Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873.

Bild:
<< vorherige Seite

Lin's auswärtige Politik.
Barbaren durch Barbaren bekämpft werden müssen. "Wir pflegen
Piraten durch Piraten zu bezwingen; warum sollten wir nicht in
derselben Weise Barbaren bekämpfen, die viele Tausend Li über
das Meer kommen? Um das aber mit Erfolg zu thun, müssen wir
uns über die Verhältnisse der auswärtigen Angelegenheiten unter-
richten. Die Engländer fürchten drei feindliche Mächte: Russland,
Frankreich und America; sie fürchten ferner vier von unseren Tri-
but-Staaten: Cochinchina, Siam, Ava und Nepal. Im Kriegsfall
kann man sie entweder zu Lande oder zu Wasser angreifen.

"Ihre schwächste Stelle für den Angriff zu Lande ist Indien,
gegen das wir Russland und Nepal in Gang setzen können. Indien
liegt südlich vom Himalaya-Gebirge, welches dasselbe von Tibet
scheidet; von England ist es viele Tausend Li entfernt, während
Nepal und Birma daran grenzen. Die russische Armee würde über
das Schwarze oder das Kaspische Meer kommen müssen, wo dann
noch das Gebiet einiger Hirtenstämme dazwischen liegt, welche sie
erst unterjochen müsste; dann trennt sie nur noch ein mit starker
Heeresmacht besetztes Schneegebirge von Indien.

"Bengalen, Malacca, Bombay und Madras erzeugen Opium in
Fülle, aus welchem die Engländer ein Einkommen von über zehn
Millionen jährlich beziehen. Die Russen haben lange den Besitz
dieses Geldes begehrt; und während die Engländer das Himmlische
Reich bekriegten, fürchteten sie, dass Jene nur einer Gelegenheit
harrten, um ihnen Hindostan fortzunehmen. Damals wurde berich-
tet, ein russischer Gesandter sei nach China gegangen.

"Während der Regierung des Kan-gi wurden Fremde gebraucht,
um einen Vertrag mit den Russen zu schliessen; nachher bediente
man sich dieser, um Tsan-ki-hur 38), einen mohamedanischen
Häuptling, einzufangen, der China sehr gefährlich war. Warum
sollten sie uns nicht in Bezug auf Indien gleiche Dienste leisten?
Nepal liegt westlich von Tibet. Als wir unter Kia-kin die Gorka
angriffen, fielen auch die Engländer über sie her. Deshalb erklär-
ten Jene unserem Residenten in Tibet, dass sie mit Heeresmacht
aufzubrechen und Indien zu überfallen gedächten. Hätten wir den
Nepalesen erlaubt, den Osten von Indien zu belästigen, während
die Russen eine Diversion im Westen machten, so wäre Hindostan
in Gefahr gekommen, und die Schiffe dieser Barbaren hätten voll-

38) Er wurde verrätherisch nach Pe-kin gelockt und dort grausam hingerichtet.

Lin’s auswärtige Politik.
Barbaren durch Barbaren bekämpft werden müssen. »Wir pflegen
Piraten durch Piraten zu bezwingen; warum sollten wir nicht in
derselben Weise Barbaren bekämpfen, die viele Tausend Li über
das Meer kommen? Um das aber mit Erfolg zu thun, müssen wir
uns über die Verhältnisse der auswärtigen Angelegenheiten unter-
richten. Die Engländer fürchten drei feindliche Mächte: Russland,
Frankreich und America; sie fürchten ferner vier von unseren Tri-
but-Staaten: Cochinchina, Siam, Ava und Nepal. Im Kriegsfall
kann man sie entweder zu Lande oder zu Wasser angreifen.

»Ihre schwächste Stelle für den Angriff zu Lande ist Indien,
gegen das wir Russland und Nepal in Gang setzen können. Indien
liegt südlich vom Himalaya-Gebirge, welches dasselbe von Tibet
scheidet; von England ist es viele Tausend Li entfernt, während
Nepal und Birma daran grenzen. Die russische Armee würde über
das Schwarze oder das Kaspische Meer kommen müssen, wo dann
noch das Gebiet einiger Hirtenstämme dazwischen liegt, welche sie
erst unterjochen müsste; dann trennt sie nur noch ein mit starker
Heeresmacht besetztes Schneegebirge von Indien.

»Bengalen, Malacca, Bombay und Madras erzeugen Opium in
Fülle, aus welchem die Engländer ein Einkommen von über zehn
Millionen jährlich beziehen. Die Russen haben lange den Besitz
dieses Geldes begehrt; und während die Engländer das Himmlische
Reich bekriegten, fürchteten sie, dass Jene nur einer Gelegenheit
harrten, um ihnen Hindostan fortzunehmen. Damals wurde berich-
tet, ein russischer Gesandter sei nach China gegangen.

»Während der Regierung des Kaṅ-gi wurden Fremde gebraucht,
um einen Vertrag mit den Russen zu schliessen; nachher bediente
man sich dieser, um Tšaṅ-ki-hur 38), einen mohamedanischen
Häuptling, einzufangen, der China sehr gefährlich war. Warum
sollten sie uns nicht in Bezug auf Indien gleiche Dienste leisten?
Nepal liegt westlich von Tibet. Als wir unter Kia-kiṅ die Gorka
angriffen, fielen auch die Engländer über sie her. Deshalb erklär-
ten Jene unserem Residenten in Tibet, dass sie mit Heeresmacht
aufzubrechen und Indien zu überfallen gedächten. Hätten wir den
Nepalesen erlaubt, den Osten von Indien zu belästigen, während
die Russen eine Diversion im Westen machten, so wäre Hindostan
in Gefahr gekommen, und die Schiffe dieser Barbaren hätten voll-

38) Er wurde verrätherisch nach Pe-kiṅ gelockt und dort grausam hingerichtet.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0117" n="95"/><fw place="top" type="header"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/118980327"><hi rendition="#k">Lin</hi>&#x2019;s</persName> auswärtige Politik.</fw><lb/>
Barbaren durch Barbaren bekämpft werden müssen. »Wir pflegen<lb/>
Piraten durch Piraten zu bezwingen; warum sollten wir nicht in<lb/>
derselben Weise Barbaren bekämpfen, die viele Tausend <hi rendition="#k">Li</hi> über<lb/>
das Meer kommen? Um das aber mit Erfolg zu thun, müssen wir<lb/>
uns über die Verhältnisse der auswärtigen Angelegenheiten unter-<lb/>
richten. Die Engländer fürchten drei feindliche Mächte: <placeName>Russland</placeName>,<lb/><placeName>Frankreich</placeName> und <placeName>America</placeName>; sie fürchten ferner vier von unseren Tri-<lb/>
but-Staaten: <placeName>Cochinchina</placeName>, <placeName>Siam</placeName>, <placeName>Ava</placeName> und <placeName>Nepal</placeName>. Im Kriegsfall<lb/>
kann man sie entweder zu Lande oder zu Wasser angreifen.</p><lb/>
          <p>»Ihre schwächste Stelle für den Angriff zu Lande ist <placeName>Indien</placeName>,<lb/>
gegen das wir <placeName>Russland</placeName> und <placeName>Nepal</placeName> in Gang setzen können. <placeName>Indien</placeName><lb/>
liegt südlich vom Himalaya-Gebirge, welches dasselbe von <placeName>Tibet</placeName><lb/>
scheidet; von <placeName>England</placeName> ist es viele Tausend <hi rendition="#k">Li</hi> entfernt, während<lb/><placeName>Nepal</placeName> und <placeName>Birma</placeName> daran grenzen. Die russische Armee würde über<lb/>
das <placeName full="abb">Schwarze</placeName> oder das <placeName>Kaspische Meer</placeName> kommen müssen, wo dann<lb/>
noch das Gebiet einiger Hirtenstämme dazwischen liegt, welche sie<lb/>
erst unterjochen müsste; dann trennt sie nur noch ein mit starker<lb/>
Heeresmacht besetztes Schneegebirge von <placeName>Indien</placeName>.</p><lb/>
          <p>»<placeName>Bengalen</placeName>, <placeName>Malacca</placeName>, <placeName>Bombay</placeName> und <placeName>Madras</placeName> erzeugen Opium in<lb/>
Fülle, aus welchem die Engländer ein Einkommen von über zehn<lb/>
Millionen jährlich beziehen. Die Russen haben lange den Besitz<lb/>
dieses Geldes begehrt; und während die Engländer das Himmlische<lb/>
Reich bekriegten, fürchteten sie, dass Jene nur einer Gelegenheit<lb/>
harrten, um ihnen <placeName>Hindostan</placeName> fortzunehmen. Damals wurde berich-<lb/>
tet, ein russischer Gesandter sei nach <placeName>China</placeName> gegangen.</p><lb/>
          <p>»Während der Regierung des <hi rendition="#k"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/118814273">Kan&#x0307;-gi</persName></hi> wurden Fremde gebraucht,<lb/>
um einen Vertrag mit den Russen zu schliessen; nachher bediente<lb/>
man sich dieser, um <hi rendition="#k"><persName ref="nognd">T&#x0161;an&#x0307;-ki-hur</persName></hi> <note place="foot" n="38)">Er wurde verrätherisch nach <hi rendition="#k"><placeName>Pe-kin&#x0307;</placeName></hi> gelockt und dort grausam hingerichtet.</note>, einen mohamedanischen<lb/>
Häuptling, einzufangen, der <placeName>China</placeName> sehr gefährlich war. Warum<lb/>
sollten sie uns nicht in Bezug auf <placeName>Indien</placeName> gleiche Dienste leisten?<lb/><placeName>Nepal</placeName> liegt westlich von <placeName>Tibet</placeName>. Als wir unter <hi rendition="#k"><persName ref="http://id.loc.gov/authorities/names/n85308956">Kia-kin&#x0307;</persName></hi> die <hi rendition="#k">Gorka</hi><lb/>
angriffen, fielen auch die Engländer über sie her. Deshalb erklär-<lb/>
ten Jene unserem Residenten in <placeName>Tibet</placeName>, dass sie mit Heeresmacht<lb/>
aufzubrechen und <placeName>Indien</placeName> zu überfallen gedächten. Hätten wir den<lb/>
Nepalesen erlaubt, den Osten von <placeName>Indien</placeName> zu belästigen, während<lb/>
die Russen eine Diversion im Westen machten, so wäre <placeName>Hindostan</placeName><lb/>
in Gefahr gekommen, und die Schiffe dieser Barbaren hätten voll-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[95/0117] Lin’s auswärtige Politik. Barbaren durch Barbaren bekämpft werden müssen. »Wir pflegen Piraten durch Piraten zu bezwingen; warum sollten wir nicht in derselben Weise Barbaren bekämpfen, die viele Tausend Li über das Meer kommen? Um das aber mit Erfolg zu thun, müssen wir uns über die Verhältnisse der auswärtigen Angelegenheiten unter- richten. Die Engländer fürchten drei feindliche Mächte: Russland, Frankreich und America; sie fürchten ferner vier von unseren Tri- but-Staaten: Cochinchina, Siam, Ava und Nepal. Im Kriegsfall kann man sie entweder zu Lande oder zu Wasser angreifen. »Ihre schwächste Stelle für den Angriff zu Lande ist Indien, gegen das wir Russland und Nepal in Gang setzen können. Indien liegt südlich vom Himalaya-Gebirge, welches dasselbe von Tibet scheidet; von England ist es viele Tausend Li entfernt, während Nepal und Birma daran grenzen. Die russische Armee würde über das Schwarze oder das Kaspische Meer kommen müssen, wo dann noch das Gebiet einiger Hirtenstämme dazwischen liegt, welche sie erst unterjochen müsste; dann trennt sie nur noch ein mit starker Heeresmacht besetztes Schneegebirge von Indien. »Bengalen, Malacca, Bombay und Madras erzeugen Opium in Fülle, aus welchem die Engländer ein Einkommen von über zehn Millionen jährlich beziehen. Die Russen haben lange den Besitz dieses Geldes begehrt; und während die Engländer das Himmlische Reich bekriegten, fürchteten sie, dass Jene nur einer Gelegenheit harrten, um ihnen Hindostan fortzunehmen. Damals wurde berich- tet, ein russischer Gesandter sei nach China gegangen. »Während der Regierung des Kaṅ-gi wurden Fremde gebraucht, um einen Vertrag mit den Russen zu schliessen; nachher bediente man sich dieser, um Tšaṅ-ki-hur 38), einen mohamedanischen Häuptling, einzufangen, der China sehr gefährlich war. Warum sollten sie uns nicht in Bezug auf Indien gleiche Dienste leisten? Nepal liegt westlich von Tibet. Als wir unter Kia-kiṅ die Gorka angriffen, fielen auch die Engländer über sie her. Deshalb erklär- ten Jene unserem Residenten in Tibet, dass sie mit Heeresmacht aufzubrechen und Indien zu überfallen gedächten. Hätten wir den Nepalesen erlaubt, den Osten von Indien zu belästigen, während die Russen eine Diversion im Westen machten, so wäre Hindostan in Gefahr gekommen, und die Schiffe dieser Barbaren hätten voll- 38) Er wurde verrätherisch nach Pe-kiṅ gelockt und dort grausam hingerichtet.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien03_1873
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien03_1873/117
Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien03_1873/117>, abgerufen am 27.04.2024.