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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873.

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Der Kan-wan.
1852 nach Hong-kong, wo er dem Missionar Hamberg seine Schrift
über den Tien-wan einhändigte. Er erhielt bald darauf eine Stelle
als Schulmeister in einem Hong-kong gegenüberliegenden Dorf,
kehrte aber gegen Ende 1853 zu Herrn Hamberg zurück, der ihm
die Mittel zur Reise nach Shang-hae gewährte. Dort blieb er
mehrere Monate, suchte vergebens nach Nan-kin zu gelangen und
ging endlich wieder nach Hong-kong. Hamberg war unterdessen
gestorben; einige Mitglieder der Londoner Missions-Gesellschaft
nahmen Hun-dzin bei sich auf, unterrichteten ihn in den Glaubens-
lehren und stellten ihn als chinesischen Katechisten und Prediger
an. Dieses Amt versah er von 1855 bis 1858 zur vollsten Zufrieden-
heit seiner Lehrer. "Er gewann sich," heisst es im Missionary
Magazine, "bald einen Platz im Vertrauen und in der Achtung der
Missionare und bei den ihnen befreundeten chinesischen Christen.
Seine literarische Bildung war achtungswerth, sein Temperament
liebenswürdig und heiter, sein Geist von einer bei Chinesen unge-
wöhnlichen Beweglichkeit. Seine Kenntniss der christlichen Lehre
mehrte sich erheblich, und seine aufrichtige Hingebung an dieselbe
konnte nicht bezweifelt werden."

Im Juni 1858 verliess Hun-dzin abermals Hong-kong, um
sich zu Lande nach Nan-kin durchzuschleichen. Während das
englische Geschwader vor Han-kau lag, befand er sich in der
Nähe und schickte einen Brief für seinen Lehrer Chalmers in Hong-
kong
. Erst im Frühjahr 1859 gelangte er nach Nan-kin und wurde
vom Tien-wan sofort zum Kan-wan und ersten Minister erhoben.
Ein Jahr darauf schrieb er dem Missionar Edkins, er fühle sich
zwar seiner Stellung nicht gewachsen, arbeite aber eifrig für Ver-
breitung der wahren Lehre; im täglichen Verkehr mit seinem Vetter,
dem Tien-wan, staune er über dessen Weisheit und Tiefe der
Anschauung, welche über die gewöhnlicher Menschen weit hinaus-
reiche. -- Spätere Vorfälle zeigten, dass Macht und Glück sein
Gemüth verdarben; der sanfte Prediger wurde ein roher Tyrann,
der nicht verschmähte mit eigener Hand zu morden. Dass er als
Organisator Erhebliches leistete, beweisen die vermehrte Regsamkeit
und bessere Ordnung nach seinem Auftreten in Nan-kin.

Diese Stadt wurde, wie gesagt, seit 1853 beständig von
kaiserlichen Heeren belagert, welche allmälich ihre drei dem Lande
zugekehrten Fronten einschlossen. Bis 1859 beherrschten aber die
Tae-pin den Yan-tse; sie konnten die Beute ihrer Raubzüge zu

1852 nach Hong-kong, wo er dem Missionar Hamberg seine Schrift
über den Tien-waṅ einhändigte. Er erhielt bald darauf eine Stelle
als Schulmeister in einem Hong-kong gegenüberliegenden Dorf,
kehrte aber gegen Ende 1853 zu Herrn Hamberg zurück, der ihm
die Mittel zur Reise nach Shang-hae gewährte. Dort blieb er
mehrere Monate, suchte vergebens nach Nan-kiṅ zu gelangen und
ging endlich wieder nach Hong-kong. Hamberg war unterdessen
gestorben; einige Mitglieder der Londoner Missions-Gesellschaft
nahmen Huṅ-džin bei sich auf, unterrichteten ihn in den Glaubens-
lehren und stellten ihn als chinesischen Katechisten und Prediger
an. Dieses Amt versah er von 1855 bis 1858 zur vollsten Zufrieden-
heit seiner Lehrer. »Er gewann sich,« heisst es im Missionary
Magazine, »bald einen Platz im Vertrauen und in der Achtung der
Missionare und bei den ihnen befreundeten chinesischen Christen.
Seine literarische Bildung war achtungswerth, sein Temperament
liebenswürdig und heiter, sein Geist von einer bei Chinesen unge-
wöhnlichen Beweglichkeit. Seine Kenntniss der christlichen Lehre
mehrte sich erheblich, und seine aufrichtige Hingebung an dieselbe
konnte nicht bezweifelt werden.«

Im Juni 1858 verliess Huṅ-džin abermals Hong-kong, um
sich zu Lande nach Nan-kiṅ durchzuschleichen. Während das
englische Geschwader vor Han-kau lag, befand er sich in der
Nähe und schickte einen Brief für seinen Lehrer Chalmers in Hong-
kong
. Erst im Frühjahr 1859 gelangte er nach Nan-kiṅ und wurde
vom Tien-waṅ sofort zum Kan-waṅ und ersten Minister erhoben.
Ein Jahr darauf schrieb er dem Missionar Edkins, er fühle sich
zwar seiner Stellung nicht gewachsen, arbeite aber eifrig für Ver-
breitung der wahren Lehre; im täglichen Verkehr mit seinem Vetter,
dem Tien-waṅ, staune er über dessen Weisheit und Tiefe der
Anschauung, welche über die gewöhnlicher Menschen weit hinaus-
reiche. — Spätere Vorfälle zeigten, dass Macht und Glück sein
Gemüth verdarben; der sanfte Prediger wurde ein roher Tyrann,
der nicht verschmähte mit eigener Hand zu morden. Dass er als
Organisator Erhebliches leistete, beweisen die vermehrte Regsamkeit
und bessere Ordnung nach seinem Auftreten in Nan-kiṅ.

Diese Stadt wurde, wie gesagt, seit 1853 beständig von
kaiserlichen Heeren belagert, welche allmälich ihre drei dem Lande
zugekehrten Fronten einschlossen. Bis 1859 beherrschten aber die
Tae-piṅ den Yaṅ-tse; sie konnten die Beute ihrer Raubzüge zu

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[271/0293] Der Kan-waṅ. 1852 nach Hong-kong, wo er dem Missionar Hamberg seine Schrift über den Tien-waṅ einhändigte. Er erhielt bald darauf eine Stelle als Schulmeister in einem Hong-kong gegenüberliegenden Dorf, kehrte aber gegen Ende 1853 zu Herrn Hamberg zurück, der ihm die Mittel zur Reise nach Shang-hae gewährte. Dort blieb er mehrere Monate, suchte vergebens nach Nan-kiṅ zu gelangen und ging endlich wieder nach Hong-kong. Hamberg war unterdessen gestorben; einige Mitglieder der Londoner Missions-Gesellschaft nahmen Huṅ-džin bei sich auf, unterrichteten ihn in den Glaubens- lehren und stellten ihn als chinesischen Katechisten und Prediger an. Dieses Amt versah er von 1855 bis 1858 zur vollsten Zufrieden- heit seiner Lehrer. »Er gewann sich,« heisst es im Missionary Magazine, »bald einen Platz im Vertrauen und in der Achtung der Missionare und bei den ihnen befreundeten chinesischen Christen. Seine literarische Bildung war achtungswerth, sein Temperament liebenswürdig und heiter, sein Geist von einer bei Chinesen unge- wöhnlichen Beweglichkeit. Seine Kenntniss der christlichen Lehre mehrte sich erheblich, und seine aufrichtige Hingebung an dieselbe konnte nicht bezweifelt werden.« Im Juni 1858 verliess Huṅ-džin abermals Hong-kong, um sich zu Lande nach Nan-kiṅ durchzuschleichen. Während das englische Geschwader vor Han-kau lag, befand er sich in der Nähe und schickte einen Brief für seinen Lehrer Chalmers in Hong- kong. Erst im Frühjahr 1859 gelangte er nach Nan-kiṅ und wurde vom Tien-waṅ sofort zum Kan-waṅ und ersten Minister erhoben. Ein Jahr darauf schrieb er dem Missionar Edkins, er fühle sich zwar seiner Stellung nicht gewachsen, arbeite aber eifrig für Ver- breitung der wahren Lehre; im täglichen Verkehr mit seinem Vetter, dem Tien-waṅ, staune er über dessen Weisheit und Tiefe der Anschauung, welche über die gewöhnlicher Menschen weit hinaus- reiche. — Spätere Vorfälle zeigten, dass Macht und Glück sein Gemüth verdarben; der sanfte Prediger wurde ein roher Tyrann, der nicht verschmähte mit eigener Hand zu morden. Dass er als Organisator Erhebliches leistete, beweisen die vermehrte Regsamkeit und bessere Ordnung nach seinem Auftreten in Nan-kiṅ. Diese Stadt wurde, wie gesagt, seit 1853 beständig von kaiserlichen Heeren belagert, welche allmälich ihre drei dem Lande zugekehrten Fronten einschlossen. Bis 1859 beherrschten aber die Tae-piṅ den Yaṅ-tse; sie konnten die Beute ihrer Raubzüge zu

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873, S. 271. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien03_1873/293>, abgerufen am 28.04.2024.