Während Macao Hauptsitz des Handels der Portugiesen und Spanier blieb, wandten sich alle anderen Nationen fast ausschliess- lich nach Kan-ton. Ihre grösseren Schiffe mussten wegen der Wassertiefe bei Wam-poa, etwa eine Meile stromabwärts, ankern; der Geschäftsverkehr aber concentrirte sich in Kan-ton selbst, wo im Laufe der Zeit die Handelsgesellschaften der verschiedenen Nationen am Ufer des Perl-Flusses Factoreien gründeten. Jede derselben hatte ihren Vorsteher, der als verantwortliches Haupt seiner Landsleute galt, die heimische Regierung aber keineswegs amtlich vertrat. Wären sie dazu ermächtigt gewesen, so hätten doch die Mandarinen jede Beziehung zu denselben als unter ihrer Würde zurückgewiesen; denn in China können Kaufleute nicht Beamte sein, nicht mit Beamten auf dem Fusse der Gleichheit ver- kehren. Schon dadurch wurde ein solches Verhältniss unmöglich, dass die chinesischen Kaiser bis in die neueste Zeit die Souveräne- tät auswärtiger Staaten nicht gelten liessen. Der ernste Kampf um solche Anerkennung begann erst, als nach Aufhebung des Mono- poles der englisch-ostindischen Gesellschaft für China die gross- britannische Regierung zu Wahrung der Handelsinteressen 1834 königliche Commissare nach China sandte. Der Frieden von Pe-kin endete diesen Kampf 1860. Vor Aufhebung jenes Monopoles wurde aller Verkehr mit den Mandarinen durch chinesische Kaufleute vermittelt.
Der Geschäftsbetrieb in Kan-ton muss bald nach Gründung der ersten Factoreien die feste Gestalt angenommen haben, die er mit geringen Modificationen bis 1834 behielt: die chinesische Regie- rung verlieh das Monopol für den ausländischen Handel einer be- schränkten Zahl einheimischer Kaufleute, welche für das gute Be- tragen der Fremden bürgten und deren Verkehr mit den Behörden vermittelten. Diese Hon-Kaufleute 7) standen unter Aufsicht der Mandarinen, mit welchen sie ihren Gewinn theilten. Die Fremden durften die Stadt nicht betreten und wurden in den Factoreien streng bewacht. Den Chinesen gegenüber waren sie formell und factisch rechtlos und hatten kein Mittel in Händen, der willkür- lichen Bedrückung zu begegnen. Die Mandarinen erpressten das Aeusserste und schraubten ihre Ansprüche immer höher. Das veranlasste periodische Conflicte, die häufig zu Suspendirung des
7)Hon bedeutet Firma.
Der Handel in Kan-ton.
Während Macao Hauptsitz des Handels der Portugiesen und Spanier blieb, wandten sich alle anderen Nationen fast ausschliess- lich nach Kan-ton. Ihre grösseren Schiffe mussten wegen der Wassertiefe bei Wam-poa, etwa eine Meile stromabwärts, ankern; der Geschäftsverkehr aber concentrirte sich in Kan-ton selbst, wo im Laufe der Zeit die Handelsgesellschaften der verschiedenen Nationen am Ufer des Perl-Flusses Factoreien gründeten. Jede derselben hatte ihren Vorsteher, der als verantwortliches Haupt seiner Landsleute galt, die heimische Regierung aber keineswegs amtlich vertrat. Wären sie dazu ermächtigt gewesen, so hätten doch die Mandarinen jede Beziehung zu denselben als unter ihrer Würde zurückgewiesen; denn in China können Kaufleute nicht Beamte sein, nicht mit Beamten auf dem Fusse der Gleichheit ver- kehren. Schon dadurch wurde ein solches Verhältniss unmöglich, dass die chinesischen Kaiser bis in die neueste Zeit die Souveräne- tät auswärtiger Staaten nicht gelten liessen. Der ernste Kampf um solche Anerkennung begann erst, als nach Aufhebung des Mono- poles der englisch-ostindischen Gesellschaft für China die gross- britannische Regierung zu Wahrung der Handelsinteressen 1834 königliche Commissare nach China sandte. Der Frieden von Pe-kiṅ endete diesen Kampf 1860. Vor Aufhebung jenes Monopoles wurde aller Verkehr mit den Mandarinen durch chinesische Kaufleute vermittelt.
Der Geschäftsbetrieb in Kan-ton muss bald nach Gründung der ersten Factoreien die feste Gestalt angenommen haben, die er mit geringen Modificationen bis 1834 behielt: die chinesische Regie- rung verlieh das Monopol für den ausländischen Handel einer be- schränkten Zahl einheimischer Kaufleute, welche für das gute Be- tragen der Fremden bürgten und deren Verkehr mit den Behörden vermittelten. Diese Hoṅ-Kaufleute 7) standen unter Aufsicht der Mandarinen, mit welchen sie ihren Gewinn theilten. Die Fremden durften die Stadt nicht betreten und wurden in den Factoreien streng bewacht. Den Chinesen gegenüber waren sie formell und factisch rechtlos und hatten kein Mittel in Händen, der willkür- lichen Bedrückung zu begegnen. Die Mandarinen erpressten das Aeusserste und schraubten ihre Ansprüche immer höher. Das veranlasste periodische Conflicte, die häufig zu Suspendirung des
7)Hoṅ bedeutet Firma.
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[15/0037]
Der Handel in Kan-ton.
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Spanier blieb, wandten sich alle anderen Nationen fast ausschliess-
lich nach Kan-ton. Ihre grösseren Schiffe mussten wegen der
Wassertiefe bei Wam-poa, etwa eine Meile stromabwärts, ankern;
der Geschäftsverkehr aber concentrirte sich in Kan-ton selbst, wo
im Laufe der Zeit die Handelsgesellschaften der verschiedenen
Nationen am Ufer des Perl-Flusses Factoreien gründeten. Jede
derselben hatte ihren Vorsteher, der als verantwortliches Haupt
seiner Landsleute galt, die heimische Regierung aber keineswegs
amtlich vertrat. Wären sie dazu ermächtigt gewesen, so hätten
doch die Mandarinen jede Beziehung zu denselben als unter ihrer
Würde zurückgewiesen; denn in China können Kaufleute nicht
Beamte sein, nicht mit Beamten auf dem Fusse der Gleichheit ver-
kehren. Schon dadurch wurde ein solches Verhältniss unmöglich,
dass die chinesischen Kaiser bis in die neueste Zeit die Souveräne-
tät auswärtiger Staaten nicht gelten liessen. Der ernste Kampf um
solche Anerkennung begann erst, als nach Aufhebung des Mono-
poles der englisch-ostindischen Gesellschaft für China die gross-
britannische Regierung zu Wahrung der Handelsinteressen 1834
königliche Commissare nach China sandte. Der Frieden von Pe-kiṅ
endete diesen Kampf 1860. Vor Aufhebung jenes Monopoles wurde
aller Verkehr mit den Mandarinen durch chinesische Kaufleute
vermittelt.
Der Geschäftsbetrieb in Kan-ton muss bald nach Gründung
der ersten Factoreien die feste Gestalt angenommen haben, die er
mit geringen Modificationen bis 1834 behielt: die chinesische Regie-
rung verlieh das Monopol für den ausländischen Handel einer be-
schränkten Zahl einheimischer Kaufleute, welche für das gute Be-
tragen der Fremden bürgten und deren Verkehr mit den Behörden
vermittelten. Diese Hoṅ-Kaufleute 7) standen unter Aufsicht der
Mandarinen, mit welchen sie ihren Gewinn theilten. Die Fremden
durften die Stadt nicht betreten und wurden in den Factoreien
streng bewacht. Den Chinesen gegenüber waren sie formell und
factisch rechtlos und hatten kein Mittel in Händen, der willkür-
lichen Bedrückung zu begegnen. Die Mandarinen erpressten das
Aeusserste und schraubten ihre Ansprüche immer höher. Das
veranlasste periodische Conflicte, die häufig zu Suspendirung des
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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien03_1873/37>, abgerufen am 27.11.2024.
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