Die Aushebungen hatten anfangs guten Fortgang; nach dem Aufruf des I-li-pu stellten sich binnen Monatsfrist über zehntausend Recruten. Viele desertirten aber schon mit dem ersten Soldvorschuss, und die Reihen lichteten sich immer mehr, da die Commandeure den grössten Theil der Löhnung unterschlugen. So war denn, ab- gesehen von der Qualität, auch die Anzahl der Truppen unzu- länglich. Da die Kassen der Küsten-Provinzen dem Geldbedarf nicht genügen konnten, so erliess die Regierung einen Aufruf um freiwillige Beiträge der Bemittelten und stellte dafür Rang und Würden in Aussicht; der grösste Theil des Gesteuerten verschwand aber wieder in die Taschen der Mandarinen. Es fehlte durchaus an Ordnung, Ehrlichkeit, Tüchtigkeit, Organisation; nur der Schein wurde gewahrt. Man baute Festungswerke, warb Soldaten, be- reitete Pulver, kaufte Luntenflinten und goss Kanonen; aber die Werke waren unhaltbar, die Soldaten verhungertes Gesindel, die Flinten nicht zu brauchen, das Pulver schwach und die Geschütze von schlechtem Metall. In der chinesischen Armee hatte man keine Ahnung von den einfachsten Regeln der Taktik und Strategie, die Bewaffnung war elend, und alle sittlichen Eigenschaften eines Soldaten mangelten nicht nur den Gemeinen, sondern auch den Führern. Bei jedem auf chinesische Truppen gemachten Angriff hörte nach dem ersten Ab- schiessen der Gewehre alle Ordnung auf; Jeder that was er wollte, die Glieder lösten sich, die Mehrzahl gab Fersengeld. Manche kämpften mit persönlicher Bravour und fielen im sinnlosen Einzelnkampf gegen geschlossene Colonnen. Die ehrliebenden Führer nahmen sich das Leben, die feigen liefen davon. So fielen in jeder Action nur die Besten. Die Verpflegung war elend; auf ihren Märschen wussten die Truppen sich an der Bevölkerung schadlos zu halten und be- gingen plündernd die gröbsten Excesse. Oft rotteten sich die Land- leute zusammen, ihnen Schlachten zu liefern; jeder Nachzügler wurde niedergemacht. Wo Truppen marschirten, hörten Handel und Gewerbe auf, denn es gab keine Sicherheit des Eigenthums. Um Sold-Rückstände zu bezahlen, nahmen die Mandarinen das Geld unter dem Namen patriotischer Beiträge oft wo sie es fanden; wer irgend konnte, floh aus dem Bereich der Erpressungen. Des- halb waren die besitzenden Classen den kaiserlichen Heeren eben nicht hold, und das Erscheinen der Engländer galt überall nur als Erlösung.
Am Hofe von Pe-kin muss man den Zustand des Heeres
Die chinesischen Rüstungen.
Die Aushebungen hatten anfangs guten Fortgang; nach dem Aufruf des I-li-pu stellten sich binnen Monatsfrist über zehntausend Recruten. Viele desertirten aber schon mit dem ersten Soldvorschuss, und die Reihen lichteten sich immer mehr, da die Commandeure den grössten Theil der Löhnung unterschlugen. So war denn, ab- gesehen von der Qualität, auch die Anzahl der Truppen unzu- länglich. Da die Kassen der Küsten-Provinzen dem Geldbedarf nicht genügen konnten, so erliess die Regierung einen Aufruf um freiwillige Beiträge der Bemittelten und stellte dafür Rang und Würden in Aussicht; der grösste Theil des Gesteuerten verschwand aber wieder in die Taschen der Mandarinen. Es fehlte durchaus an Ordnung, Ehrlichkeit, Tüchtigkeit, Organisation; nur der Schein wurde gewahrt. Man baute Festungswerke, warb Soldaten, be- reitete Pulver, kaufte Luntenflinten und goss Kanonen; aber die Werke waren unhaltbar, die Soldaten verhungertes Gesindel, die Flinten nicht zu brauchen, das Pulver schwach und die Geschütze von schlechtem Metall. In der chinesischen Armee hatte man keine Ahnung von den einfachsten Regeln der Taktik und Strategie, die Bewaffnung war elend, und alle sittlichen Eigenschaften eines Soldaten mangelten nicht nur den Gemeinen, sondern auch den Führern. Bei jedem auf chinesische Truppen gemachten Angriff hörte nach dem ersten Ab- schiessen der Gewehre alle Ordnung auf; Jeder that was er wollte, die Glieder lösten sich, die Mehrzahl gab Fersengeld. Manche kämpften mit persönlicher Bravour und fielen im sinnlosen Einzelnkampf gegen geschlossene Colonnen. Die ehrliebenden Führer nahmen sich das Leben, die feigen liefen davon. So fielen in jeder Action nur die Besten. Die Verpflegung war elend; auf ihren Märschen wussten die Truppen sich an der Bevölkerung schadlos zu halten und be- gingen plündernd die gröbsten Excesse. Oft rotteten sich die Land- leute zusammen, ihnen Schlachten zu liefern; jeder Nachzügler wurde niedergemacht. Wo Truppen marschirten, hörten Handel und Gewerbe auf, denn es gab keine Sicherheit des Eigenthums. Um Sold-Rückstände zu bezahlen, nahmen die Mandarinen das Geld unter dem Namen patriotischer Beiträge oft wo sie es fanden; wer irgend konnte, floh aus dem Bereich der Erpressungen. Des- halb waren die besitzenden Classen den kaiserlichen Heeren eben nicht hold, und das Erscheinen der Engländer galt überall nur als Erlösung.
Am Hofe von Pe-kiṅ muss man den Zustand des Heeres
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Die chinesischen Rüstungen.
Die Aushebungen hatten anfangs guten Fortgang; nach dem
Aufruf des I-li-pu stellten sich binnen Monatsfrist über zehntausend
Recruten. Viele desertirten aber schon mit dem ersten Soldvorschuss,
und die Reihen lichteten sich immer mehr, da die Commandeure
den grössten Theil der Löhnung unterschlugen. So war denn, ab-
gesehen von der Qualität, auch die Anzahl der Truppen unzu-
länglich. Da die Kassen der Küsten-Provinzen dem Geldbedarf
nicht genügen konnten, so erliess die Regierung einen Aufruf um
freiwillige Beiträge der Bemittelten und stellte dafür Rang und
Würden in Aussicht; der grösste Theil des Gesteuerten verschwand
aber wieder in die Taschen der Mandarinen. Es fehlte durchaus
an Ordnung, Ehrlichkeit, Tüchtigkeit, Organisation; nur der Schein
wurde gewahrt. Man baute Festungswerke, warb Soldaten, be-
reitete Pulver, kaufte Luntenflinten und goss Kanonen; aber die
Werke waren unhaltbar, die Soldaten verhungertes Gesindel, die
Flinten nicht zu brauchen, das Pulver schwach und die Geschütze von
schlechtem Metall. In der chinesischen Armee hatte man keine Ahnung
von den einfachsten Regeln der Taktik und Strategie, die Bewaffnung
war elend, und alle sittlichen Eigenschaften eines Soldaten mangelten
nicht nur den Gemeinen, sondern auch den Führern. Bei jedem auf
chinesische Truppen gemachten Angriff hörte nach dem ersten Ab-
schiessen der Gewehre alle Ordnung auf; Jeder that was er wollte, die
Glieder lösten sich, die Mehrzahl gab Fersengeld. Manche kämpften
mit persönlicher Bravour und fielen im sinnlosen Einzelnkampf gegen
geschlossene Colonnen. Die ehrliebenden Führer nahmen sich das
Leben, die feigen liefen davon. So fielen in jeder Action nur die
Besten. Die Verpflegung war elend; auf ihren Märschen wussten
die Truppen sich an der Bevölkerung schadlos zu halten und be-
gingen plündernd die gröbsten Excesse. Oft rotteten sich die Land-
leute zusammen, ihnen Schlachten zu liefern; jeder Nachzügler
wurde niedergemacht. Wo Truppen marschirten, hörten Handel
und Gewerbe auf, denn es gab keine Sicherheit des Eigenthums.
Um Sold-Rückstände zu bezahlen, nahmen die Mandarinen das
Geld unter dem Namen patriotischer Beiträge oft wo sie es fanden;
wer irgend konnte, floh aus dem Bereich der Erpressungen. Des-
halb waren die besitzenden Classen den kaiserlichen Heeren eben
nicht hold, und das Erscheinen der Engländer galt überall nur als
Erlösung.
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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien03_1873/124>, abgerufen am 30.11.2024.
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