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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873.

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Ki-yin in Tien-tsin.
zu trösten, dass Lord Elgin seine Mitwirkung bei den Vertrags-
arbeiten peremtorisch ablehnen werde; das behagte ihm aber nicht.
Er klagte, dass die Engländer China das Messer an die Kehle
setzten, und sprach sich so deutlich aus, dass die Dolmetscher an
seiner Feindschaft nicht mehr zweifelten. Unter den waltenden
Umständen konnten sie in der That keine andere Gesinnung von
einem Manne erwarten, dessen Friedenspolitik und gutes Einver-
nehmen mit den Fremden zu seinem Falle geführt hatte. Er musste
glühenden Barbarenhass zur Schau tragen um sein Leben zu retten,
benahm sich aber kopflos und rannte wirklich in sein Verderben.

Ki-yin scheint ohne Ueberlegung und politische Rücksicht
in irrsinniger Angst nur darauf ausgegangen zu sein, um jeden
Preis fremdenfeindlich zu erscheinen. Den schlimmsten Einfluss
übte er auf die Bewohner von Tien-tsin. Während vorher die
Fremden sich in und ausserhalb der Stadt ohne jede Belästigung
frei bewegt hatten, wurden am Tage nach Ki-yin's Ankunft der
englische Admiral und mehrere Flottenofficiere in der Stadt vom
Pöbel angefallen, umgerannt und mit Steinen geworfen. Obwohl
das spät am Nachmittag geschah, so musste doch ein Detachement
Matrosen und Marinesoldaten sofort nach der Stadt marschiren.
Das Thor wurde ihnen vor der Nase zugeschlagen und barricadirt;
die Engländer kletterten jedoch über die Mauer, jagten den Pöbel-
haufen innerhalb mit Fusstritten auseinander und sprengten das
Thor. Dann rückten sie die Hauptstrasse hinauf nach dem Schau-
platz des Tumultes und verhafteten einige Hausbesitzer nebst dem
tartarischen Stadtcommandanten, welche für die Nacht eingesperrt
und erst am Morgen freigelassen wurden. Nach zuverlässigen Mit-
theilungen war die Anregung zu feindseligem Auftreten gleich nach
Ki-yin's Ankunft von den Ortsbehörden ausgegangen. Die Frem-
den erfuhren auch, dass dieser sich vor den anderen Commissaren
in der stärksten Sprache über die Barbaren äusserte, zu hartnäcki-
gem Widerstande und Fortsetzung des Krieges drängte. Da nun
Kwei-lian und Wa-sana ihre Schritte zu Erzielung eines glimpf-
lichen Abkommens überall durchkreuzt sahen, so baten sie den
Kaiser unter dringenden Vorstellungen um Ki-yin's Abberufung.
Hien-fun sandte ihm aber jetzt den ausdrücklichen Befehl zu blei-
ben und billigte dadurch stillschweigend seine Haltung.

Lord Elgin, welcher wünschen musste, sich des Ki-yin um
jeden Preis zu entledigen, schickte am 11. Juni die Herren Wade

Ki-yiṅ in Tien-tsin.
zu trösten, dass Lord Elgin seine Mitwirkung bei den Vertrags-
arbeiten peremtorisch ablehnen werde; das behagte ihm aber nicht.
Er klagte, dass die Engländer China das Messer an die Kehle
setzten, und sprach sich so deutlich aus, dass die Dolmetscher an
seiner Feindschaft nicht mehr zweifelten. Unter den waltenden
Umständen konnten sie in der That keine andere Gesinnung von
einem Manne erwarten, dessen Friedenspolitik und gutes Einver-
nehmen mit den Fremden zu seinem Falle geführt hatte. Er musste
glühenden Barbarenhass zur Schau tragen um sein Leben zu retten,
benahm sich aber kopflos und rannte wirklich in sein Verderben.

Ki-yiṅ scheint ohne Ueberlegung und politische Rücksicht
in irrsinniger Angst nur darauf ausgegangen zu sein, um jeden
Preis fremdenfeindlich zu erscheinen. Den schlimmsten Einfluss
übte er auf die Bewohner von Tien-tsin. Während vorher die
Fremden sich in und ausserhalb der Stadt ohne jede Belästigung
frei bewegt hatten, wurden am Tage nach Ki-yiṅ’s Ankunft der
englische Admiral und mehrere Flottenofficiere in der Stadt vom
Pöbel angefallen, umgerannt und mit Steinen geworfen. Obwohl
das spät am Nachmittag geschah, so musste doch ein Detachement
Matrosen und Marinesoldaten sofort nach der Stadt marschiren.
Das Thor wurde ihnen vor der Nase zugeschlagen und barricadirt;
die Engländer kletterten jedoch über die Mauer, jagten den Pöbel-
haufen innerhalb mit Fusstritten auseinander und sprengten das
Thor. Dann rückten sie die Hauptstrasse hinauf nach dem Schau-
platz des Tumultes und verhafteten einige Hausbesitzer nebst dem
tartarischen Stadtcommandanten, welche für die Nacht eingesperrt
und erst am Morgen freigelassen wurden. Nach zuverlässigen Mit-
theilungen war die Anregung zu feindseligem Auftreten gleich nach
Ki-yiṅ’s Ankunft von den Ortsbehörden ausgegangen. Die Frem-
den erfuhren auch, dass dieser sich vor den anderen Commissaren
in der stärksten Sprache über die Barbaren äusserte, zu hartnäcki-
gem Widerstande und Fortsetzung des Krieges drängte. Da nun
Kwei-liaṅ und Wa-šana ihre Schritte zu Erzielung eines glimpf-
lichen Abkommens überall durchkreuzt sahen, so baten sie den
Kaiser unter dringenden Vorstellungen um Ki-yiṅ’s Abberufung.
Hien-fuṅ sandte ihm aber jetzt den ausdrücklichen Befehl zu blei-
ben und billigte dadurch stillschweigend seine Haltung.

Lord Elgin, welcher wünschen musste, sich des Ki-yiṅ um
jeden Preis zu entledigen, schickte am 11. Juni die Herren Wade

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[245/0267] Ki-yiṅ in Tien-tsin. zu trösten, dass Lord Elgin seine Mitwirkung bei den Vertrags- arbeiten peremtorisch ablehnen werde; das behagte ihm aber nicht. Er klagte, dass die Engländer China das Messer an die Kehle setzten, und sprach sich so deutlich aus, dass die Dolmetscher an seiner Feindschaft nicht mehr zweifelten. Unter den waltenden Umständen konnten sie in der That keine andere Gesinnung von einem Manne erwarten, dessen Friedenspolitik und gutes Einver- nehmen mit den Fremden zu seinem Falle geführt hatte. Er musste glühenden Barbarenhass zur Schau tragen um sein Leben zu retten, benahm sich aber kopflos und rannte wirklich in sein Verderben. Ki-yiṅ scheint ohne Ueberlegung und politische Rücksicht in irrsinniger Angst nur darauf ausgegangen zu sein, um jeden Preis fremdenfeindlich zu erscheinen. Den schlimmsten Einfluss übte er auf die Bewohner von Tien-tsin. Während vorher die Fremden sich in und ausserhalb der Stadt ohne jede Belästigung frei bewegt hatten, wurden am Tage nach Ki-yiṅ’s Ankunft der englische Admiral und mehrere Flottenofficiere in der Stadt vom Pöbel angefallen, umgerannt und mit Steinen geworfen. Obwohl das spät am Nachmittag geschah, so musste doch ein Detachement Matrosen und Marinesoldaten sofort nach der Stadt marschiren. Das Thor wurde ihnen vor der Nase zugeschlagen und barricadirt; die Engländer kletterten jedoch über die Mauer, jagten den Pöbel- haufen innerhalb mit Fusstritten auseinander und sprengten das Thor. Dann rückten sie die Hauptstrasse hinauf nach dem Schau- platz des Tumultes und verhafteten einige Hausbesitzer nebst dem tartarischen Stadtcommandanten, welche für die Nacht eingesperrt und erst am Morgen freigelassen wurden. Nach zuverlässigen Mit- theilungen war die Anregung zu feindseligem Auftreten gleich nach Ki-yiṅ’s Ankunft von den Ortsbehörden ausgegangen. Die Frem- den erfuhren auch, dass dieser sich vor den anderen Commissaren in der stärksten Sprache über die Barbaren äusserte, zu hartnäcki- gem Widerstande und Fortsetzung des Krieges drängte. Da nun Kwei-liaṅ und Wa-šana ihre Schritte zu Erzielung eines glimpf- lichen Abkommens überall durchkreuzt sahen, so baten sie den Kaiser unter dringenden Vorstellungen um Ki-yiṅ’s Abberufung. Hien-fuṅ sandte ihm aber jetzt den ausdrücklichen Befehl zu blei- ben und billigte dadurch stillschweigend seine Haltung. Lord Elgin, welcher wünschen musste, sich des Ki-yiṅ um jeden Preis zu entledigen, schickte am 11. Juni die Herren Wade

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873, S. 245. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien03_1873/267>, abgerufen am 27.04.2024.