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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873.

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Bestürzung in Pe-kin.
musste gegen das der kaiserlichen Beamten und Heere sehr vor-
theilhaft abstechen; für die Mandschu-Herrschaft ist das Volk fast
nirgends in China begeistert, und man darf annehmen, dass die
Briten sich an den Orten, welche sie gegen die kaiserlichen Heere
halten konnten, ohne Widerstand der angesessenen Bevölkerung
bleibend hätten einrichten mögen. Ueberall ausser in Kan-ton
kam man ihnen mit offenen Armen entgegen, und bei längerem
Aufenthalt gestaltete sich das Verhältniss immer freundlicher.

Die Gefahr solchen Zustandes für die Mandschu-Herrschaft
musste Ki-yin um so mehr ängstigen, als er, der europäischen
Politik durchaus fremd, allen Grund hatte, die Engländer für
Eroberer anzusehen. Seine und I-li-pu's amtliche Berichte hatten
längst alle Hoffnung vernichtet, den Siegeslauf der Briten aufzu-
halten. In seinen vertraulichen Mittheilungen an den Kaiser soll
Ki-yin hartnäckig auf unmittelbaren Friedensschluss gedrungen
haben, während I-li-pu die Meinung vertreten hätte, dass erst
unter den Mauern von Nan-kin unterhandelt werden dürfe. Der
Kaiser, argumentirte dieser, müsse seine Würde vor dem Volke
wahren. Nachdem er so oft die Vernichtung der Barbaren ver-
heissen und sein Bedauern ausgesprochen habe, dass er nicht selbst
zu Felde ziehen könne, dürfe er nicht plötzlich, zu Friedensanträgen
überspringend, sich in den Augen des Volkes erniedrigen; nur
durch die härteste Noth müsse er zum Nachgeben gezwungen
erscheinen; die Gründe dafür sollten schlagend und unbestreitbar
sein. Zudem sei es ja doch möglich, dass die Expedition im
Yan-tse scheitere. -- Die Kriegsparthei, deren Vertreter noch
immer im Rathe des Kaisers sassen, scheint erst nach dem Fall
von Tsin-kian-fu kleinlaut geworden zu sein; solche Bestürzung
trat auf diese Nachricht ein, dass der Hof in aller Eile zum Aufbruch
nach der Tartarei rüstete. Der Schatz wurde schleunigst verpackt;
dabei kamen nicht weniger als neun Millionen Tael abhanden, die
niemals wieder gefunden wurden.

Die Entfernung von Pe-kin war zu gross, um Verhaltungs-
befehle abzuwarten. Nan-kin musste um jeden Preis gerettet
werden, und die kaiserlichen Commissare sahen sich gezwungen,
auf eigene Verantwortung die ersten Schritte zu thun. Noch ehe
die Flotte von Tsin-kian-fu absegelte, erschien dort Su, der
frühere Gouverneur von Tsu-san, der wegen seiner ehrlichen Ge-
sinnung bei den Engländern in gutem Ansehen stand und schon

Bestürzung in Pe-kiṅ.
musste gegen das der kaiserlichen Beamten und Heere sehr vor-
theilhaft abstechen; für die Mandschu-Herrschaft ist das Volk fast
nirgends in China begeistert, und man darf annehmen, dass die
Briten sich an den Orten, welche sie gegen die kaiserlichen Heere
halten konnten, ohne Widerstand der angesessenen Bevölkerung
bleibend hätten einrichten mögen. Ueberall ausser in Kan-ton
kam man ihnen mit offenen Armen entgegen, und bei längerem
Aufenthalt gestaltete sich das Verhältniss immer freundlicher.

Die Gefahr solchen Zustandes für die Mandschu-Herrschaft
musste Ki-yiṅ um so mehr ängstigen, als er, der europäischen
Politik durchaus fremd, allen Grund hatte, die Engländer für
Eroberer anzusehen. Seine und I-li-pu’s amtliche Berichte hatten
längst alle Hoffnung vernichtet, den Siegeslauf der Briten aufzu-
halten. In seinen vertraulichen Mittheilungen an den Kaiser soll
Ki-yiṅ hartnäckig auf unmittelbaren Friedensschluss gedrungen
haben, während I-li-pu die Meinung vertreten hätte, dass erst
unter den Mauern von Nan-kiṅ unterhandelt werden dürfe. Der
Kaiser, argumentirte dieser, müsse seine Würde vor dem Volke
wahren. Nachdem er so oft die Vernichtung der Barbaren ver-
heissen und sein Bedauern ausgesprochen habe, dass er nicht selbst
zu Felde ziehen könne, dürfe er nicht plötzlich, zu Friedensanträgen
überspringend, sich in den Augen des Volkes erniedrigen; nur
durch die härteste Noth müsse er zum Nachgeben gezwungen
erscheinen; die Gründe dafür sollten schlagend und unbestreitbar
sein. Zudem sei es ja doch möglich, dass die Expedition im
Yaṅ-tse scheitere. — Die Kriegsparthei, deren Vertreter noch
immer im Rathe des Kaisers sassen, scheint erst nach dem Fall
von Tšiṅ-kiaṅ-fu kleinlaut geworden zu sein; solche Bestürzung
trat auf diese Nachricht ein, dass der Hof in aller Eile zum Aufbruch
nach der Tartarei rüstete. Der Schatz wurde schleunigst verpackt;
dabei kamen nicht weniger als neun Millionen Tael abhanden, die
niemals wieder gefunden wurden.

Die Entfernung von Pe-kiṅ war zu gross, um Verhaltungs-
befehle abzuwarten. Nan-kiṅ musste um jeden Preis gerettet
werden, und die kaiserlichen Commissare sahen sich gezwungen,
auf eigene Verantwortung die ersten Schritte zu thun. Noch ehe
die Flotte von Tšiṅ-kiaṅ-fu absegelte, erschien dort Šu, der
frühere Gouverneur von Tšu-san, der wegen seiner ehrlichen Ge-
sinnung bei den Engländern in gutem Ansehen stand und schon

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[124/0146] Bestürzung in Pe-kiṅ. musste gegen das der kaiserlichen Beamten und Heere sehr vor- theilhaft abstechen; für die Mandschu-Herrschaft ist das Volk fast nirgends in China begeistert, und man darf annehmen, dass die Briten sich an den Orten, welche sie gegen die kaiserlichen Heere halten konnten, ohne Widerstand der angesessenen Bevölkerung bleibend hätten einrichten mögen. Ueberall ausser in Kan-ton kam man ihnen mit offenen Armen entgegen, und bei längerem Aufenthalt gestaltete sich das Verhältniss immer freundlicher. Die Gefahr solchen Zustandes für die Mandschu-Herrschaft musste Ki-yiṅ um so mehr ängstigen, als er, der europäischen Politik durchaus fremd, allen Grund hatte, die Engländer für Eroberer anzusehen. Seine und I-li-pu’s amtliche Berichte hatten längst alle Hoffnung vernichtet, den Siegeslauf der Briten aufzu- halten. In seinen vertraulichen Mittheilungen an den Kaiser soll Ki-yiṅ hartnäckig auf unmittelbaren Friedensschluss gedrungen haben, während I-li-pu die Meinung vertreten hätte, dass erst unter den Mauern von Nan-kiṅ unterhandelt werden dürfe. Der Kaiser, argumentirte dieser, müsse seine Würde vor dem Volke wahren. Nachdem er so oft die Vernichtung der Barbaren ver- heissen und sein Bedauern ausgesprochen habe, dass er nicht selbst zu Felde ziehen könne, dürfe er nicht plötzlich, zu Friedensanträgen überspringend, sich in den Augen des Volkes erniedrigen; nur durch die härteste Noth müsse er zum Nachgeben gezwungen erscheinen; die Gründe dafür sollten schlagend und unbestreitbar sein. Zudem sei es ja doch möglich, dass die Expedition im Yaṅ-tse scheitere. — Die Kriegsparthei, deren Vertreter noch immer im Rathe des Kaisers sassen, scheint erst nach dem Fall von Tšiṅ-kiaṅ-fu kleinlaut geworden zu sein; solche Bestürzung trat auf diese Nachricht ein, dass der Hof in aller Eile zum Aufbruch nach der Tartarei rüstete. Der Schatz wurde schleunigst verpackt; dabei kamen nicht weniger als neun Millionen Tael abhanden, die niemals wieder gefunden wurden. Die Entfernung von Pe-kiṅ war zu gross, um Verhaltungs- befehle abzuwarten. Nan-kiṅ musste um jeden Preis gerettet werden, und die kaiserlichen Commissare sahen sich gezwungen, auf eigene Verantwortung die ersten Schritte zu thun. Noch ehe die Flotte von Tšiṅ-kiaṅ-fu absegelte, erschien dort Šu, der frühere Gouverneur von Tšu-san, der wegen seiner ehrlichen Ge- sinnung bei den Engländern in gutem Ansehen stand und schon

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien03_1873/146>, abgerufen am 27.04.2024.