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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873.

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Rüstungen der Chinesen.
bemächtigt und würden wohl heimlich in den Hafen zu schlüpfen
suchen." Der Kaiser wurde von allen Seiten getäuscht. Er hatte
in Erwägung der Gefahr, welche das Eindringen der Engländer in
den Yan-tse-kian dem Reiche bringen könnte, Berichte über den
Zustand des Fahrwassers u. s. w. eingefordert, und erhielt von allen
Uferbehörden die übereinstimmende Versicherung, das Einlaufen der
Flotte sei ganz undenkbar.

Die Behörden der mittelchinesischen Provinzen hatten wäh-
rend der Ereignisse im Süden nicht aufgehört zu rüsten. Als Vice-
König der "beiden Kian" fungirte der alte Tartare I-li-pu, welcher
mit Ki-sen als vertrauter Rath des Kaisers seinen ganzen Einfluss
zu Abwendung des Krieges aufgeboten hatte, trotz der Proscri-
birung aller friedfertigen Gesinnung seinen Ansichten auch treu
blieb und eifrig eine Ausgleichung herbeizuführen strebte. Als das
am Pfi-ho mit Ki-sen geschlossene Abkommen bekannt wurde,
befahl I-li-pu in seinen Provinzen die Einstellung aller Feindselig-
keiten und sandte, wie Ki-sen am Pei-ho, den Engländern auf
Tsu-san eine Rinderheerde zum Geschenk. Dafür zieh man Beide
nachher des Landesverrathes. Er behandelte auch die auf Tsu-san
aufgehobenen Engländer mit grosser Milde und lieferte, gegen die
Befehle aus Pe-kin, bei Uebergabe der Insel die Gefangenen aus.
-- Als Hüter der Küste rüstete er aus allen Kräften.

Eine der ersten Maassregeln bei Ausbruch des Krieges war
ein Verbot des Küstenhandels gewesen; keine Handelsdschunke
durfte auslaufen. Man glaubte, die Engländer bedürften, aus so
weiter Ferne kommend, der Lebensmittel, und wollte sie aushungern.
Der ungeheuere Ausfall an Steuern brachte aber die Regierung bald
zur Besinnung, und das Verbot wurde aufgehoben. -- Nach der
Einnahme von Tsu-san erhielt I-li-pu den Befehl, sofort drei Linien-
schiffe nach englischem Muster bauen zu lassen. Der kaiserliche
Willen leidet keinen Einspruch; der Beamte aber, welchem I-li-pu
das Unmögliche auftrug, nahm sich das Leben. Dann sollten in
Eile Kanonen gegossen werden, wozu alle Vorbereitungen fehlten.
Endlich gelang es, eine Giesserei einzurichten; man stellte aus
schlechtem Metall eine Menge Rohre vom grössten Kaliber her, die
beim ersten Schuss platzten. Später wurden bessere Stücke aus Bronze
und Eisen gegossen, die fast sämmtlich in die Hände der Engländer
fielen. Die Chinesen glaubten immer, dass ihr Heil vom Umfange
ihrer Rüstungen abhinge, und verschleuderten unmässige Summen.

Rüstungen der Chinesen.
bemächtigt und würden wohl heimlich in den Hafen zu schlüpfen
suchen.« Der Kaiser wurde von allen Seiten getäuscht. Er hatte
in Erwägung der Gefahr, welche das Eindringen der Engländer in
den Yaṅ-tse-kiaṅ dem Reiche bringen könnte, Berichte über den
Zustand des Fahrwassers u. s. w. eingefordert, und erhielt von allen
Uferbehörden die übereinstimmende Versicherung, das Einlaufen der
Flotte sei ganz undenkbar.

Die Behörden der mittelchinesischen Provinzen hatten wäh-
rend der Ereignisse im Süden nicht aufgehört zu rüsten. Als Vice-
König der »beiden Kiaṅ« fungirte der alte Tartare I-li-pu, welcher
mit Ki-šen als vertrauter Rath des Kaisers seinen ganzen Einfluss
zu Abwendung des Krieges aufgeboten hatte, trotz der Proscri-
birung aller friedfertigen Gesinnung seinen Ansichten auch treu
blieb und eifrig eine Ausgleichung herbeizuführen strebte. Als das
am Pfi-ho mit Ki-šen geschlossene Abkommen bekannt wurde,
befahl I-li-pu in seinen Provinzen die Einstellung aller Feindselig-
keiten und sandte, wie Ki-šen am Pei-ho, den Engländern auf
Tšu-san eine Rinderheerde zum Geschenk. Dafür zieh man Beide
nachher des Landesverrathes. Er behandelte auch die auf Tšu-san
aufgehobenen Engländer mit grosser Milde und lieferte, gegen die
Befehle aus Pe-kiṅ, bei Uebergabe der Insel die Gefangenen aus.
— Als Hüter der Küste rüstete er aus allen Kräften.

Eine der ersten Maassregeln bei Ausbruch des Krieges war
ein Verbot des Küstenhandels gewesen; keine Handelsdschunke
durfte auslaufen. Man glaubte, die Engländer bedürften, aus so
weiter Ferne kommend, der Lebensmittel, und wollte sie aushungern.
Der ungeheuere Ausfall an Steuern brachte aber die Regierung bald
zur Besinnung, und das Verbot wurde aufgehoben. — Nach der
Einnahme von Tšu-san erhielt I-li-pu den Befehl, sofort drei Linien-
schiffe nach englischem Muster bauen zu lassen. Der kaiserliche
Willen leidet keinen Einspruch; der Beamte aber, welchem I-li-pu
das Unmögliche auftrug, nahm sich das Leben. Dann sollten in
Eile Kanonen gegossen werden, wozu alle Vorbereitungen fehlten.
Endlich gelang es, eine Giesserei einzurichten; man stellte aus
schlechtem Metall eine Menge Rohre vom grössten Kaliber her, die
beim ersten Schuss platzten. Später wurden bessere Stücke aus Bronze
und Eisen gegossen, die fast sämmtlich in die Hände der Engländer
fielen. Die Chinesen glaubten immer, dass ihr Heil vom Umfange
ihrer Rüstungen abhinge, und verschleuderten unmässige Summen.

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[101/0123] Rüstungen der Chinesen. bemächtigt und würden wohl heimlich in den Hafen zu schlüpfen suchen.« Der Kaiser wurde von allen Seiten getäuscht. Er hatte in Erwägung der Gefahr, welche das Eindringen der Engländer in den Yaṅ-tse-kiaṅ dem Reiche bringen könnte, Berichte über den Zustand des Fahrwassers u. s. w. eingefordert, und erhielt von allen Uferbehörden die übereinstimmende Versicherung, das Einlaufen der Flotte sei ganz undenkbar. Die Behörden der mittelchinesischen Provinzen hatten wäh- rend der Ereignisse im Süden nicht aufgehört zu rüsten. Als Vice- König der »beiden Kiaṅ« fungirte der alte Tartare I-li-pu, welcher mit Ki-šen als vertrauter Rath des Kaisers seinen ganzen Einfluss zu Abwendung des Krieges aufgeboten hatte, trotz der Proscri- birung aller friedfertigen Gesinnung seinen Ansichten auch treu blieb und eifrig eine Ausgleichung herbeizuführen strebte. Als das am Pfi-ho mit Ki-šen geschlossene Abkommen bekannt wurde, befahl I-li-pu in seinen Provinzen die Einstellung aller Feindselig- keiten und sandte, wie Ki-šen am Pei-ho, den Engländern auf Tšu-san eine Rinderheerde zum Geschenk. Dafür zieh man Beide nachher des Landesverrathes. Er behandelte auch die auf Tšu-san aufgehobenen Engländer mit grosser Milde und lieferte, gegen die Befehle aus Pe-kiṅ, bei Uebergabe der Insel die Gefangenen aus. — Als Hüter der Küste rüstete er aus allen Kräften. Eine der ersten Maassregeln bei Ausbruch des Krieges war ein Verbot des Küstenhandels gewesen; keine Handelsdschunke durfte auslaufen. Man glaubte, die Engländer bedürften, aus so weiter Ferne kommend, der Lebensmittel, und wollte sie aushungern. Der ungeheuere Ausfall an Steuern brachte aber die Regierung bald zur Besinnung, und das Verbot wurde aufgehoben. — Nach der Einnahme von Tšu-san erhielt I-li-pu den Befehl, sofort drei Linien- schiffe nach englischem Muster bauen zu lassen. Der kaiserliche Willen leidet keinen Einspruch; der Beamte aber, welchem I-li-pu das Unmögliche auftrug, nahm sich das Leben. Dann sollten in Eile Kanonen gegossen werden, wozu alle Vorbereitungen fehlten. Endlich gelang es, eine Giesserei einzurichten; man stellte aus schlechtem Metall eine Menge Rohre vom grössten Kaliber her, die beim ersten Schuss platzten. Später wurden bessere Stücke aus Bronze und Eisen gegossen, die fast sämmtlich in die Hände der Engländer fielen. Die Chinesen glaubten immer, dass ihr Heil vom Umfange ihrer Rüstungen abhinge, und verschleuderten unmässige Summen.

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien03_1873/123>, abgerufen am 27.04.2024.