sagt uns auch, dass Seine Hoheit ein Mann von grosser Entschlossenheit und Klugheit ist, und ich meine, dass unter diesen Umständen die Feindseligkeiten eine Weile suspen- dirt werden können, um Gelegenheit zu Unterhandlungen zu geben.« Haṅ-ki und andere Würdenträger kamen nun täglich: Krieg und Frieden, Recht und Unrecht. Verrath und Treue, Barbarei und Cultur wurden eingehend besprochen. Die Invasion eines Landes und das Anrücken auf die Hauptstadt, meinten die Chinesen, streite gegen Recht und Vernunft; nähmen die Alliirten Pe-kiṅ, so wür- den die Vicekönige der Provinzen gegen sie zu Felde ziehen. Herr Parkes erinnerte sie dagegen an die Invasion der Mandschu und den Aufstand im Süden. — Am 1. October verlangte Haṅ-ki, er möge Lord Elgin schriftlich ersuchen, die Armee der Verbündeten 10 oder 20 Li zurückzuziehen und Verhandlungen auf neutralem Gebiet einzuleiten. Herr Parkes verstand sich nur zu dem zweiten

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873, S. 356. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien03_1873/378>, abgerufen am 10.05.2024.